​Henderson: Aktien aus Europa: 2017 die erste Wahl antizyklischer Anleger?

2017 verspricht in jedem Fall ein interessantes Jahr zu werden. Ich erwartete, dass sich Europa nicht selbst zerstören, sondern ein sicherer Hafen wird, während Großbritannien versucht herauszufinden, was der Brexit wirklich bedeutet.

24.11.2016 | 15:01 Uhr

Welche Erkenntnisse haben Sie aus den Entwicklungen in diesem Jahr gewonnen?

Tim Stevenson: Die erste Überraschung war der Brexit, die zweite die Wahl von Trump zum US-Präsidenten. Beide zeigen, dass man Meinungsumfragen nur bedingt trauen kann. Vor allem aber belegen sie, dass die Wähler nicht länger bereit sind, Plattitüden und weitere vage Versprechen vom politischen Establishment hinzunehmen. Viel zu lange haben Politiker zu viel versprochen und nach den Wahlen nicht gehalten. In Europa geht nun die Angst um, dass die hohe Arbeitslosigkeit den Boden für weitere Protestabstimmungen bereitet.

Die Ironie ist, dass die Brexit-Kampagne dank zahlreicher, eher dem Reich der Phantasie zugehöriger Wahlkampfaussagen (drohende Flut von Immigranten aus der Türkei, Einsparungen von 350 Mio. Pfund pro Woche) und Versprechungen gewonnen wurde, die mit einem weiteren umfassenden Zugang zum europäischen Binnenmarkt unvereinbar sind. Fast alle wichtigen Brexit-Befürworter haben sich mittlerweile von diesen Versprechungen distanziert oder einen Rückzieher gemacht. Auch bei Trump gewann nur Stunden nach seiner Wahl zum Präsidenten der Pragmatismus die Oberhand, denn ihm dürfte nun dämmern, dass die Realitätpolitik der Umsetzung einiger seiner Versprechen im Wege steht: Aus einer Mauer wurde ein Zaun und aus der Abschaffung von Obamacare ein Nachbessern.

Auf wirtschaftlicher Ebene hat sich gezeigt, dass niedriges Wachstum 1-1,5% bedeutet und wir uns besser damit anfreunden. Daneben ist der Preisauftrieb zwar weiter schwach, beschleunigt sich aber, während die quantitative Lockerung an ihre Grenzen stößt. Eine weitere Erkenntnis: Negative Zinsen schaden Volkswirtschaften mehr, als sie nützen und verhindern, dass sich Banken erholen. Zugleich sollten wachstumsstarke Unternehmen ihren Bewertungsaufschlag behaupten können. Aber wie viel Anleger bereit sind zu zahlen, bleibt unklar und Gegenstand heftiger Debatten.

Welche zentralen Themen werden die Märkte, in die Sie investieren, 2017 vermutlich maßgeblich beeinflussen?

In der Eurozone dürfte sich die Inflation dem Ziel von 2% nähern. Zudem werden die Renditen zehnjähriger Staatsanleihen wohl steigen. Das wird Einfluss darauf haben, wie Aktien mit langfristigem Wachstum bewertet werden. Einen Teil ihrer hohen Prämien der letzten Jahre werden sie wohl abgeben müssen. Andererseits lässt sich nicht sagen, wie hoch die Anleihenrenditen steigen werden – nach meiner Meinung bis 2018 nur wenig – und welche Prämien für Wachstumsaktien in einer Welt mit vermutlich weiter schwachem Wachstum gezahlt werden müssen.

Bis Ende 2017 wird die US-Notenbank ihre geldpolitischen Zügel anziehen. Und bis dahin wird auch die Europäische Zentralbank klargestellt haben, dass sie 2018 aus ihren quantitativen Lockerungen aussteigt.

Auf politischer Ebene werden 2017 die Wahlen in den Niederlanden, Frankreich und Deutschland sicherlich und andere politische Ereignisse vielleicht eine große Rolle spielen. Nach den Entwicklungen in diesem Jahr sind Prognosen noch riskanter geworden. Aber ich erwarte keine so hohen Verluste für die etablierten Parteien, wie wir sie beim Brexit-Votum und der Trump-Wahl gesehen haben.

Nach enttäuschenden Jahren werden die Gewinne in Europa meines Erachtens endlich wieder wachsen, getragen von höherer Nachfrage, günstigen Währungseffekten, weniger Austerität und möglichen, wenngleich moderaten fiskalischen Lockerungen.

Von welchen Positionen in Ihrem Fonds sind Sie am Übergang ins nächste Jahr besonders überzeugt?

Von wachstumsstarken Qualitätsunternehmen, die bei der Kursentwicklung, aber nicht beim Gewinnwachstum hinterherhinken. In einer Welt, die durch den Brexit und durch Trump unsicherer geworden ist, haben diese Unternehmen ihre Gewinne behauptet und vielfach sogar gesteigert. Dennoch sind ihre Aktienkurse und damit ihre Bewertungen gefallen.Zuverlässigkeit in einer weniger verlässlichen Welt und günstigere Bewertungen: Das hört sich für mich ziemlich verlockend an.

Was können Anleger von Ihrer Anlageklasse und Ihrem(n) Portfolio(s) erwarten?

In den letzten 18 Monaten hat sich Europa von einer beliebten in eine ungeliebte Region gewandelt. Deshalb ist der alte Kontinent nun in gewisser Weise die erste Wahl für gegen den Strom schwimmende Anleger. Die Kehrseite der Medaille: mögliche zunehmende politische Unwägbarkeiten, die den Fortbestand der Eurozone erneut auf eine harte Probe stellen könnten. Kommen diese beiden Extreme zusammen, sind Schwankungen sehr wahrscheinlich. In volatilen Phasen haben in aller Regel jedoch verlässliche Unternehmen mit steigenden Renditen für ihre Aktionäre die Nase vorn.

Denn so einfach wie es sich die britische Premierministerin mit ihrem Mantra „Brexit bedeutet Brexit“ macht, ist es beileibe nicht. Daneben wird die Welt versuchen zu verstehen, wofür Trump wirklich steht und was er für die Amerikaner oder die Welt tun kann.

Die Wertentwicklung in der Vergangenheit ist kein zuverlässiger Indikator für die künftige Wertentwicklung. Alle Performance-Angaben beinhalten Erträge und Kapitalgewinne bzw. -verluste, aber keine wiederkehrenden Gebühren oder sonstigen Ausgaben des Fond.

Die Informationen in diesem Artikel stellen keine Anlageberatung dar.

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