Dietrich & Richter: 180-Grad-Wendung der EZB zum Bitcoin

Analyse von Leif Richter und Matthias Specht, Dietrich & Richter Private Asset Management AG.

25.10.2024 | 08:06 Uhr

Am 12. Oktober haben die beiden EZB-Mitarbeiter Ulrich Bindseil und Jürgen Schaaf, beide tätig im Bereich Marktinfrastruktur und Zahlungen, ein wissenschaftliches Paper veröffentlicht, das der Frage nachgeht, welche Risiken für die Allgemeinheit durch einen hypothetisch immer weiter steigenden Bitcoin-Preis verursacht werden können.

Zusammengefasst sehen die Autoren Umverteilungsprobleme dadurch gegeben, dass „frühe“ Bitcoin-Besitzer ihren steigenden Wohlstand infolge höherer Bitcoin-Preise nur zu Lasten von späteren Investoren oder Nichtbesitzern erzielen. Dies soll sich dann wiederum negativ auf das gesamtgesellschaftliche Konsumverhalten auswirken, da die Mittel für den „teuren“ Bitcoin-Kauf nicht mehr für Konsumzwecke zur Verfügung stehen. Da der Bitcoin das Produktionspotenzial der Wirtschaft nicht erhöht, soll es demnach zu einem reinen Umverteilungseffekt kommen.

Neben der Umverteilungsproblematik führen die Autoren, die bereits in der Vergangenheit ihre Bitcoin-kritische Haltung zum Ausdruck gebracht haben, typische Argumente gegen Bitcoin ins Feld, die vom Schneeballsystem und ausschließlich kriminellem Nutzen bis hin zum fehlenden inneren Wert und der Ungeeignetheit als Zahlungsmittel reichen. Selbst politische Sprengkraft wird dem Bitcoin beigemessen und das Potenzial von demokratiefeindlichen Strömungen heraufbeschworen mit der Schlussfolgerung, dass Regierungen Bitcoin verbieten müssen.

Jeder der obigen Punkte wurde in der Vergangenheit mehrfach entkräftet und hält einer genaueren Überprüfung nicht stand.

Steigende Preise ein Problem für die Allgemeinheit?

Schauen wir jedoch erst einmal auf den Grundgedanken des Papers mit seiner Annahme, dass immer weiter steigende Bitcoin-Preise zu einem Problem werden könnten. Die Autoren schreiben: „the people never holding Bitcoin would be even worse off compared to the Latecomers“. Also sind diejenigen, die keine Bitcoin halten, noch stärker benachteiligt als die Späteinsteiger. Im November 2022 veröffentlichten die gleichen Autoren einen Blogbeitrag auf der Seite der EZB unter dem Titel „Bitcoin´s last stand – Der letzte Widerstand von Bitcoin“ in dem sie nach dem Zusammenbruch der Kryptobörse FTX bereits vom letzten Aufbäumen des Bitcoins und dem Weg in die Bedeutungslosigkeit philosophierten. Die damalige Veröffentlichung markierte ziemlich genau den lokalen Tiefpunkt des Bitcoin-Kurses, seitdem ging die Kursentwicklung wieder deutlich nach oben. Hätte man den damaligen Ausführungen Glauben geschenkt und seine Bitcoins für Kurse um die 17.000 US-Dollar verkauft, würde man nun zu den Personen zählen, die keine Bitcoin halten und wäre laut dem aktuellen Paper damit noch schlechter gestellt als die Spätinvestoren, die zu aktuellen Kursen bei 67.000 US-Dollar kaufen.

Erst Totalverlust und nun Angst vor weiter steigenden Preisen und einer zunehmenden Bedeutung von Bitcoin? Hier vollziehen die Autoren eine 180-Grad-Wende gegenüber ihrer früheren Argumentation, und man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es vor allem um eine negative Einschätzung zu Bitcoin geht – „whatever it takes“. Es bleiben große Fragezeichen in Bezug auf eine „neutrale“ Einschätzung der EZB hinsichtlich des Bitcoins.

Wie sind die weiteren Ausführungen bzw. Kritikpunkte des aktuellen Papers einzuschätzen?

  • Die frühen Investoren haben einen Vermögenszuwachs zulasten der Spätinvestoren:

Dieses Risiko-Ertrags-Muster gilt genauso für andere Investitionen. Die prozentuale Rendite eines Venture-Capital Investors wird im Erfolgsfall immer höher sein, als die eines späteren Investors, der in das gleiche Unternehmen investiert, wenn es erst einmal börsengelistet ist. Die frühen Bitcoin-Käufer haben ihr Investment zu einer Zeit getätigt, als das Risiko hoch war, weil sie nicht wissen konnten, wie sich das Netzwerk einmal entwickeln wird und wie stabil und dezentral es funktionieren würde.

  • Bitcoin eignet sich nicht für eine große Anzahl an Zahlungen und wird vorwiegend für kriminelle Machenschaften verwendet:

Der Vorwurf, dass vorwiegend illegale Transaktionen über das Bitcoin-Netzwerk abgewickelt werden, wird regelmäßig über die Analysen der Researchfirma Chainanalysis widerlegt, die unter 0,5% aller Transaktionen auf illegale Transaktionen zurückführen.

