ESG und Staatsanleihen

Raymond Verstraelen, Senior-Portfoliomanager im Staatsanleihen-Team bei Robeco, erklärt, wie ESG-Kriterien bei Anlageentscheidungen dem Team bei Anlageentscheidungen helfen, um besser durch die Euro-Schuldenkrise zu steuern.

15.02.2012 | 15:30 Uhr

Es gibt zur Zeit viel Aufmerksamkeit für das Thema „Berücksichtigung von ökologischen. sozialen und Unternehmensführungskriterien (kurz: ESG-Kriterien) bei Anlageentscheidungen“. Das Interesse an solchen Modethemen lässt oft genauso schnell wieder nach wie es entsteht. Wie Raymond Verstraelen betont, ist ESG aber mehr als eine Modeerscheinung. Es ist auch keine nette, aber nicht unbedingt erforderliche Erweiterung. Bei Robeco ist die Berücksichtigung von ESG-Kriterien zu einem zentralen Bestandteil des Anlageprozesses geworden.

Im Rentenbereich führt das Staatsanleihen-Team von Robeco bereits seit vier Jahren ESG-Analysen durch. Außerdem ist die Berücksichtigung von ESG-Kriterien neben zwei eher traditionellen Input-Größen, nämlich dem Konjunkturzyklus und der Tragfähigkeit der Verschuldung, vollständig in den Portfolio-Strukturierungsprozess integriert worden (s. Grafik 1).

Grafik 1: ESG ist eine von drei Säulen des Länder-Allokationsmodells von Robeco

ESG-Analysen werden eine tragende Rolle eingeräumt, weil sie ein besseres Verständnis der Dynamik der Staatsverschuldung ermöglichen, die durch andere Arten von Analysen nicht erfasst wird.

"Wo traditionelle Analysen aufhören, geht ESG weiter," erklärt Verstraelen. "ESG-Analysen vermitteln einen besseren Eindruck, wie ein Land tatsächlich geführt wird. Der große Vorteil von ESG-Länderanalysen besteht darin, dass damit mögliche Probleme für ein Land frühzeitig erkannt werden können."

Der ESG-Input muss verlässlich und beständig sein Wie funktionieren ESG-Analysen in der alltäglichen Praxis? Für das Staatsanleihen-Team geht es darum, ESG-Analysen so zu konzipieren, dass sie für den Rentenmarkt relevant sind. Ausgehend von dieser Anforderung sind die abschließenden ESG-Profile des Teams das Ergebnis von eigenem Research und einer gründlichen Auswertung der Informationen von externen Anbietern von ESG-Daten.

Verstraelen macht deutlicht, dass diese Analyse wichtig ist um sicherzustellen, dass die externen Daten verlässlich, beständig und relevant sind. Das eigene Research ist dagegen erforderlich, um wichtige Aspekte zu erfassen, die von den externen Informationsanbietern des Teams nicht ausreichend berücksichtigt werden.

Einer dieser Aspekte ist z.B. die Alterung der Bevölkerung eines Landes. Inwieweit berücksichtigt die Regierung eines Landes zukünftige, mit dem Alter der Bevölkerung zusammenhängende Kosten? Welche Maßnahmen ergreift sie um sicherzustellen, dass die Finanzlage des Landes dauerhaft tragbar ist?

Andere Aspekte sind der Energieverbrauch (wie steht das Land im Vergleich zu anderen Ländern beim Energieverbrauch, der Abhängigkeit von Energielieferungen aus dem Ausland und der Effizienz der Energienutzung da?) und politische Risiken. "Daten zu Fragen wie dem sozialen Zusammenhalt, der Arbeitsweise der Regierung und politischen Risiken helfen dabei, potenzielle Risiken und Chancen zu erkennen," sagt Verstraelen.

Der letzte Schritt besteht darin, das abschließende ESG-Profil in den Anlageentscheidungsprozess einfließen zu lassen. Wie bei den meisten Variablen ändert sich auch die Bedeutung von ESG für die Prognose zukünftiger Marktbewegungen. Das Gewicht, das ESG bei einzelnen Anlageentscheidungen erhält, ist deshalb nicht unveränderlich, sondern vielmehr Ermessenssache.

