Expertenanalyse: „Ist die Deutsche Bank der nächste Dominostein, der fällt?“
Jede Woche veröffentlichen führende Vermögensverwalter weltweit zahlreiche fundierte Einschätzungen zu den Finanz- und Kapitalmarktmärkten. TiAM FundResearch fasst regelmäßig die wichtigsten Aussagen für Sie kompakt zusammen.31.03.2023 | 12:43 Uhr von «Peter Gewalt»
Bei den Kapitalmarktexperten standen diese Woche neben der Bankenkrise die neuen Inflationsdaten und ihre Folgen im Fokus ihrer Analysen.
So analysiert Katharine Neiss, Europäische
Chefvolkswirtin bei PGIM Fixed Income, ob in der Bankenkrise die Verflechtung
zwischen europäischen Banken und Staatsanleihen eine Gefahr ist:
„Bei
der laufenden Bewertung der Auswirkungen der jüngsten Bankenturbulenzen
verdienen die Bedingungen in Europa eine besonders genaue Betrachtung. Allein
die Bankkredite des Privatsektors machen etwa 115 Prozent des BIP im Euroraums
aus, im Vergleich dazu sind es in den USA nur 66 Prozent des BIPs. Wir glauben,
dass eine Ansteckung europäischer Banken eingedämmt werden kann, allerdings
möglicherweise auf Kosten einer erhöhten Risikoanfälligkeit für einige
Staatsanleihen. Ein Beispiel für die Verflechtung zwischen europäischen Banken
und den Staaten ist der Besitz von mehr als 25 Prozent der italienischen
Staatsschulden durch italienische Banken. Dies stellt eine Schwachstelle für
beide Seiten dar.
Sollte die italienische Verschuldung erneut unter Druck geraten, insbesondere
wenn die EZB ihre quantitative Straffung in Angriff nimmt, könnte das neue,
noch nicht erprobte Transmissionsschutzinstrument (TPI) der EZB zum Einsatz
kommen. Italien erfüllt derzeit die Kriterien für die Inanspruchnahme dieser
Fazilität, mit der den Risiken einer Fragmentierung der Anleihemärkte in Europa
entgegengewirkt werden soll. Erste Vorschläge deuten darauf hin, dass das TPI
in einem Spread-Bereich von 200-250 Basispunkten ausgelöst werden könnte. Am
Montag lagen die 10-jährigen italienischen BTP-Renditen 184 Basispunkte über
jenen der 10-jährigen deutschen Staatsanleihen.
[…..]
Positiv betrachtet, hat der jüngste Stress im Bankensektor die Verantwortlichen für Geldpolitik dazu veranlasst, zu prüfen, ihre Reihe von Zinserhöhungen zu verlangsamen, zu stoppen oder rückgängig zu machen, um die Panik zu mildern und die wirtschaftliche Expansion zu verlängern. Dazu scheint es eine herzeigbare Erfolgsbilanz der Politik zu geben, die verhindern soll, dass eine Finanzkrise eine ansonsten gesunde Wirtschaft zum Einsturz bringt: Der Zyklus 1986-1989 überstand den Börsencrash von 1987, und der Zyklus 1994-2001 überstand die asiatische Schuldenkrise, den Zahlungsausfall Russlands und den Zusammenbruch von Long-Term Capital Management. In diesen Fällen lockerte die Fed die Geldpolitik in der Mitte des Zyklus, nahm aber anschließend die Zinserhöhungen wieder auf, als die Expansionen weitergingen.
Und Jérémie Boudinet,
Head of Investment Grade Credit bei La Française AM, antwortet auf die Frage: „Ist die Deutsche Bank der nächste
Dominostein, der fällt?“ mit: „Nein,
unserer Meinung nach keineswegs.“:
„Das Kursgeschehen, das wir beim Aktienkurs,
den CDS-Kontrakten und den Anleihen der Deutschen Bank beobachten konnten,
entbehrte jeglicher Grundlage. Es gab absolut nichts Neues und es scheint, als
ob die Marktteilnehmer und Kommentatoren versuchten, die Kursentwicklung zu
erklären, während sie sich entfaltete. Warum stand die Deutsche Bank vergangene Woche
Donnerstag und Freitag im Mittelpunkt des Kursgeschehens? Wegen der Panik und
wegen des Stigmas, das ihrem Namen bis heute anhaftet.
Ihre fundamentale Situation ist jedoch bei weitem nicht
vergleichbar mit der der Credit Suisse, die 2022 einen
Nettoverlust von 7,3 Mrd. CHF hinnehmen musste und im vierten Quartal 2022 etwa
ein Drittel ihrer Investorenbasis verloren hat, während sie für 2023 einen
weiteren erheblichen Nettoverlust ankündigte. Auf der anderen Seite verkündete
die Deutsche Bank einen Rekordgewinn von 5,7 Mrd. Euro für das Gesamtjahr, den
höchsten Wert seit 2007. Die Sell-Side-Analysten erwarten für 2023 immer noch
sehr gute Gewinne für die deutsche Bank (die Aktienanalysten der Citi erwarten
für 2023 einen Vorsteuergewinn von 6,5 Mrd. Euro).
Die Deutsche Bank ist nicht mehr die Bank, die sie einmal
war. Dennoch wird sie von Anleiheinvestoren in der Regel weiterhin als „High
Beta“-Emittent gehandelt. Dies ist verständlich, da es sich um
eine globale Systembank mit einer schwierigen Vergangenheit handelt, zumal die
Bank bereits Anfang 2016 zu notleidenden Kursen gehandelt wurde. Seitdem hat
sie erfolgreich eine umfassende Umstrukturierung ihrer Unternehmens- und
Investmentbank durchgeführt und ihre außerbilanziellen Positionen abgebaut,
während sie gleichzeitig ihre erheblichen Rechtsstreitigkeiten löste und ihre
Kapital- und Profitabilitätswerte wiederherstellte.
Die Bank hat ein gewisses Exposure gegenüber
Gewerbeimmobilien (CRE), das wir jedoch nicht als besonders hoch oder
besorgniserregend ansehen. Das CRE-Portfolio der Bank belief
sich Ende 2022 auf 33 Mrd. Euro, was 7 Prozent des gesamten Kreditbestands der
Bank entspricht. 51 Prozent der CRE-Exposures befinden sich in den USA, 36 Prozent
in Europa und 13 Prozent in Asien. Der gewichtete durchschnittliche
Beleihungsauslauf liegt in der Investmentbank bei 61 Prozent und in der
Unternehmensbank bei 53 Prozent.
Chris Iggo, CIO
Core Investments, AXA Investment Managers meint: „Eine
Rezession in den USA wird wahrscheinlicher. Rezessionen führten immer zu
Kreditausfällen, die wiederum den Banken geschadet haben. Geldmarktfonds und
US-Staatsanleihen bieten unterdessen weiter hohe Renditen, weil die Fed den
Leitzins anhebt. Auch das führt aber zur Auflösung von Bankguthaben. Wir
befinden uns in einem Teufelskreis.
2023
ist nicht 2008. Aber das Vertrauen in die Banken ist erschüttert, und
Investoren haben viel verloren, mit Aktien wie mit Credits. Es könnten weitere
Probleme drohen, weil Anleger Banktitel verkaufen und um ihre Einlagen
fürchten. Außerdem kann die Kreditqualität leiden. So drohen auch im
Immobiliensektor Verluste, und viele Banken nehmen Wertberichtigungen auf ihre
Kreditbücher vor. Am Anleihenmarkt scheint man sich sicher zu sein, was jetzt
kommt: Zinssenkungen. In diesem Fall würde man mit Anleihen mehr verdienen als
am Geldmarkt.
[….]
Allerdings gibt es Anzeichen dafür, dass Investoren
jetzt das Gegenteil tun. Sie ziehen Geld aus Anleihen ab und investieren
stattdessen in Geldmarktfonds oder Staatsanleihen. Ich halte das für Panik. Auf
diese Weise kann man leicht eine starke Credit-Rallye verpassen, wenn sich die
Stimmung dreht – sei es wegen einer erfreulichen Entwicklung oder dank neuer
Notenbankmaßnahmen. Und das kommt oft schneller, als man denkt.
Risiken
bleiben:
Wegen der Probleme im Finanzsektor ist eine defensive Positionierung nur zu
verständlich. Kurzfristig kann alles noch schlimmer werden. In der derzeitigen
Lage scheinen Aktiengewinne kaum vorstellbar. Wegen der Schwächen von
Technologie- und Energiewerten – und jetzt auch Banktiteln – fürchten wir schon
lange einen weiteren Rückgang der Unternehmensgewinne in den USA. Doch wenn die
Anleihenrenditen fallen, steigen die Aktienbewertungen: Zurzeit beträgt der
Abstand zwischen der Gewinnrendite der Unternehmen und der US-Zehnjahresrendite
2,2 Prozentpunkte. Legt man die Konsensgewinnerwartungen für 2024 und die
erwartete Zehnjahresrendite in einem Jahr zugrunde, beträgt der Abstand 2,82
Prozentpunkte, und für 2025 werden sogar 3,37 Prozentpunkte erwartet. Wenn
die Zweifel an der Finanzstabilität Anleihenrenditen und Aktienkurse fallen
lassen, sind danach wieder höhere Erträge möglich. Nach dem Ende der
derzeitigen Vertrauenskrise dürfte die Performance wieder besser werden. Dann
wird man auch wieder für Risiken entschädigt, zumal es sich, anders als 2008
(und auch anders als zu Beginn der Coronazeit befürchtet), diesmal nicht um
einen systemischen Schock handelt."
