J.P. Morgan: „Wir brauchen mehr Europa“

FundResearch sprach exklusiv mit Karsten Stroh, Experte für europäische Aktien bei J.P. Morgan Asset Management.

21.11.2013 | 06:45 Uhr von «Patrick Daum»

Karsten Stroh ist Managing Director für europäische Aktien bei J.P. Morgan Asset Management in London. Mit FundResearch sprach er exklusiv über die vergangenen fünf Jahre der europäischen Finanzkrise, die künftigen Maßnahmen der Politik und die Entwicklung der Aktienmärkte.

FundResearch: Seit fünf Jahren leben wir mit der Finanzkrise. Warum konnte das Problem noch nicht gelöst werden? Was fehlt? Und wie lange wird das noch so weiter gehen?

Karsten Stroh: Der Tiefpunkt der ganzen Krisenthematik ist im Jahr 2009 anzusiedeln. Es ist wohl noch ein langwieriger Prozess, bis wir die Dinge ins Gleichgewicht gebracht haben. Wir dürfen aber dabei nicht vergessen, dass wir mittlerweile vier Jahre hinter uns haben. Und in diesen vier Jahren ist eine Menge passiert. Das heißt nicht, dass wir am Ende der Entwicklung sind. Wir werden sicher in vielen Ländern weiterhin in dieser Entwicklung fortschreiten müssen. Aber ich bin davon überzeugt, dass der schwierigste Schritt das Erkennen des Problems war. Im Anschluss daran wurde ein Weg eingeschlagen, der nun konsequent weiterverfolgt wird. Wenn Sie so möchten, ist es wie beim Bergsteigen. Habe ich erst einmal den halben Bergs beschritten, kann ich auf das Geleistete zurückblicken und mir sagen, dass ich den Rest auch noch schaffe.

FundResearch: In welchem Bereich sehen Sie das größte Problem?

Karsten Stroh: Die der Höhe der Lohnstückkosten in den Krisenländern ist für mich letztlich einer der signifikantesten Punkte. Die große Herausforderung war, dass diese Länder im Vergleich zu Deutschland massive Anstiege der Lohnstückkosten gehabt haben. Damit haben sie ihre Wettbewerbsfähigkeit eingebüßt. Doch an dieser Stelle ist seitdem einiges passiert. Irland und Griechenland sind zwei exponierte Beispiele. Dabei waren die Lohnstückkosten in Irland noch höher als in Griechenland. Und heute sind sie erneut deutlich niedriger. Fast der komplette Lohnkostenanstieg wurde wieder ausgeglichen. Wir sind also nicht mehr an dem Punkt, an dem wir erkennen müssen, dass sich Dinge ändern müssen. Das Problem ist erkannt und angegangen worden. Sicherlich kann nächstes Jahr die Diskussion nochmal aufkommen, ob wir ein weiteres Refinanzierungspaket für Griechenland brauchen. Wir sollten uns jedoch vor Augen halten, dass wir mittlerweile über völlig andere Größenordnungen sprechen als noch vor einem Jahr. Die Wirtschaft der europäischen Staatengemeinschaft geht in die richtige Richtung. Deshalb bin ich optimistisch.

FundResearch: Was erwarten Sie von der neuen Bundesregierung in Bezug auf die Europapolitik?

Stroh: Die Dinge, die initiiert worden sind, müssen weitergeführt werden. Der eingeschlagene Weg war bisher der richtige. Man muss den Partnerstaaten in Europa klarmachen, dass wir seit etwa einem Jahr in der Phase sind, in der es darum geht voranzugehen und das heißt insbesondere wieder auf einen positiven Wachstumspfad zu kommen. Dabei muss es auch darum gehen, die Menschen und die Wirtschaft auf diesem Weg zu begleiten und sie zu unterstützen.

FundResearch: Ein ursächliches Problem der Krise war die Einführung des Euros, ohne ein politisches Fundament zu haben. Es stehen  sich zwei Lager gegenüber. Die einen fordern ein supranationaleres Europa, wenn möglich bis hin zum Nationalstaat. Und die anderen wollen eine Stärkung der Nationalstaaten. Wie sehen Sie das?

Karsten Stroh: Eins ist klar – und EZB-Präsident Mario Draghi hat das zu Jahresbeginn gesagt: Die Lösung, die wir brauchen, um die Herausforderung anzugehen, ist nicht weniger Europa, sondern mehr Europa. In welcher Ausprägung das stattfinden wird, ist schwer vorherzusagen. Aber wir brauchen mehr Europa. Nehmen wir die europäische Bankenunion. Das ist ein ganz konkretes Beispiel, an dem deutlich wird: Es muss mehr Europa geben. Das heißt nicht, dass die EU zum Nationalstaat wird. Die Diskussion verdeutlicht jedoch, dass wir in einer wie auch immer gearteten Weise – darüber diskutieren die Politiker noch – nationalstaatliche Grenzen etwas leichter überwinden können als bisher.

FundResearch: Können sich die Aktienmärkte weiterhin so gut entwickeln?

Karsten Stroh: Erst geht es den Aktienmärkten gut und dann der Wirtschaft. Damit will ich sagen, dass die Aktienmärkte die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung antizipieren. Die wirtschaftlichen Sachverhalte folgen also dem Börsenverlauf. Voraussetzung für einen weiter florierenden Aktienmarkt sind steigende Gewinne der Unternehmen. Das haben wir in Europa in den vergangenen Jahren in der breiten Fläche nicht gesehen. Wegen der großen Angst und der damit verbundenen Verunsicherung sind die Bewertungsniveaus von Aktien signifikant gesunken. SO wurden die Aktienmärkte im März 2009 mit Kurs-Gewinn-Verhältnissen (KGV) von im Schnitt acht oder neun bewertet. Es gab sogar einzelne Unternehmen, die ein Einser-KGV aufwiesen. Ein Zeichen für völlige Verunsicherung. Zwar sind die Unternehmensgewinne nicht stark gestiegen, aber die KGVs konnten bis heute wieder auf ein faires Bewertungsniveau von etwa 13 oder 14 steigen. Das heißt, wir haben primär eine Revaluierung der Niveaus der Aktienmärkte gesehen. Der dritte Punkt ist, dass man die Entwicklung der europäischen Aktienmärkte nicht einfach so mit der Entwicklung der europäischen Wirtschaft vergleichen kann. Europäische Unternehmen erzielen mehr als die Hälfte ihrer Umsätze außerhalb Europas. Zu großen Teilen erwirtschaften sie diese in den USA und den Schwellenländer. Wenn man europäische Unternehmen verstehen will, muss man insofern eher über globales Wachstum nachdenken als über europäisches.

FundResearch: Die EZB hat den Leitzins erneut gesenkt. Wie bewerten Sie diesen Schritt? Sehen Sie eine Blase?

Karsten Stroh: Ich denke nicht, dass wir in einer Aktienblase sind. Betrachten wir die Bewertungen, erkennen wir vielmehr, dass Aktien gemessen am KGV immer noch unter ihrem langfristigen Durchschnitt notieren. Dennoch: Aktienmärkte können auch starken Schwankungen unterliegen. Es gibt nach wie vor Chancen am Aktienmarkt, auch wenn es nicht immer eine gerade Linie nach oben sein wird. Fundamental sind die Kurse gut untermauert.

FundResearch: Der Markt würde auch Zinserhöhungen auffangen?

Karsten Stroh: Ich denke, Zinserhöhungen sind noch sehr weit weg. Und wenn die US-Notenbank Fed das Tapering richtig anpackt, wird sie die Ausweitung der Geldmenge verlangsamen und sie nicht schlagartig schrumpfen. Die Fed wird es erst dann beginnen, wenn sie davon überzeugt ist, dass es der Wirtschaft besser geht. Und wenn es der Wirtschaft besser geht, dann ist das ein positives Argument für Aktien.

FundResearch: Was glauben Sie, wo der DAX am Jahresende steht?

Karsten Stroh: (lacht) Wir als Assetmanager machen keine Punktprognosen. Ich bin glücklich damit zu sagen, dass in den kommen zwölf bis 24 Monaten die Aktienmärkte weiteres Potenzial haben. Wo der DAX am Jahresende steht, ist für einen langfristig orientierten Anleger zweitrangig. Die Erfahrung zeigt – und es gibt ja psychologische Effekte an Märkten – dass es gerade in einem positiven Jahr meistens noch ein Stück nach oben geht.

(PD)

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