Den Kritikansatz, dass der Ursprungsgedanke des Whitepapers von Satoshi Nakamoto als peer-to-peer-Netzwerk für schnelle und günstige Zahlungen nicht gegeben ist, kann man bedingt gelten lassen. Allerdings gibt es auch hier mit einer Second-Layer Architektur in Form des Lightning-Netzwerks bereits Lösungen. Und der Gedanke, dass Bitcoin unabhängig von einer Zahlungsfunktion immer mehr zu einer Wertspeicherfunktion tendiert, führt zum nächsten Kritikpunkt.

  • Bitcoin hat keinen inneren Wert und ist eine reine Spekulationsblase

Die Autoren zielen hier auf den Punkt ab, dass Bitcoin an sich keinen Nutzen hat, keinen bestimmbaren inneren Wert und es schlussendlich der reinen Spekulation auf immer höhere Preisniveaus unterliegt. An dieser Stelle mag man einfach dagegenhalten und sagen, dass diese höheren Preise ein Ausdruck der Nachfrage nach einem nicht beliebig inflationierbaren Gut sind und in einem reinen Marktprozess entstehen. Würde man den Ball zurück in das Feld der EZB spielen, müsste man fragen, wieso inzwischen auch professionelle und institutionelle Investoren verstärkt in Anlageklassen wie Bitcoin oder Gold investieren? Die Ursache dürfte wohl u.a. in der seit Jahren abnehmenden Kaufkraft von Euro und US-Dollar zu finden sein.

  • Das entstehende Wohlstandsgefälle spaltet die Gesellschaft und könnte politische Einflussnahme begünstigen

Hier zeigt das Paper auf, dass große Investoren und Firmen aus dem Kryptobereich Kandidaten bzw. Parteien unterstützen, die in Bezug auf Bitcoin oder Kryptowährungen allgemein eher liberal eingestellt sind. Dies sollte man sachlich in den Kontext zu allen übrigen Wirtschaftssektoren setzen, in denen eine Unterstützung für eine Interessensvertretung ebenfalls stattfindet. Die Autoren versuchen an dieser Stelle allerdings bewusst, den Einfluss von großen Bitcoin-Investoren zu überhöhen und unterstellen, dass es durch die drohenden Wohlstandsungleichgewichte zu gesellschaftlichen Spannungen und politischer Destabilisierung kommen kann. Ein Narrativ von Gut und Böse soll offenbar aufgebaut werden: „Nicht-Bitcoin-Besitzer, Spätinvestoren und Politiker sollten erkennen, dass Bitcoin als Investment nur durch eine Umverteilung des Reichtums auf ihre Kosten ermöglicht wird. Sie sollten für eine Politik einstehen, die weitere Preisanstiege im Bitcoin verhindern und den Bitcoin gänzlich verschwinden lassen“. Nach derselben Logik könnte man auch staatliche Eingriffe bei steigenden Aktienkursen oder Immobilienpreisen fordern – man mag bezweifeln, ob dies wirklich eine gute Lösung ist oder doch eher ein Schritt in Richtung Planwirtschaft.

Zusammenfassend …

… lässt sich festhalten, dass die aktuelle „wissenschaftliche“ Ausarbeitung von Bindseil und Schaaf ihre üblichen Angriffspunkte zum Bitcoin enthält, die entweder einseitig oder nicht vollständig argumentiert werden und nur sehr bedingt zutreffen. Neu mag der Ansatz erscheinen, dass in einem „positiven“ Bitcoin-Szenario mit weiter steigenden Preisen ein so starkes Wohlstandsgefälle entstehen soll, dass das Potenzial zur gesellschaftlichen Spaltung besitzt. An dieser Stelle sollte aber bedacht werden, dass gerade die Geldpolitik der Zentralbanken in den letzten Jahrzehnten dazu geführt hat, dass klassische Einlagen massiv an Kaufkraft verloren haben und damit die Zentralbanken selbst zu einer Spaltung in Bezug auf den Wohlstand beigetragen haben. Wer sich als Investor durch den Kauf von Bitcoin, Gold oder auch anderen Sachwerten wie Aktien davor schützen wollte, soll nun in der Logik der Autoren dies alles auf dem Rücken der „übrigen“ Gesellschaft getan haben. Aber wer ist die „übrige“ Gesellschaft? Denn der Bitcoin als Investment darf in einer solchen Betrachtung nicht isoliert werden, sondern muss zusammen mit den eben erwähnten Assetklassen gesehen werden und der Intention, sein Vermögen nicht in beliebig inflationierbaren Währungen zu halten.

Die generelle Kritik der Autoren am Bitcoin muss auch im Kontext der Bestrebungen der EZB hinsichtlich der Einführung einer eigenen digitalen Zentralbankwährung, dem digitalen Euro, verstanden werden. Hier sieht sich die Zentralbank mit dem Bitcoin als bedeutendste Kryptowährung und etablierten Zahlungsdiensten wie Paypal oder Apple-Pay einer starken Konkurrenz gegenüber. Der Erfolg oder Misserfolg des digitalen Euros aufgrund mangelnder Akzeptanz in der Gesellschaft, dürfte also nicht unerheblich von diesen Gegenspielern abhängen.

Die Position der EZB zum Bitcoin lässt an das Gandhi zugeschriebene Zitat denken: “first they ignore you, then they laugh at you, then they fight you, then you win”.
Wir sind in Phase drei angekommen.

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