Donner & Reuschel: Corona & Märkte - Mumm Briefing zum Wochenausklang 2. Juli 2021
Aktuell sinken die Corona-Neufallzahlen in vielen europäischen Staaten weiter, was eine wesentliche Voraussetzung für die breite, nahezu alle Segmente der Wirtschaft umfassende Erholung ist.02.07.2021 | 12:07 Uhr
Allerdings zeigt der steigende Anteil der Delta-Variante bei den Neuinfektionen – und die steigenden Fallzahlen in Großbritannien und Portugal – dass das Auftreten neuer Varianten auch zu erneuten Shutdowns und damit wirtschaftlichen Rückschlägen führen kann.
Zuletzt war im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Entwicklung vermehrt von einer Goldilocks-Economy die Rede – also einem bestmöglichen Zustand einer Volkswirtschaft mit positiven Wachstumsraten, dynamischen Investitionen und Konsum, moderater Inflation, niedrigen Zinsen und hoher Beschäftigung. Einen solchen Zustand gab es zuletzt Ende 2017 in Deutschland, Teilen der Eurozone und in den USA.
Tatsächlich sind die globalen Wachstumsperspektiven für 2021 und 2022 angesichts des Aufschwungs nach der Coronakrise sehr positiv. In Europa unterstützt – neben der schon lange dynamisch produzierenden Industrie – zunehmend auch der Konsum und damit der Dienstleistungssektor die Konjunktur, nicht zuletzt aufgrund nur moderat gestiegener und zuletzt sinkender Arbeitslosenquoten.
Allerdings sind derzeit auch deutliche Unwuchten erkennbar, die vor allem aus den immer stärker zunehmenden Engpässen bei Zulieferungen, Rohstoffen und Transportkapazitäten resultieren. Viele Unternehmen müssen ihre Produktion deshalb drosseln, obwohl die Nachfrage extrem hoch ist. Erkennbar sind diese ökonomischen Verzerrungen durch den Vergleich des derzeit rekordhohen Auftragsbestands im Verarbeitenden Gewerbe in Deutschland und der immer noch leicht unter dem Vorkrisenniveau rangierenden Industrieproduktion (Produktions-/Nachfragelücke).
Auch die resultierenden erheblichen Produktionskostenexplosionen sprechen gegen das Bild einer Goldilocks-Economy, denn sie beschleunigen den zuletzt deutlich gestiegenen Trend zu höheren Inflationsraten. Vor allem in den USA wird die ohnehin höhere Inflationsdynamik durch ein Auseinanderklaffen von moderatem Angebot und stark gestiegener Nachfrage am Arbeitsmarkt untermauert. Viele Menschen bevorzugen derzeit die nach wie vor hohe staatliche Arbeitslosenunterstützung oder können die nachgefragten Qualifikationen nicht vorweisen. Daher sind Unternehmen oftmals nur unter Inkaufnahme von höheren Lohnzahlungen in der Lage, freie Stellen zu besetzen.
Generell wird die wirtschaftliche Erholung weiter durch Fiskalpakete unterstützt. So konnte sich US-Präsident Joe Biden gerade mit ausgewählten republikanischen und demokratischen Senatoren auf ein Infrastrukturpaket in Höhe von 579 Mrd. US-Dollar einigen, durch das die schon lange angekündigten Investitionen in öffentliche Verkehrsmittel, Straßen, Brücken, Wasserwege, das Stromnetz, die Breitbandversorgung u.a. finanziert werden sollen. Es ist davon auszugehen, dass der ausgehandelte Kompromiss kurzfristig die erforderliche Mehrheit von 60 Stimmen im US-Senat erreichen wird. Allerdings wurden wichtige Aspekte zunächst ausgeklammert, wie bspw. die von Biden vorgesehenen Steuererhöhungen für Unternehmen zur Gegenfinanzierung der Ausgaben. Zudem kündigte der Präsident an, dass perspektivisch weitere Investitionsprogramme beschlossen werden sollen.
In Europa stehen in den nächsten Monaten erste Auszahlungen aus dem „NextGeneration-EU“-Programm der EU-Kommission auf der Agenda. Mittlerweile haben fast alle EU-Staaten ihre nationalen Aufbau- und Resilienzpläne bei der Kommission eingereicht, die als Bedingung zur Genehmigung darauf achtet, dass die gewünschten Investitionsschwerpunkte zur Bekämpfung des Klimawandels und zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit erfolgen. Zur Finanzierung werden von der Kommission erstmals eigene Anleihen emittiert. Eine erste Emission über 20 Mrd. Euro mit einer Laufzeit von 10 Jahren wurde kürzlich erfolgreich platziert. Insgesamt sollen bis 2026 Anleihen im Gegenwert von 800 Mrd. Euro begeben werden. Weitere Auszahlungen erfolgen nur, wenn der jeweils vorgesehene Investitionszweck der Kommission nachgewiesen wird. Damit könnten die Investitionen tatsächlich einen deutlichen Fortschritt bei der Erreichung einer zunehmenden Konvergenz der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen innerhalb Europas erreichen, nachdem die Coronakrise zu einer stärkeren Divergenz geführt hat, denn die wirtschaftlich schwächer aufgestellten Volkswirtschaften hatten stärkere Einbrüche und eine langsamere Erholung zu verzeichnen.