Fonds im Fokus Interview: „Beim Thema Ernährung findet ein Umdenken statt“
Walter Liebe von Pictet Asset Management erzählt im Gespräch mit TiAM FundsResearch, wie man bei Pictet auf neue Investment-Ideen kommt, wie er in seiner Küche Kräuter und Salate selbst züchtet und warum Menschen ihre Ernährungsgewohnheiten ändern.12.01.2022 | 07:30 Uhr
TiAM FundResearch: Herr Liebe, wo sind Sie gerade?
Walter Liebe: Im Souterrain meines Hauses. Hier habe ich mein Homeoffice.
TiAM FundResearch: Als wir mit der Interviewreihe "Homeoffice-Story" vor eineinhalb Jahren angefangen haben, hätten wir nicht geglaubt, dass Homeoffice so selbstverständlich wird. Aber offensichtlich ist das mittlerweile eher der Standard als die Ausnahme.
Walter Liebe: Das ist wohl so. Aber ich bin im Gegensatz zu vielen anderen immer noch relativ häufig im Büro. Ich muss meine Mitarbeiter schließlich auch mal live erleben. Außerdem setzen wir uns als Führungskräfte bei Pictet intensiv mit dem Thema Hybride Führung auseinander. Dazu gehört auch, die neuen Ängste und Nöte von Mitarbeitern aufzugreifen und zu moderieren, die mit dem Homeoffice und der allgemeinen Situation rund um die Coronakrise zusammenhängen.
TiAM FundResearch: Die Pandemie ist natürlich eine Geißel für die Menschheit. Businessmäßig lief es für die Finanzindustrie aber nicht schlecht, oder?
Walter Liebe: Beides ist wahr. Geht es ums Menschliche, ist es schon so, dass die letzten beiden Corona-Wellen mehr aufs Gemüt gedrückt haben als die beiden ersten Wellen im Jahr 2020. Man spürt schon, dass die Menschen pandemiemüde und die Lunten kürzer werden. Es ist kaum zu glauben, dass uns das Ganze jetzt schon fast zwei Jahre verfolgt und wir das immer noch nicht im Griff haben. Die Gereiztheit nimmt zu. Ich beobachte das auch an mir. Ich werde schneller ungeduldig. Gleichzeitig haben Sie Recht: Sieht man aufs Geschäftliche, waren die beiden vergangenen Jahre wirklich sehr, sehr gut. Da haben uns mehrere Faktoren positiv in die Hände gespielt.
TiAM FundResearch: Was genau meinen Sie?
Walter Liebe: Zum einen hatten die Menschen im Homeoffice offensichtlich mehr Zeit, sich mit ihrer finanziellen Situation zu beschäftigen und sich zu informieren, was möglich ist. Nullzinsen und Inflation haben schon Handlungsdruck aufgebaut. Aber spätestens, als die ersten Banken und Sparkassen damit angefangen haben, Verwahrentgelte für Kontoguthaben zu erheben, haben sich viele, die noch gezögert hatten, dann endlich mit den Chancen des Kapitalmarkts beschäftigt. Da ist etwas in Bewegung geraten…
TiAM FundResearch: …was auch zu merkwürdigen Erscheinungen geführt hat. Man denke an die Kurs-Exzesse bei sogenannten „Meme“-Aktien wie GameStop oder AMC.
Walter Liebe: Ja, das gab es auch. Aber die Mehrzahl derjenigen, die Aktien und Fonds für sich entdeckt haben, gehen doch deutlich vorsichtiger vor. Die Menschen lassen sich von Finanzberatern, von Banken und Sparkassen ausführlich beraten. Es wurden viele neue Sparpläne abgeschlossen. Das Geld fließt also nicht wie bei früheren Börsenhypes völlig unkontrolliert in irgendwelche Mode-Aktien, sondern wird breit gestreut nach und nach investiert. Das stimmt mich optimistisch. Wir haben es nicht mit der Endphase einer Hausse zu tun, sondern mit einem vorsichtigen Neuanfang. Die Deutschen gelten ja gemeinhin nicht als besonders aktienaffin. Das ändert sich gerade langsam.
TiAM FundResearch: Viel Geld fließt in ETFs. Ist das für ein Haus wie Pictet, das auf Themenfonds setzt, ein Problem?
