Die Weltwirtschaft verliert an Schwung, und die Euro-Krise spitzt sich wieder zu

Wegen der zunehmenden Anzeichen für eine Abschwächung der Weltwirtschaft und der aktuellen Verschärfung der Staatsschuldenkrise in der Eurozone sind die Aussichten für Aktien eher schlecht, meint Chefstratege Ronald Doeswijk.

19.06.2012 | 14:46 Uhr

Die Weltwirtschaftslage verschlechtert sich - mit Ausnahme der USA. Obwohl auch dort in letzter Zeit teilweise enttäuschende Konjunkturzahlen gemeldet wurden, lassen zukunftsgerichtete Indikatoren erwarten, dass es mit der US-Wirtschaft weiter aufwärts geht - wenn auch mit moderatem Tempo. Dagegen gibt es in Brasilien, China, der EU, Indien und Japan Schwächeanzeichen.

Im Fokus steht aber nach wie vor die Eurozone, für die zukunftsgerichtete Indikatoren eine weitere Wachstumsverlangsamung erwarten lassen. Die Euro-Schuldenkrise hat eine gefährliche neue Phase erreicht. Die Regierung und die Notenbank Spaniens haben durch ihr Vorgehen in der Bankenkrise des Landes an Glaubwürdigkeit verloren. "Spanien wird sich wahrscheinlich sehr kurzfristig unter den Euro-Rettungsschirm begeben müssen", erwartet Ronald Doeswijk.

Und das ist beileibe nicht die einzige negative Entwicklung im Euroraum. Bspw. kann ein Ausstieg Griechenlands aus der Währungsunion nicht mehr ausgeschlossen werden. Vieles hängt in dieser Hinsicht vom Ausgang der Parlamentswahlen am 17. Juni ab.

Immer noch kein entschlossenes Handeln der europäischen Politiker

Auch wenn es bereits kurz vor zwölf Uhr ist, sollte man nicht mit radikalen Schritten der europäischen Politiker rechnen. "Wir rechnen nicht mit Maßnahmen, die einen Schlussstrich unter die Krise ziehen und alle Zweifel über das Euro-Projekt beseitigen würden", sagt Doeswijk. "Die EU wird sich auf kurze Sicht aller Wahrscheinlichkeit nach nicht in eine umfassende Fiskal- und Bankenunion und in eine politische Union verwandeln."

Obwohl es der EU kaum gelingen dürfte, die Zweifel an der langfristigen Überlebensfähigkeit der Währungsunion auszuräumen, erwartet Doeswijk, dass einige Mitglieder der Eurozone vertrauensstärkende Maßnahmen ergreifen werden. Dazu gehören Schritte zur Schaffung einer gesamteuropäischen Bankenunion, eine Vergrößerung des Euro-Sicherheitsnetzes und fortgesetzte angebotsseitige Reformen in Südeuropa.

Die EZB treibt ein sehr gewagtes Spiel

Von der EZB sollte man nicht allzu viel erwarten. "Sie hat ihre Frustration über das Vorgehen der für die Finanzpolitik Verantwortlichen in der Staatsschulden- und Finanzkrise unmissverständlich zum Ausdruck gebracht", so Doeswijk. "Bevor sie weitere substanzielle Maßnahmen zur Stimulierung der Wirtschaft ergreift, wird die EZB vermutlich ein entschlossenes Handeln von Europas Politikern sehen wollen. Dazu gehört auch, dass sich Spanien unter den Euro-Rettungsschirm begibt."

Dennoch gibt es ein paar Gründe für Optimismus, was die gesamtwirtschaftliche Situation angeht. Zum einen verfügt China über reichlich Spielraum für eine Stimulierung seiner Wirtschaft. Außerdem geht der Ölpreis rasant zurück. Und die Notenbanken der Industrieländer werden schließlich die restlichen Pfeile verschießen, die sich noch in ihrem Köcher befinden.

Dass es so weitergeht wie bisher, ist immer noch das Basisfallszenario

Alles in allem geht Doeswijk davon aus, dass sich die Weltwirtschaft weiter über Wasser halten wird. "Eine globale Rezession ist nicht unser Basisfallszenario", sagt er. Seiner Einschätzung nach könnte es aber zu einer Rezession kommen, wenn sich die Lage in Europa dramatisch verschärft, weil die Politik keine klaren Antworten auf die Krise findet.

