Henderson: Europa und die Welt der „alternativen Fakten“

Keine Frage, wir leben in interessanten Zeiten. Plötzlich ist alles anders: Aus Populismus wird Protektionismus nach dem Motto „Make America Great Again“, und der Brexit soll Großbritannien in eine rosige Zukunft führen. Störende Nebensächlichkeiten wie die globale Vernetzung der Lieferketten und die engen Handelsbeziehungen zwischen Unternehmen und Regionen werden der Einfachheit halber ignoriert.

20.02.2017 | 14:53 Uhr

Europa findet sich in vielerlei Hinsicht im Auge des Sturms wieder. Die Briten stolpern auf einem holprigen, schlecht abgesteckten Pfad in Richtung Brexit, die vollmundigen Versprechungen ihrer Regierung im Ohr, der Austritt sei ohne wirtschaftliche Nachteile, mit vollem Zugang zum EU-Binnenmarkt und selbstverständlich ohne finanzielle Verpflichtungen zu haben. Lediglich ein kleines Häuflein nervöser Abweichler, die von einer rechtskonservativen Presse sofort und lautstark niedergebrüllt werden, fragt leise, wie das gehen soll.

Pragmatismus bleibt das Leitmotiv der europäischen Politik 

Auch außerhalb Großbritanniens zeigt sich das politische Europa von einer Seite, die Anlass zur Nervosität gibt. Im März eröffnen die Niederländer den Wahlreigen, und es ist damit zu rechnen, dass Rechtspopulist Geert Wilders mit seiner Anti-Einwanderungspolitik – wie derzeit alle Vertreter rechtsnationaler Parteien in Europa – erfolgreich auf Stimmenfang geht. Der Zutritt zu einer möglichen Regierungskoalition dürfte Wilders allerdings verwehrt bleiben. Die Niederländer haben übrigens mehr als deutlich gemacht, dass das Votum eines eventuellen Referendums zum EU-Austritt lediglich empfehlenden Charakter hätte. Zu schade, dass Ex-Premierminister David Cameron die potenziellen Risiken eines britischen Referendums im Juni 2016 nicht bedachte – ein Punkt, auf den auch der britische Oberste Gerichtshof in seinem jüngst ergangenen Urteil zum EU-Austrittsverfahren gemäß Artikel 50 verwies. 

Für die im April und Mai stattfindenden Präsidentschaftswahlen in Frankreich verdichten sich die Anzeichen, dass Marine Le Pen selbst dann, wenn sie es mit ihrem extrem rechten Front National in den zweiten Wahlgang schaffen sollte, entweder dem Kandidaten der Republikaner, François Fillon, oder dem unabhängigen Emmanuel Macron unterliegen wird. Ein Déjà-vu des Jahres 2002, als ihr Vater deutlich abgeschlagen hinter Jacques Chirac landete. Im Herbst steht dann die Bundestagswahl in Deutschland an, wo voraussichtlich Angela Merkel erneut im Amt der Kanzlerin bestätigt wird.  

Kann der Aufschwung in Europa Fuß fassen? 

Um diese Frage mit Ja zu beantworten, darf der „wenig aufregende, aber verlässliche“ Aufschwung in der EU-Wirtschaft nicht durch die Populisten vom Kurs abgebracht werden. Wenn dies gelingen sollte, könnten Anleger die lange vernachlässigten europäischen Märkte mit ihren positiven Renditetrends wieder in den Fokus rücken. Angesichts eines prognostizierten BIP-Wachstums von 1,5% im laufenden Jahr und steigender Staatsausgaben infolge eines freundlicheren Wirtschaftsklimas besteht Anlass zur Hoffnung, dass Europa das Tal der Tränen durchschritten hat. 

Angetrieben von besseren Wachstumszahlen und aufkommendem Inflationsdruck, dargestellt in Grafik 1, sind die Renditen 10-jähriger deutscher Staatsanleihen auf über 0,3% gestiegen, während ihre US-Pendants sogar bei über 2,3% rentieren (Stand: 8. Februar 2017). Für Banktitel und Erholungswerte hat dies erhebliche Auswirkungen. Denn trotz der massiven Unsicherheit auf der politischen Weltbühne scheint der Markt an eine wirtschaftliche Erholung zu glauben.


Noch ist nicht abzusehen, wie kräftig die Erholung ausfällt und wie lange sie anhält.Ignoriert werden sollte sie deshalb aber nicht. Unternehmen, die besonders sensibel auf die Entwicklung des wirtschaftlichen Umfelds reagieren, wie der schwedische Konzern Atlas Copco oder die deutsche Siemens AG, beobachten in vielen Bereichen ermutigende Signale, bedingt durch die höhere Ausgabenfreude der Konsumenten. Banken wiederum verzeichnen eine, wenn auch nur allmählich steigende Nettozinsspanne (Differenz zwischen Zinserträgen aus der Kreditvergabe und Zinsaufwendungen für Einlagen) und eine zunehmende Kreditnachfrage, wie Grafik 2 zeigt.

In den vergangenen Monaten kam es an den Märkten zu einer plötzlichen Rotation aus Wachstums- (Growth) in Substanzwerte (Value) – eine Beobachtung, die bei aller Vereinfachung den Kern der aktuellen Entwicklung trifft. Diese Umschichtung hat die Kurse von Value-Aktien über ihr 10-Jahreshoch getrieben, während bei den Bewertungen von Growth-Aktien der gegenläufige Trend zu beobachten war. Auch wenn dieser Trend anhalten sollte, bleibt für 2017 festzustellen: Das Pendel ist weit genug in Richtung „Value“ geschwungen, auch und gerade angesichts der Tatsache, dass Wachstum in einer ausgereiften Weltwirtschaft nicht einfach herbeigezaubert werden kann. 

In der Zukunft warten erhebliche Hürden, die aber noch nicht sichtbar sind. Bis dies der Fall ist, bleiben wir wachsam und halten zugleich Ausschau nach herausragenden Unternehmen, die von den Märkten zu Unrecht massiv abgestraft wurden. Noch mag es zu früh sein, sich wieder in Richtung auf Wachstumswerte zu positionieren. Aber in sechs bis neun Monaten könnte es erneut heißen: Kurs auf Wachstumswerte.

Die Wertentwicklung in der Vergangenheit ist kein zuverlässiger Indikator für die künftige Wertentwicklung. Alle Performance-Angaben beinhalten Erträge und Kapitalgewinne bzw. -verluste, aber keine wiederkehrenden Gebühren oder sonstigen Ausgaben des Fond.

Die Informationen in diesem Artikel stellen keine Anlageberatung dar.

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