Walter Liebe: Nein, überhaupt nicht. Man muss differenzieren. Auf der einen Seite gibt es Selbstentscheider, die vor allem auf die Kosten achten, mit ein paar Indexfonds die Kernmärkte abdecken und dann mit Regionen-, Themen- oder Strategiefonds in bestimmte Segmente oder einzelne Aktien investieren und dort kleinere Schwerpunkte setzen. Viele wissen oft, was sie tun – manche auch nicht. Aber das ist ein anderes Thema. Wenn sich Selbstentscheider für ein Thema interessieren, das wir anbieten, investieren sie vielleicht auch in unsere Fonds. Auf der anderen Seite sind da die vielen Anleger, die sich beraten lassen. Hier werden mehr aktiv gemanagte Fonds empfohlen. Und da müssen wir uns mit unserem Angebot nicht verstecken. Wir haben uns gut positioniert. Um es klar zu sagen: Wir sind alles andere als unglücklich mit der Entwicklung der vergangenen Monate.
TiAM FundResearch: Wenn man sich Ihre Fondspalette ansieht, könnte man zu dem Schluss kommen, dass Sie von Anfang an eine Reihe von Fonds geplant haben, die sich im weitesten Sinne dem Thema Nachhaltigkeit zuordnen lassen. 1995 fing es an mit dem Biotech, im Jahr 2000 folgte der Water-Fonds, vier Jahre darauf Health, 2007 Clean Energy, ein Jahr später Timber und 2009 kam der Pictet-Nutrition. Folgen die Fonds-Ideen einem langfristigen Plan?
Walter Liebe: So linear, wie es jetzt im Rückblick scheint, war die Themenfindung nicht. Wir gehen jeden neuen Fonds mit der grundsätzlichen Haltung an, dass es ein Thema sein muss, das nicht zu eng gefasst ist und mehrere Megatrends aufgreift, die auch über viele Jahre hinweg noch aktuell sind. Wir wollen keine Eintagsfliegen schaffen, sondern den Menschen Investmentlösungen bieten, die langfristig tragen. Gleichzeitig gibt es auch thematische Überschneidungen zwischen den Fonds, im Global Megatrend Selection ist das sogar ausdrücklich gewollt. Hier packen wir verschiedene Themen, die wir auch in einzelnen Fonds bedienen, unter ein Dach.
TiAM FundResearch: In den vergangenen 20 Jahren hat sich viel getan. Können Fondsthemen so lange tragfähig sein?
Walter Liebe: Die Themen schon, die Inhalte und die Ausrichtung muss man natürlich immer wieder anpassen. Das ist normal. Dafür ist aktives Management ja da. Einen Fonds oder ein Themen-Zertifikat mit zehn Werten aufzulegen, die man nicht mehr anrührt, ist keine Kunst. Man muss dort handeln, wo es nötig ist.
TiAM FundResearch: Nehmen wir den Fonds Pictet-Nutrition als Beispiel. Ernährung ist ein weit gefasstes Thema. Gegessen wird immer. Der Fonds ist jetzt seit zwölf Jahren am Markt. Mussten Sie die Anlagestrategie in dieser Zeit stark verändern?
Walter Liebe: Ja. Der Fonds ist sogar ein sehr gutes Beispiel. Ursprünglich hieß der Fonds Pictet-Agriculture. Er wurde 2009 aufgelegt und war konstruiert wie die meisten Fonds dieser Zeit, die mit ähnlichem Fokus an den Start gegangen sind. Die Idee zu dem Fonds war: Bald werden zehn Milliarden Menschen den Planeten bevölkern. Um so viele Menschen versorgen zu können, benötigt man intensive Landwirtschaft und Techniken, mit denen man die Ernteerträge erhöhen und mehr Lebensmittel produzieren kann. Also hat der Fonds in große Agrarbetriebe, Düngemittel- und Landmaschinenhersteller investiert. Aber irgendwann haben wir zu spüren bekommen, wie zyklisch dieser Markt ist. Als zwischenzeitlich die Preise für Agrarrohstoffe stark gefallen sind, haben wir eine Kettenreaktion gesehen. Die Agrarbetriebe haben weniger Saatgut bestellt und weniger Landmaschinen gekauft. Da wir nur in Aktien investiert waren und keine Absicherungsgeschäfte am Agrarrohstoffmarkt getätigt haben, ist die Entwicklung des Fonds volatiler geworden als uns das lieb war. Um unserem Ziel näherzukommen, nämlich mit einem Fonds Megatrends solide und langfristig ohne große Schwankungen abzubilden, haben wir die Ausrichtung verändert und den Fonds umbenannt. Seit 2017 heißt er jetzt Pictet-Nutrition.