Neutrale Position ist in Bezug auf Aktien angebracht

Die aktuelle makroökonomische Gesamtsituation ist geprägt durch eine robuste US-Konjunktur, eine schwächelnde Wirtschaft in Großbritannien und Japan, eine Wachstumsverlangsamung in den Schwellenländern und eine erneute Verschärfung der Euro-Krise. Welche Schlussfolgerungen ergeben sich hieraus für die Portfolio-Aufteilung?

Das Financial Markets Research-Team bleibt bei seiner neutralen Haltung zu Aktien. "Nach unserer Auffassung wird das hohe Maß an Unsicherheit die Aktienmärkte weiter belasten", sagt Doeswijk. Schließlich könnten die anstehenden Parlamentswahlen in Griechenland zu einem Ausstieg des Landes aus der Eurozone führen, obwohl eine solche Entwicklung zum gegenwärtigen Zeitpunkt alles andere als sicher ist.

Ein Austritt Griechenlands aus der EWU könnte für einen Silberstreif am Horizont sorgen

Doeswijk weist aber auch darauf hin, dass ein EWU-Austritt Griechenlands oder ein Run auf spanische Banken wie ein Katalysator wirken und die politisch Verantwortlichen zu weit reichenden Maßnahmen zwingen könnte, um das Vertrauen der Märkte in die Zukunft des Euros wiederherzustellen. Solche positiven Maßnahmen der Politik könnten an den Märkten Euphoriewellen auslösen - ähnlich wie nach der Auflegung der langfristigen Refinanzierungsprogramme durch die EZB.

"In diesem Fall ist eine kräftige Aufwärtsbewegung an den Aktienmärkten in den nächsten Wochen oder Monaten durchaus vorstellbar", meint Doeswijk.

Allerdings ist es ja nicht nur die Sorge um den Euro, die die Stimmung an den Aktienmärkten dämpft. Denn auch die Wirtschaft Chinas verliert weiter an Schwung, und die jüngsten Konjunkturdaten aus den USA fielen schwächer aus als erwartet. Außerdem haben die Analysten erneut begonnen, ihre Gewinnprognosen nach unten zu korrigieren. "Folglich sind weder von Gewinnrevisionen noch vom Bewertungsniveau positive Impulse für Aktien zu erwarten - ungeachtet ihrer zuletzt schwachen Kursentwicklung", merkt Doeswijk an.

Am besten sind die Aussichten für US-Aktien und Aktien aus Schwellenländern

Dennoch ist der Ausblick für Aktien in dem einen oder anderen Wirtschaftsraum freundlicher. Nordamerika gehört zu den vom Financial Markets Research-Team bevorzugten Regionen. "Trotz der Enttäuschungen im Mai entwickelt sich die US-Wirtschaft relativ erfreulich. Außerdem liegen die Gewinnrevisionen dort etwas über dem Durchschnitt", erläutert Doeswijk. Er räumt ein, dass US-Aktien etwas teurer sind als Dividendenpapiere aus anderen Teilen der Welt, meint aber, dass dies für die Investoren gegenwärtig nicht ausschlaggebend ist.

Auch in der zweiten vom Financial Markets Research-Team bevorzugten Region, den Schwellenländern, verläuft die gesamtwirtschaftliche Entwicklung derzeit teilweise enttäuschend. Relativ betrachtet ist das Wirtschaftswachstum in diesen Ländern allerdings immer noch recht hoch, und die langfristigen Aussichten sind gut. "Weitere geld- oder finanzpolitische Stimulierungsmaßnahmen würden die Aktienkurse ebenso beflügeln wie neue Ansätze zur Lösung der Euro-Krise", meint Doeswijk.

Neutrale Einschätzung zu Immobilien

Die Aussichten für Immobilien sind wenig euphorisch. Solange die Weltwirtschaft weiter moderat wächst, sollten sich die niedrigen Zinssätze positiv auf Immobilien auswirken. Nach ein paar Monaten mit einer relativ robusten Wertentwicklung liegt das Bewertungsniveau dieser Anlageklasse - gemessen anhand der wichtigsten Kennzahlen - inzwischen aber über dem historischen Durchschnitt.