"Unsere ESG-Analyse hat uns einen bedeutenden Vorsprung bei der Erkennung der Faktoren gegeben, die schließlich zur Herabstufung von Frankreich geführt haben."
Senior-Portfoliomanager Raymond Verstraelen

Ein wichtiger Kompass, um durch die Euro-Schuldenkrise zu navigieren
Nachdem wir uns angesehen haben, wie die Integration von ESG-Faktoren funktioniert, wenden wir uns jetzt der Frage zu, wie sich ESG-Analysen auf Anlageentscheidungen auswirken.  Verstraelen weist darauf hin, dass die ESG-Analyse ein wichtiger Kompass war und ist, um durch die Euro-Schuldenkrise zu navigieren: "Damit konnten wir im Anfangsstadium der Euro-Schuldenkrise effektiver zwischen Ländern differenzieren. Wir konnten politische Versprechungen bezüglich Wachstum und Sparmaßnahmen aus einem anderen Blickwinkel betrachten und deren Realisierbarkeit besser beurteilen."

ESG-Analysen lieferten Frühwarnsignale, sodass das Team seine Engagements in den einzelnen Ländern der Eurozone anpassen konnte. "Es besteht eine direkte Verbindung zwischen unseren Analysen und unseren Anlageentscheidungen," sagt Verstraelen.

Griechenland und Portugal schneiden in puncto ESG am schlechtesten ab
Welche Erkenntnisse haben die ESG-Analysen zur Eurozone geliefert? Wie in Grafik 2 dargestellt, stehen Finnland und die Niederlande bei der Erfüllung von ESG-Kriterien innerhalb der EWU am besten da. Am anderen Ende der Skala befinden sich Griechenland, Portugal, Spanien und Italien. Es ist kein Zufall, dass es sich dabei um die Länder handelt, die am stärksten von der Euro-Krise betroffen sind.

Grafik 2: Robecos ESG-Rangliste der EWU-Länder

Betrachten wir zum Beispiel Griechenland: Durch die ESG-Analyse wurden Faktoren wie die Unzulänglichkeit der öffentlichen Einrichtungen Griechenlands (bspw. gibt es dort kein eigenes Statistikamt), das hohe Maß an Korruption und die wenig ausgeprägte Rechtsstaatlichkeit offenbart. "Es ist schwierig, eine Trendwende zu schaffen, wenn noch nicht einmal so grundlegende Daten wie die Zahl der Einwohner in einem bestimmten Gebiet verfügbar sind," merkt Verstraelen hierzu an.

ESG-Analysen sandten Warnsignale aus, das Engagement in französischen Staatsanleihen ab 2010 zurückzufahren
Aber nicht nur wenn es darum geht zu erkennen, welche Länder von Zahlungsunfähigkeit bedroht sind, erweisen sich ESG-Kriterien als hilfreich. Sie helfen auch dabei, zwischen Ländern zu unterscheiden, die angesichts identischer Ratings von den Ratingagenturen anscheinend dieselbe Bonität besitzen.

Denken wir an Frankreich; Bis Januar hatte das Land ein AAA-Rating. Aber schon einige Zeit vor dem Jahreswechsel machten die Analysen des Robeco-Teams deutlich, dass Frankreich bei den ESG-Kriterien mit großem Abstand hinter den Niederlanden lag.

Dafür gab und gibt es eine Reihe von Gründen:

  • Erstens sind die Pensionskosten in Frankreich sehr hoch. Zwar hat die Regierung einige Rentenreformen durchgesetzt. Diese reichen aber nicht aus, um das Problem in seiner Gesamtheit zu lösen.
  • Zweitens nimmt die politische Stabilität in Frankreich wegen nachlassender Unterstützung durch die Öffentlichkeit ab.
  • Drittens schadet der relativ unflexible Arbeitsmarkt der Wettbewerbsfähigkeit des Landes. Aufgrund dieser Gegebenheiten dürfte es schwierig werden, dringend erforderliche Strukturreformen umzusetzen.

Deshalb blinkten auch für franzöische Staatsanleihen die Warnleuchten. "Unsere ESG-Analyse hat uns einen bedeutenden Vorsprung bei der Erkennung der Faktoren gegeben, die schließlich zur Herabstufung von Frankreich geführt haben," sagt Verstraelen. "Bereits 2010 haben wir damit begonnen, unsere Engagements in Frankreich zurückzufahren." Da das Staatsanleihen-Team von Robeco schon früh den ESG-Ansatz auf Länderebene angewandt hat, kann es jetzt die Erfolge dieser Maßnahme ernten.

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