Ein globales Steuerabkommen für die Reichen

Titel der Publikation: Ein globales Steuerabkommen für die Reichen
Veröffentlichung: 08/2021
Autor: José Antonio Ocampo und Tommaso Faccio
Auftraggeber: Project Syndicate
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Historisch, bahnbrechend, revolutionär: So lautete die verbreitete Reaktion auf die jüngste Übereinkunft der G7-Finanzminister über einen weltweiten effektiven Mindeststeuersatz von „mindestens 15%“ für große multinationale Konzerne.

09.08.2021 | 07:15 Uhr

Die Minister einigten sich zudem auf eine neue Formel zur Zuteilung eines Anteils der Steuereinnahmen von diesen Unternehmen auf die einzelnen Länder. Doch sollte das wie auch immer geartete globale Steuerabkommen, das daraus letztendlich hervorgehen wird, die Interessen der ganzen Welt – einschließlich der Entwicklungsländer – und nicht nur die von sieben großen entwickelten Volkswirtschaften widerspiegeln.

Die Entwicklungsländer sind besonders stark auf Einnahmen aus der Körperschaftsteuer angewiesen und leiden daher auch stärker unter der Steuervermeidung durch die Multis, die jedes Jahr zu weltweiten Einnahmeverlusten von mindestens 240 Milliarden Dollar führt.

Viele Entwicklungsländer – insbesondere die einkommensschwachen Länder – nehmen noch nicht einmal an den Verhandlungen über das breiter angelegte OECD/G20 Inclusive Framework on Base Erosion and Profit Shifting teil. Die es tun, wurden dabei bisher von der Intergovernmental Group of Twenty-Four (G24) und vom African Tax Administration Forum (ATAF) vertreten, die die Positionen der bei den Verhandlungen aktiven Mitgliedsstaaten miteinander abstimmen. Einige G24-Mitglieder, darunter Argentinien, Brasilien, Indien, Mexiko und Südafrika, gehören auch der G20 an.

Die erste Sorge bezüglich der G7-Vereinbarung ist, dass der vorgeschlagene Mindeststeuersatz von 15% niedrig ist und eng an den Steuersätzen von Steueroasen wie der Schweiz und Irland liegt. Dies spiegelt den Wunsch mehrerer G7-Länder wider, ihre eigenen Multis zu schützen, statt der Regierung von US-Präsident Joe Biden zu folgen, die sich ursprünglich für einen globalen Mindeststeuersatz von 21% ausgesprochen hatte.

Zudem soll im Rahmen des gegenwärtigen Vorschlags der größte Teil der zusätzlichen Steuereinnahmen an die Heimatländer der Multis gehen und nicht an die sogenannten Ursprungsländer, in denen diese Unternehmen ihre Gewinne erzielen. Es überrascht nicht, dass die G24-Länder – insbesondere was die Bezahlung von Dienstleistungen und Kapitalerträge angeht – den Ursprungsländern Priorität bei der Anwendung der Mindeststeuer einräumen möchten, um ihre Steuerbasis zu schützen. Den Heimatländern der globalen Konzerne Priorität einzuräumen wird die Ungerechtigkeit, die das derzeitige internationale Steuersystem kennzeichnet, noch verschärfen und nicht abmildern.

Welche Einnahmen die Mindeststeuer generiert wird vom Steuersatz abhängen. Laut einer aktuellen Studie der Europäischen Steuerbeobachtungsstelle würde ein Mindeststeuersatz von 21% den 27 EU-Ländern 2021 zusätzliche Körperschaftsteuereinnahmen in Höhe von 100 Milliarden Euro einbringen, während ein Steuersatz von 15% die Hälfte brächte. Was die Entwicklungsländer angeht, fällt der Unterschied sogar noch deutlicher aus. Bei einem Steuersatz von 15% würden Südafrika und Brasilien zusätzliche 600 bzw. 900 Millionen Euro erhalten, verglichen mit zwei bzw. 3,4 Milliarden Euro bei einem Steuersatz von 21%.