Insgesamt geht Doeswijk davon aus, dass die Wertentwicklung von Immobilien der von Aktien entsprechen wird. Er weist aber auch darauf hin, dass sich eine Normalisierung der Anleiherenditen negativ auf die Wertentwicklung von Immobilien in Relation zu Aktien auswirken würde.

Staatsanleihen stehen nach wie vor nicht hoch im Kurs

Das Team bleibt bei seiner negativen Einschätzung zu Staatsanleihen. Die realen Renditen auf Anleihen von relativ soliden Ländern wie den USA oder Deutschland liegen aktuell klar im negativen Bereich. Bspw. beträgt die Verzinsung zehnjähriger Bundesanleihen derzeit nur 1,2% - bei einer erwarteten Inflationsrate von ca. 2% in den nächsten Jahren.

Trotz des dramatischen Renditerückgangs lässt sich nach Doeswijks Meinung schwer beurteilen, ob der Anleihemarkt bereits seinen Scheitelpunkt erreicht hat: "Das Angebot an sicheren Papieren nimmt aufgrund von Ratingherabstufungen ab, während die Risikoaversion die Nachfrage nach solchen Anleihen erhöht." Diese Angebotsverknappung hat strukturelle Ursachen. Die Nachfrage wird dagegen durch den Wahlausgang in Griechenland und dadurch beeinflusst, was die europäischen Politiker tun werden, um die Probleme Spaniens zu bewältigen.

Nach wie vor positive Einschätzung zu Investment Grade-Unternehmensanleihen

Das Financial Markets Research-Team bleibt bei seiner im Vergleich zu Staatsanleihen positiven Haltung zu Investment Grade-Unternehmensanleihen. Wenn sich die Wirtschaft weiter wie bisher über Wasser hält, ist dies gut für Investment Grade-Papiere, weil die Ausfallquoten in diesem Fall niedrig bleiben sollten. Außerdem sind die Zinsaufschläge auf solche Anleihen wegen der Euro-Krise in letzter Zeit gestiegen. "Das heißt, die Anleihenkurse sind jetzt sehr attraktiv", resümiert Doeswijk.

Unter dem Gesichtspunkt von Risiken und Renditen sind High Yield-Anleihen weniger interessant als Investment Grade-Papiere. Die Zinsaufschläge auf High Yield-Anleihen sind historisch betrachtet nicht sonderlich attraktiv. Zudem würde diese Anlageklasse empfindlicher auf eine Verschlechterung der Wirtschaftslage reagieren. Dennoch gibt das Team High Yield-Anleihen den Vorzug vor Staatsanleihen.

Anleihen aus Schwellenländern werden gegenüber Staatsanleihen bevorzugt

Ferner bevorzugen die Team-Mitglieder Schwellenländeranleihen gegenüber Staatsanleihen aus Industrieländern. Allerdings vertreten sie diesen Standpunkt wegen ihrer Bevorzugung von Investment Grade-Unternehmensanleihen mit gewisser Zurückhaltung. "Auch wenn wir Renditen von 6,4% auf Lokalwährungsanleihen aus Schwellenländern für attraktiv halten, bevorzugen wir Investment Grade-Papiere, da diese ein besseres Chancen-Risiko-Verhältnis bieten", merkt Doeswijk hierzu an.

Neutrale Haltung zu Rohstoffen bleibt bestehen

Was Rohstoffe angeht, bleiben die Mitglieder des Teams bei ihrer neutralen Haltung. Mehrere Faktoren stehen einer positiveren Einschätzung entgegen. Bestenfalls kann man erwarten, dass sich die Weltwirtschaft weiter wie bisher über Wasser halten wird. Überdies nehmen die Lagerbestände an Erdöl, Aluminium und Kupfer zu. Der Irak und Libyen gleichen die Drosselung der Ölfördermengen im Iran aus. Und Schließlich wirken sich die Euro-Schuldenkrise und die Sorge über die Wirtschaft Chinas negativ aus.

Der Marktkommentar auf Englisch im pdf-Dokument

Diesen Beitrag teilen: