Franklin Templeton: Brasiliens wachsende Bedeutung als geopolitisches Schwergewicht
Brasilien rückt als Gastgeber des diesjährigen G20-Gipfels in den Mittelpunkt. Dies ist ein entscheidender Moment in der Geschichte des Landes, das aktuell zu einem geopolitischen Schwergewicht aufsteigt.22.11.2024 | 08:00 Uhr
Dina Ting, Head of Global Index Portfolio Management, analysiert Brasiliens wirtschaftliche Bestrebungen sowie den zunehmenden Einfluss des Landes bei der Gestaltung der zukünftigen internationalen wirtschaftlichen Zusammenarbeit.
Viele Menschen denken bei der brasilianischen Stadt Rio de Janeiro an sonnige Strände und den farbenprächtigen Karneval. Doch das größte internationale Ereignis, das dieses Jahr in der Stadt organisiert wird (tatsächlich sogar das größte Ereignis seit den Olympischen Spielen von 2016), dürfte eher Menschen in Anzügen als in Bikinis anlocken. Im nächsten Monat wird Brasilien erstmals Gastgeber des Gipfels der Gruppe der Zwanzig (G20) sein, der international bedeutenden Plattform für globale wirtschaftliche Zusammenarbeit, der in diesem Jahr in Rio de Janeiro stattfindet.
Dieses Bündnis, dem die USA, China, Indien, die Europäische Union und seit Kurzem auch die Afrikanische Union angehören, repräsentiert die größten Volkswirtschaften der Welt. Auf sie entfallen rund 80 % des weltweiten Bruttoinlandsprodukts (BIP), 75 % des globalen Handels und zwei Drittel der Weltbevölkerung.1
Seit Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva (Lula) Anfang des vergangenen Jahres seine dritte, nicht aufeinanderfolgende Präsidentschaft angetreten hat, hat er viel Zeit im Ausland verbracht und versucht, das internationale Ansehen seines Landes zu stärken. Seine Bemühungen könnten sich auszahlen. Laut einer vor Kurzem von Pew Research durchgeführten Umfrage sind die meisten Erwachsenen in Brasilien mit Blick auf den Status ihres Landes als internationale Macht optimistisch.2
Neben dem G20-Gipfel ist Brasilien auch Gastgeber anderer hochkarätiger Veranstaltungen, darunter 2025 die UN-Klimakonferenz (COP30) und der BRICS-Gipfel (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika). Gleichzeitig strebt das Land die Mitgliedschaft in der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) an.
In den fast drei Jahren, seit Brasilien offiziell die Beitrittsverhandlungen mit der OECD begonnen hat, hat das Land auf diesem Weg bereits wichtige Meilensteine erreicht. Wenn es tatsächlich OECD-Mitglied wird, dann wäre Brasilien einzigartig positioniert, um den zunehmenden geopolitischen und wirtschaftlichen Konkurrenzkampf zwischen Industrie- und Schwellenländern zu beeinflussen, denn es wäre dann als einziges Land Mitglied sowohl in BRICS, als auch der G20-Gruppe und der OECD.
Als achtgrößte Volkswirtschaft der Welt und größte Volkswirtschaft in Lateinamerika könnte Brasilien ein starker Akteur im weltweiten Diskurs über wichtige Themen für den Globalen Süden sein (laut der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (UN Trade and Development) umfasst der Globale Süden allgemein gesprochen Afrika, Lateinamerika und die Karibik, Asien ohne Israel, Japan und Südkorea sowie Ozeanien ohne Australien und Neuseeland). Zu diesen Themen gehören der Kampf gegen Hunger, Armut und Ungleichheit; nachhaltige Entwicklung und globale Governance-Reformen. Wenn Brasilien politische und finanzielle Zusagen nutzen kann, um Fortschritte bei prioritären Fragen wie digitale Infrastruktur zu erreichen, dann könnte das nicht nur das brasilianische BIP erhöhen, sondern auch die Spaltungen innerhalb der Wirtschaft, zwischen städtischem und ländlichem Raum und zwischen den Geschlechtern verringern. Die Einführung von Pix, einer relativ neuen Plattform für Sofortzahlungen, die von der Zentralbank entwickelt wurde, hat schon jetzt die finanzielle Inklusion gestärkt und den Zugang zu Bankdienstleistungen von rund 70 % auf über 84 % der Bevölkerung erhöht.3
Unseres Erachtens würde die Aufnahme in die OECD auch globale AnlegerInnen ermutigen, denn die hohen Standards des Zusammenschlusses hinsichtlich der Wirtschaftsfreundlichkeit würden ihnen Zuversicht verleihen. Mit einer Mitgliedschaft hätte Brasilien eine stärkere Stimme bei der Ausgestaltung von bewährten Praktiken und globalen Rahmenwerken für die sich rasch weiterentwickelnden technologischen Standards. Die brasilianischen Unternehmen in den Bereichen künstliche Intelligenz und FinTech gehören schon heute zu den größten in Südamerika.