Ulrike Kastens, DWS-Volkswirtin Europa erwartet angesichts einer Kernrate bei der Inflation von 5,7 Prozent in der Eurozone weitere Zinsanhebungen:
„Die gute Nachricht ist, dass die Inflation in der Eurozone zurück geht. Die Eine schlechte Botschaft ist allerdings, dass die Kernrate weiter klettert. Insgesamt erhöhten sich die Preise in der Eurozone im März 2023 nur noch um 6,9 Prozent, nachdem sie im Februar noch um 8,5 Prozent gestiegen waren. Dies ist hauptsächlich auf Basiseffekte zurückzuführen, da die Energiepreise im März 2022 explodierten. An den wesentlichen Preistreibern hat sich dagegen auch im März nichts geändert. Der Preisauftrieb bei den Nahrungsmittelpreise verstärkte sich. Sie kletterten um 15,4 Prozent im März nach 15,0 Prozent im Februar. Und die Kernrate stieg von 5,6 Prozent im Februar auf 5,7 Prozent im März 2023. Unternehmen können dabei immer noch höhere Preise durchsetzen, dies gilt auch in zunehmendem Maße für den Dienstleistungsbereich. Wir rechnen damit, dass sich die Inflationsraten in den kommenden Monaten weiter abschwächen werden. Dies gilt jedoch nicht für die Kernrate, die nach unserer Meinung noch nicht den Gipfel erreicht hat. Hinzu kommen höhere Lohnabschlüsse und ein zunehmend enger werdender Arbeitsmarkt. Die Europäische Zentralbank dürfte darauf mit weiteren Zinserhöhungen reagieren.
Dr. Jörg Zeuner, Chefvolkswirt von Union Investment, interpretiert den Inflationsrückgang in Deutschland als einen Schritt in die richtige
Richtung:
„Das ist doch mal eine gute Nachricht: Die Inflation in
Deutschland bildet sich zurück. Die Teuerungsrate ist im März von 8,7 Prozent
auf 7,4 Prozent im Jahresvergleich gesunken. Was waren die Gründe dafür?
Verantwortlich waren ausschließlich die Energiepreise. Vor einem Jahr, nach dem
russischen Angriff auf die Ukraine, waren die Preise für Öl und Gas sprunghaft
gestiegen - allein im März 2022 um rund 15 Prozent. Bei der Berechnung der
aktuellen Inflationsrate ist die Basis des Vorjahres also deutlich höher.
Außerdem sind im März 2023 die Energiepreise gegenüber dem Vormonat etwas
gefallen. Unter dem Strich eine gute Entwicklung, die sich im weiteren Jahresverlauf
fortsetzen sollte.“
Der Wermutstropfen: Bei vielen wichtigen
anderen Preisbestandteilen wie etwa Lebensmitteln, weiteren Gütern und
Dienstleistungen zeigt der Trend nach wie vor nach oben. Gründe dafür sind
unter anderem erhöhte Inputkosten, aber auch höhere Lohnkosten – gerade bei den
Dienstleistungen. Die Kernrate ohne die schwankungsanfälligen Energie- und
Lebensmittelpreise bleibt dadurch hartnäckig hoch. Deshalb dürften die
Währungshüter bei der EZB den Fuß auf dem Bremspedal halten und die Zinsen bis
in den Sommer noch um 75bp erhöhen. Vorausgesetzt, die Diskussionen um das
Bankensystem hören auf, bevor sie Kredit- und Einlagenkunden weiter
verunsichern."
Zu
den Deustchen Inflationsdaten sagt Dr. Michael Heise, Chefökonom von HQ Trust:
„Es ist ein Lichtblick für die Verbraucher,
dass die Jahresinflation nach 8,7 Prozent im Februar nun auf 7,4 Prozent
zurückgegangen ist. Ein Durchbruch bei der Inflationsbekämpfung ist das
allerdings nicht, denn der Rückgang beruht zum größten Teil darauf, dass die
Preise im März 2022 kriegsbedingt kräftig angestiegen waren und somit die
Vergleichsbasis deutlich höher ist.
- Für den Verbraucher ist es im Grunde wichtiger, was von
Monat zu Monat passiert. Und hier ist die Teuerung noch immer recht hoch.
Obwohl sich Kraftstoffe und Heizöl etwas verbilligt haben, ist das Preisniveau
im März um 0,8 Prozent gegenüber Februar gestiegen (nicht saisonbereinigt).
Klingt nicht nach viel, ist aber viel, wenn man es auf das Jahr
hochrechnet.
- Die
Ermäßigung der Energiepreise an den Gas- und Strommärkten ist bislang kaum beim
Verbraucher angekommen. Ebenso setzt sich der seit über einem Jahr sehr starke
Anstieg der Nahrungsmittelpreise fort.
-Der viele
Gütergruppen betreffende Preisanstieg wird sich in den kommenden Monaten nur
langsam zurückbilden. In der Waren- und Dienstleistungsproduktion werden
Kostenbelastungen aus den vergangenen Monaten und aktuelle Steigerungen durch
zunehmende Löhne und Lohnnebenkosten in die Preise übergewälzt werden.
- Positiv dürfte es sich auswirken, dass die
Lieferengpässe und Materialknappheiten in vielen Bereichen überwunden sind, die
in den vergangenen Jahren für beträchtliche Preissteigerungen gesorgt hatten.
Zusammen mit den Preiskorrekturen an den Energiemärkten dürfte die
Inflationsrate in den kommenden Sommermonaten in Richtung 6 Prozent und im
vierten Quartal in Richtung 4 Prozent tendieren."