DJE-Marktkommentar: Das Comeback der Anleihen
Die Anlageklasse der Anleihen erfreute sich aufgrund ihrer weitgehenden Stabilität für lange Zeit bei professionellen und privaten Anlegern einer großen Beliebtheit und diente in den Portfolios nicht selten zur Risikominderung und Diversifizierung.19.12.2022 | 12:05 Uhr
Doch angesichts der Inflation und steigenden Marktzinsen
setzte in diesem Jahr ein breiter Ausverkauf am Anleihenmarkt ein, der den seit
drei Jahrzehnten andauernden Bullenmarkt jäh beendete. Nun aber könnte ein
guter Zeitpunkt zum Wiedereinstieg gekommen sein, der sich nicht nur in den
gestiegenen Renditen der Zinspapiere offenbart. Wieso das so ist und worauf
Anleger im aktuellen Marktfeld achten sollten, erklären wir im nachfolgenden
Q&A zur Situation an den Anleihenmärkten.
Woher kommt der aktuelle Aufwind für die Assetklasse Anleihen?
Hintergrund für die höheren Zinsen ist der restriktive geldpolitische Kurs der
Notenbanken, der auf den stark gestiegenen Inflationsraten fußt. Deren Anstieg
hängt wiederum mit den explodierenden Energiepreisen zusammen.
Dies ist in erster Linie auf den Krieg in der Ukraine zurückzuführen. Das Bild
ist aber nicht einheitlich: So sorgt in Europa vor allem das knappe Angebot von
Öl und Gas für die derzeit immer noch hohen Inflationsraten. In den USA
hingegen haben wir es mit einer nachfragegetriebenen Inflation zu tun, die auf
gestiegene Lohnkosten und eine rückläufige Sparquote zurückzuführen ist. Zwar
ist die US-Notenbank Fed bei den Zinserhöhungen der Europäischen Zentralbank
EZB deutlich voraus, aber die Europäer ziehen mittlerweile nach. Die
Anlageklasse der Anleihen profitiert aktuell davon, dass nun neue Kupons mit
einem höheren Zinsniveau auf den Markt kommen, was sie für Anleger deutlich
interessanter werden lässt. Außerdem sehen viele verzinsliche Papiere nach den
Kursverlusten in diesem Jahr wieder attraktiv aus.
Worauf sollten Anlegerinnen und Anleger grundsätzlich achten, um von den gestiegenen Zinsen und Renditen zu profitieren?
Wir sehen einen deutlichen Trend hin zu Qualität: Staatsanleihen oder Corporate
Bonds mit Investmentgrade-Rating in US-Dollar oder Euro stehen hier im Fokus.
Vorsichtiger sollte man hingegen im Bereich High Yield angesichts höherer
Wahrscheinlichkeiten für Ausfallrisiken (CDS-Entwicklung) sein. Zudem sollte
man die Zinsstrukturkurven nicht völlig außer Acht lassen: Hier zeigt sich,
dass z. B. in den USA die Zinsen für kurzlaufende Anleihen höher sind als für
langlaufende Papiere. Auch in Europa ist das inverse Bild ähnlich. In der
Vergangenheit war dies immer ein Indikator dafür, dass eine Rezession
bevorsteht. Wenn sich die Wahrscheinlichkeit dafür erhöht, spricht dies für den
Kauf von Anleihen mit längeren Laufzeiten, da dort bei einer Rezession die
Zinsen über die gesamte Kurve zurückgehen, was wiederum Kursgewinne besonders
bei den langlaufenden Papieren bedeutet.
Welche Sektoren und Branchen haben in jüngster Zeit gut abgeschnitten?
Außerordentlich positiv haben sich jüngst Bonds aus dem Öl- und Gassektor
entwickelt, da sie von den Preissteigerungen im Rohstoffsektor profitieren
konnten. Aber auch Anleihen aus dem Pharmasektor haben angesichts der
demografischen Entwicklung in den Industrieländern gut performt. Allerdings
schauen wir uns auch zyklische Automobilzulieferer nach eingehender Analyse
durch unser hauseigenes Research an. Das gleiche gilt ebenfalls für den
Airline-Bereich.
Wie ist das aktuelle Kreditausfallrisiko einzuschätzen?
Wir schätzen die Ausfallrisiken aktuell als nicht unerheblich ein. Mit Blick
auf die Erzeugerpreise zeigt sich, dass manche Produzenten deutlich mehr für
ihre Vorerzeugnisse bezahlen müssen. Viele Branchen unterliegen auch einem
tiefgreifenden Wandel, sei es aufgrund der Digitalisierung oder des
Fachkräftemangels. Aufgrund dieser Entwicklungen gehen wir bei der Auswahl von
High-Yield-Papieren besonders selektiv vor.
Wie hoch schätzen Sie das Risiko einer neuen Euro-Krise angesichts der gestiegenen Zinsen ein?
Derzeit schätzen wir das Risiko einer erneuten Eurokrise als moderat ein. Die
EZB hat mit dem Transmission Protection Instrument, kurz TPI, ein neues
Werkzeug geschaffen, mit dem sie die Spreads zwischen Bundesanleihen und
Anleihen der europäischen Peripheriestaaten steuern kann – was auch schon mit
dem Verkauf deutscher und holländischer Staatsanleihen und dem Kauf
italienischer und spanischer Papiere geschehen ist.
Wohin entwickeln sich die Zinsen?