Brasilien ist reich an Rohstoffen und ist im Energiesektor führend, es ist der größte Produzent von Öl4 in Lateinamerika und einer der zehn größten Produzenten weltweit (Ende 2023 entfielen auf Brasilien 4 % der gesamten weltweiten Ölproduktion).5 Doch der größte Sektor des Landes ist mit einer Gewichtung von über 36 % der Finanzsektor.6
Problembereiche und Chancen
Hohe Staatsausgaben sind weiterhin ein Bereich, der erheblichen Grund zur Sorge gibt, doch unseres Erachtens würden jegliche Kürzungen dieser Ausgaben für Optimismus an den Kapitalmärkten sorgen. Brasilien ist außerdem beim globalen Trend der geldpolitischen Lockerung ein Außenseiter: Die brasilianische Zentralbank hat die Zinsen im September angehoben, um den Inflationsdruck einzudämmen. Der brasilianische Real dürfte kurzfristig stabil bleiben oder sogar etwas aufwerten, teilweise aufgrund der sinkenden US-Zinsen. Wir sehen darin für ausländische AnlegerInnen, die in Brasilien investieren, einen potenziellen Vorteil.
Die jüngsten Fortschritte bei Brasiliens lang erwarteter Mehrwertsteuerreform stimmen uns zuversichtlich. Dies könnte dem Privatsektor Auftrieb verleihen, denn Effizienzgewinne durch ein einfacheres Steuersystem könnten Investitionen begünstigen.
Die Expansion im verarbeitenden Gewerbe und im Dienstleistungssektor Brasiliens zog im September an, die Produktion ist in beiden Sektoren gestiegen. Dies lässt auf ein kräftiges Wachstum der Geschäftstätigkeit schließen. Darüber hinaus sind die Bewertungen an den Aktienmärkten unseres Erachtens aktuell günstig. Bessere Bedingungen in verarbeitenden Gewerbe Brasiliens sind laut S&P Global in erster Linie einem erneuten Anstieg der Produktion, einer verstärkten Schaffung von Arbeitsplätzen und einer Erholung des Umsatzwachstums zu verdanken.7 Der Einkaufsmanagerindex (PMI) für das verarbeitende Gewerbe Brasiliens stieg von 50,4 im August auf 53,2 per Ende September (Werte über 50 deuten auf eine Expansion hin). Nur Indien verzeichnete einen höheren PMI.
Abbildung 1: Einkaufsmanagerindex Brasilien
PMI Brasilien
31. Oktober 2021 bis 30. September 2024
Quellen: FactSet, Markit Economics. Weitere Informationen zum Datenanbieter finden Sie unter www.franklintempletondatasources.com.
Es wird auch allgemein erwartet, dass Brasilien 2027 einen weiteren wirtschaftlichen Schub erhält, denn es hat sich erfolgreich um die Austragung der FIFA Weltmeisterschaft der Frauen beworben. Damit ist Brasilien das erste südamerikanische Land überhaupt, in dem eine Fußball-WM der Frauen ausgetragen wird. Und bei diesem Ereignis dürften in Rio dann auch weniger Anzüge und mehr bunt bemalte Gesichter zu sehen sein.
Abbildung 2: Lateinamerikanische Aktien scheinen günstig
Lateinamerikanische Aktien – günstig
Im Vergleich zu Industrieländern attraktiv bewertet, Schwellenländer und ihre eigene Geschichte
Quellen: MSCI, IBES, FactSet. KGV gemäß Bloomberg-Schätzungen. Lateinamerika wird durch den MSCI Latin America Index dargestellt; Industrieländer durch den MSCI World Index; Schwellenländer durch den MSCI EM Index; Naher Osten/Nordafrika (MENA) durch den MSCI Arabian Markets Index; Asien ohne Japan durch den MSCI AC Asia ex Japan Index; Osteuropa durch den MSCI Eastern Europe Index. Die Wertentwicklung der Vergangenheit ist weder ein Indikator noch eine Garantie für die zukünftige Wertentwicklung. Indizes werden nicht aktiv gemanagt und es ist nicht möglich, direkt in einen Index zu investieren. Weitere Informationen zum Datenanbieter finden Sie unter www.franklintempletondatasources.com.