Die meisten afrikanischen Länder weisen Körperschaftsteuersätze von 25-35% auf; ein globaler Steuersatz von rund 15% ist schlicht zu niedrig und würde daher kaum zu einer deutlichen Verringerung der Gewinnverschiebungen aus der Region führen. Die Länder der G7 und der G20 müssen ihre globale Führung unter Beweis stellen, indem sie sich einseitig zur Einführung eines viel höheren Mindeststeuersatzes verpflichten als dem, der letztendlich vereinbart wird. Dieser sollte mindestens 21% betragen, wie das die USA vorgeschlagen hatten, oder besser noch 25%.

Der zweite Teil der G7-Vereinbarung führt eine Formel ein, um die globalen Gewinne der multinationalen Konzerne für Steuerzwecke zuzuordnen. Allerdings würde der Vorschlag nur auf die größten Unternehmen mit globalen Gewinnmargen von mindestens 10% Anwendung finden. Mindestens 20% ihres diese Schwelle übersteigenden sogenannten „Residualgewinns“ unterläge dabei der Besteuerung in den Ländern, in denen er generiert wird.

Obwohl diese neue Regel US-Technologieriesen wie Apple, Facebook und Google treffen würde, wird sie womöglich letztlich nur auf einen winzigen Bruchteil der weltweiten Gewinne der rund 100 größten Multis angewandt. Das bedeutet, dass die Maßnahme kaum zusätzliche Steuereinnahmen generieren wird – vielleicht nicht einmal zehn Milliarden Dollar weltweit pro Jahr.

Die G24 hat eine stärkere Umverteilung der globalen Gewinne verlangt, bei der der umzuschichtende Anteil für die gewinnstärksten Unternehmen 30% bis 50% betragen sollte. In ähnlicher Weise hat ATAF gefordert, dass die Regeln auf alle Multis mit einem Jahresumsatz von mehr als 250 Millionen Euro Anwendung finden sollten, was deutlich unter der von der G7 vorgeschlagenen Schwelle von zehn Milliarden Dollar liegt. ATAF argumentiert, dass ein Prozentsatz aller weltweiten Gewinne – egal, ob Routine- oder Residualgewinn – den Ländern zugeordnet werden sollte, in denen die Unternehmen ihre Geschäfte tätigen.

Tatsächlich ist es unmöglich, konzeptionell zwischen „Routinegewinnen“ und „Residualgewinnen“ eines multinationalen Konzerns zu unterscheiden, da alle Gewinne im Wesentlichen das Ergebnis der globalen Aktivitäten des Unternehmens sind. Eine einfachere Lösung bestünde darin, die weltweiten Gewinne zwischen den einzelnen Ländern auf Basis einer Formel zuzuordnen, und zwar gemäß den Schlüsselfaktoren, die Gewinne generieren: Beschäftigung, Umsatz und Vermögen.

Eine derartige Regel trüge dazu bei, fairere Wettbewerbsbedingungen zu schaffen, Verzerrungen abzubauen, Möglichkeiten zur Steuervermeidung zu begrenzen und den multinationalen Konzernen und den Anlegern Sicherheit zu bieten. Die seitens der G7 vorgeschlagene Unterscheidung zwischen Routine- und Residualgewinnen spiegelt stattdessen eine politische Vereinbarung wider, um eine weitreichende globale Neuzuteilung von Steuern und Umsätzen zu vermeiden.

Die globalen Steuerverhandlungen scheinen die laufenden COVID-19-Impfstoffdiskussionen bei der Welthandelsorganisation widerzuspiegeln, wo die EU-Regierungen die von den Entwicklungsländern geforderte und von den USA unterstützte vorübergehende Aussetzung geistiger Eigentumsrechte blockieren. In beiden Fällen erfordert globale Führung, über die nationalen Interessen hinauszugehen, um sicherzustellen, dass alle Länder über ausreichende Ressourcen verfügen, um nach der Pandemie gerechtere und resilientere Volkswirtschaften aufzubauen. Dies macht es nötig, die Forderungen der Entwicklungsländer auf eine Weise aufzugreifen, die nicht nur historisch ist, sondern auch fair.

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