In den USA zeigte sich, dass die Fed bei ihrer letzten Sitzung Tempo aus den
Zinserhöhungen nahm. Es wurde eine Zinsanhebung um 50 Basispunkte
beschlossen. Weitere Zinserhöhungen sind denkbar, denn die Fed sieht sich im
Kampf gegen die Inflation noch nicht am Ziel. Folglich könnte sich die
Fed-Fundrate im kommenden Jahr auf 5% hinbewegen. Zwar stellt die US-Notenbank
bei ihren Maßnahmen derzeit die Inflationsbekämpfung klar in den Vordergrund,
Ziel dürfte hier aber auch ein soft landing der Wirtschaft sein. Im kommenden
Jahr können wir uns vorstellen, dass die Inflation in den USA auf einen
Korridor von drei bis vier Prozent zurückgeht.
Da die Teuerungsrate in der Eurozone noch höher ist als in den USA, ist
erkennbar, dass die EZB beim Kampf gegen die Preissteigerungen weiterhin hinter
der Kurve ist. Eine Inflationsrate von vier bis fünf Prozent in der Eurozone
schätzen wir für 2023 als realistisch ein. Trotzdem können wir uns vorstellen,
dass der Leitzins in Europa zum Ende des ersten Quartals bzw. im zweiten
Quartal 2023 jenseits von drei Prozent liegen könnte.
Wie schätzen Sie die weitere Entwicklung an den Anleihemärkten ein?
Die Entwicklung der Spreads bzw. der Risikoaufschläge hochwertiger
Unternehmensanleihen im Vergleich zu Staatspapieren sollte bei einer nur milden
Rezession relativ stabil bleiben, während sie sich im High Yield-Bereich
ausweiten könnten. Die Konjunkturentwicklung spielt hierfür eine entscheidende
Rolle.
Eine besondere Situation könnte sich in Japan zeigen. So steht bei der Bank of
Japan im kommenden Jahr nicht nur ein Führungswechsel bevor, sondern möglicherweise
auch eine teilweise Abkehr von ihrer jahrzehntelangen Niedrigzinspolitik,
zumindest aber von der bestehenden Praxis der Yield-Curve-Control. Hier ist
aber mit einer sehr vorsichtigen Umsteuerung seitens der Bank of Japan zu
rechnen. Der Yen könnte folglich langsam wieder an Stärke gewinnen.
Welche Ereignisse könnten sich im kommenden Jahr auf die Anleihenmärkte auswirken?
Geopolitische Krisen wirken sich tendenziell negativ auf die Aktienmärkte aus
und könnten Investoren dazu bewegen, Kapital aus dem Aktienmarkt abzuziehen und
in den sicheren Hafen der (Staats-)Anleihen umzuschichten. Ein solches Szenario
könnte einen deutlichen Verfall der Renditen bei Staatsanleihen nach sich
ziehen. Weiterhin ist offen, wie weit die Zentralbanken angesichts des Rezessionsszenarios
mit den Zinserhöhungen gehen werden. Die sich abzeichnende Öffnungsstrategie
der Null-Covid-Politik in China dürfte sich nachfragesteigernd auf den Ölmarkt
auswirken, was allerdings die Inflation in den USA und in Europa wiederum
erhöhen würde.
Wie kann man angesichts so vieler Risiko-Szenarien ein robustes Anleihen-Portfolio aufbauen?
Die Basis eines robusten Anleihen-Portfolios bildet eine detaillierte
Titelauswahl, wobei wir gleichermaßen auf eine strategische und eine taktische
Komponente setzen. Die strategische Komponente wäre ein breit gefächertes
Basis-Portfolio aus Staats- und Unternehmensanleihen mit guter Bonität
(Investment Grade). Mit Blick auf die taktische Selektion schaut man nach
Sondersituationen am Markt, auf die es zu reagieren gilt. Ein Beispiel hierfür
ist die Zeichnung von vielversprechenden Neuemissionen.
Eine weitere taktische Stellschraube ist die markphasenabhängige Steuerung des
Währungs-Exposure sowie der Duration mittels Overlay-Management. Buy and hold
ist aus unserer Sicht keine geeignete Strategie, sondern wir zielen darauf ab,
als aktiver Manager mittels Overlay-Management eine zusätzliche Performance zu
generieren. Das bedeutet auch, sich im Rahmen einer aktiven Risikosteuerung
zügig von Positionen zu trennen, die der Portfoliobeimischung nicht mehr
angemessen sind.
Wenn Sie dem Anleihejahr 2022 ein Etikett geben müssten: Was steht drauf?
Mit Blick auf das Jahr 2022 muss man aufgrund des ungewöhnlich starken und schnellen Zinsanstieges von einem „Renten-Crash“ sprechen. Das bevorstehende Jahr 2023 könnte man hingegen mit „ja, aber“ umschreiben. Anleger sollten Anleihen nicht außer Acht lassen. Der Fokus sollte vor allem auf Emittenten mit solider Bonität gesetzt werden, die eine gute Marktstellung und gute Chancen vorweisen können, auch eine Rezession zu überstehen. Allerdings müssen sich Anleger bewusst sein, dass angesichts der Inflation die derzeitigen Zinserhöhungszyklen noch nicht vorbei sind. Wenn die Inflation aber zurückgeht, ist eine Rallye am Rentenmarkt nicht ausgeschlossen.
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