Abbildung 3: Lateinamerikanische Aktien bieten hohe Dividenden
Lateinamerikanische Aktien – hohe Dividenden
Im Vergleich zu Industrieländern hohe Dividendenrendite, Schwellenländer und ihre eigene Geschichte
Quellen: FactSet, MSCI. Lateinamerika wird durch den MSCI Latin America Index dargestellt; Industrieländer durch den MSCI World Index; Schwellenländer durch den MSCI EM Index; Naher Osten/Nordafrika (MENA) durch den MSCI Arabian Markets Index; Asien ohne Japan durch den MSCI AC Asia ex Japan Index; Osteuropa durch den MSCI Eastern Europe Index. Die Wertentwicklung der Vergangenheit ist weder ein Indikator noch eine Garantie für die zukünftige Wertentwicklung. Indizes werden nicht aktiv gemanagt und es ist nicht möglich, direkt in einen Index zu investieren. Weitere Informationen zum Datenanbieter finden Sie unter www.franklintempletondatasources.com.
Indexdefinitionen
Der MSCI AC Asia ex Japan Index umfasst Unternehmen mit hoher und mittlerer Marktkapitalisierung aus zwei von drei Industrieländern (ohne Japan) und acht Schwellenländern in Asien. Mit 1.070 Titeln deckt der Index rund 85 % der um den Streubesitz bereinigten Marktkapitalisierung in jedem Land ab.
Der MSCI Arabian Markets Index umfasst Unternehmen mit hoher und mittlerer Marktkapitalisierung aus elf arabischen Ländern. Mit 132 Titeln deckt der Index rund 85 % der um den Streubesitz bereinigten Marktkapitalisierung in jedem Land ab.
Der MSCI Eastern Europe Index umfasst Unternehmen mit hoher und mittlerer Marktkapitalisierung aus drei Schwellenländern in Osteuropa. Mit 20 Titeln deckt der Index rund 85 % der um den Streubesitz bereinigten Marktkapitalisierung in jedem Land ab.
Der MSCI Emerging Markets Index umfasst Unternehmen mit hoher und mittlerer Marktkapitalisierung aus 24 Schwellenländern. Mit 1.277 Titeln deckt der Index rund 85 % der um den Streubesitz bereinigten Marktkapitalisierung in jedem Land ab.
Der MCSI Latin America Index umfasst Unternehmen mit hoher und mittlerer Marktkapitalisierung aus fünf Schwellenländern in Lateinamerika. Mit 94 Titeln deckt der Index rund 85 % der um den Streubesitz bereinigten Marktkapitalisierung in jedem Land ab.
Der MSCI World Index umfasst Unternehmen mit hoher und mittlerer Marktkapitalisierung aus 23 Industrieländern. Mit 1.410 Titeln deckt der Index rund 85 % der um den Streubesitz bereinigten Marktkapitalisierung in jedem Land ab.
Fußnoten
- Quelle: „OECD and G20.“ OECD.
- Quelle: „Brazilians Mostly Optimistic About Country’s Global Standing Ahead of G20 Summit.“ Pew Research Center. 23. September 2024.
- Quelle: „Brazil’s Bridges to the Future: How the Country Is Building Digital Infrastructure.“ Carnegie Endowment for International Peace, 15. November 2023.
- Öl umfasst Rohöl, alle anderen flüssigen Mineralölerzeugnisse und Biokraftstoffe.
- Quelle: U.S. Energy Information Administration, Internationale Energiestatistik, Gesamtproduktion von Öl (Erdöl und andere flüssige Brennstoffe), Stand: 11. April 2024. Produktion umfasst die inländische Produktion von Rohöl, allen anderen flüssigen Mineralölerzeugnissen sowie Biokraftstoffen und den Refinery Processing Gain (Gewinn aus dem Raffinerieprozess).
- Quelle: MSCI Brazil Index (USD). Stand: 30. September 2024.
- Quelle: „S&P Global Brazil Manufacturing PMI.“ S&P Global. 1. Oktober 2024.
WO LIEGEN DIE RISIKEN?
Alle Anlagen sind mit Risiken verbunden, einschließlich des möglichen Verlusts des Anlagekapitals. Beteiligungspapiere unterliegen Kursschwankungen und sind mit dem Risiko des Kapitalverlusts verbunden. Dividenden können schwanken und sind nicht garantiert, und ein Unternehmen kann seine Dividende jederzeit kürzen oder streichen.
Internationale Anlagen sind mit besonderen Risiken verbunden. Hierzu gehören Währungsschwankungen sowie gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Unsicherheiten, die zu erhöhter Volatilität führen können. Diese Risiken sind in Schwellenländern noch größer. Anlagen in Unternehmen eines bestimmten Landes oder einer bestimmten Region können einer größeren Volatilität unterliegen als Anlagen, die geografisch breiter gestreut sind.
Sofern das Portfolio konzentriert in bestimmte Wertpapiere, Regionen oder Branchen investiert, unterliegt es höherer Volatilität. Rohstoffbezogene Anlagen unterliegen zusätzlichen Risiken wie der Volatilität von Rohstoffindizes, Anlegerspekulation, zins- und wetterbezogenen Risiken sowie nachteiligen steuerlichen und regulatorischen Entwicklungen.