TiAM FundResearch: Was haben Sie außer dem Namen noch geändert?
Walter Liebe: Die Ausrichtung legt jetzt sehr viel Wert auf Nachhaltigkeit. Es geht nicht mehr darum, viele Milliarden Menschen möglichst effizient zu ernähren. Es gibt keinen Zweifel mehr daran, dass das möglich ist. Das ist keine Frage der Technik, sondern eher ein soziales Verteilungsproblem. Das müssen Politiker lösen. Heute geht es eher darum, möglichst nachhaltig und umweltschonend qualitativ hochwertige Lebensmittel zu produzieren und diese so zu den Verbrauchern zu bringen, dass dabei Energie und Ressourcen denkbar sparsam eingesetzt werden. Gleichzeitig hat sich auch das Konsumverhalten verändert. Die Menschen wollen nicht mehr nur billig und viel, sondern sie achten mehr auf ihre Gesundheit. Insgesamt hat hier ein Umdenken eingesetzt, das wir auch mit unserem Pictet-Nutrition abbilden.
TiAM FundResearch: Können Sie das etwas konkreter beschreiben?
Walter Liebe: In der Landwirtschaft hat sich in den vergangenen Jahren viel getan. Landwirte arbeiten jetzt mit Drohnen, um ihre Felder zu überwachen, sie steuern mithilfe von ausgeklügelter Software und den dazu passenden Maschinen Dünger und Wasserzufuhr präziser als früher. Die Technisierung ist stark vorangeschritten. Auch die Logistik-Ketten sind optimiert worden. Hier gibt es viel Verbesserungspotenzial. Rund 30 Prozent aller Lebensmittel verrotten auf dem Weg vom Erzeuger bis zum Konsumenten. Wenn man diesen Wert halbieren kann, bedeutet das im Umkehrschluss, dass man nicht mehr so viel produzieren muss – oder mehr auf Qualität achtet. Das tun auch die Lebensmittelproduzenten zunehmend. Die Zusammensetzung der Lebensmittel hat sich in den vergangenen Jahren stark verändert. Selbst Großkonzerne wie Nestlé und Danone verarbeiten weniger Fett und Zucker als früher. Dafür kommen mehr Vitamine und Proteine ins Essen. Und beim Thema Fleisch gibt es gerade eine Revolution: Fleisch aus dem Labor. Dafür müssen keine Rinder und Schweine mehr gezüchtet und geschlachtet werden. Das bedeutet für die Umwelt eine enorme Entlastung.
TiAM FundResearch: Haben sie schon einmal Laborfleisch gegessen?
Walter Liebe: Ja. Und es hat überraschend gut geschmeckt.
TiAM FundResearch: War der Gedanke, dass das Fleisch auf Ihrem Teller im Labor gezüchtet wurde, nicht befremdlich?
Walter Liebe: Jedenfalls nicht befremdlicher als der Gedanke, dass ein Filet von einem Rind stammt, dass eben noch im Stall gefüttert und dann in einem Schlachthaus getötet wurde.
TiAM FundResearch: Pictet hat, wie gesagt, eine Reihe von Fonds mit Umwelt- und Naturthemen im Angebot. Bewirkt es etwas in Ihrem Leben, wenn Sie sich mit diesen Themen befassen?
Walter Liebe: Zweifellos. Das geht nicht spurlos an mir vorbei. Ich denke intensiver darüber nach, wie ich lebe und was wir essen. Ich kaufe bewusster ein, lege mehr Wert auf Qualität. Und ich habe vor einiger Zeit sogar eine Art kleine Vertical Farm für die Küche gekauft. Sieht aus wie ein Weinkühlschrank, aber man züchtet darin Kräuter und Salat. Das Ding heißt Plantcube und wird über eine Smartphone-App gesteuert. Das macht nicht nur stolz, wenn man die frischen, selbst gezüchteten Kräuter entnimmt. Es schmeckt auch noch frisch und gut.
TiAM FundResearch: Ist das unsere Zukunft? Fleisch aus dem Labor, garniert mit Kräutern aus dem Plantcube?
Walter Liebe: Es ist ein Anfang. Und da draußen passiert noch so viel mehr.
TiAM FundResearch: Herr Liebe, vielen Dank für dieses Gespräch.
Die interaktiven Videokonferenzen im Überblick:
Dienstag, 01.02.2022
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