Janus Henderson: China - Chancen und Risiken

Bei seiner Reise ins Land der Mitte hat sich Stephen Deane, Portfoliomanager beiJanus Henderson, einen Eindruck von den Fortschritten des Landes und den damit verbunden Chancen gemacht. Doch es gibt auch Risiken.

06.02.2018 | 12:30 Uhr

Ein altes Sprichwort in China besagt: „Die Berge sind hoch und der Kaiser ist weit”. Es erinnert uns daran, dass die Betrachtung Chinas als ein homogenes Land der enormen Vielfalt in allen Bereichen, angefangen von der Sprache über das Essen bis hin zu den Kulturen in den Unternehmen, die wir besucht haben, nicht gerecht wird.

Anfang Dezember brach das Team zu seiner Reise nach China auf, die es von Peking über Hangzhou und Shenzhen bis nach Hongkong führte. Station machten wir bei Unternehmen, in die die Strategie bereits investiert bzw. die wir für werthaltig genug halten, um sie eines Tages ins Portfolio aufzunehmen. Überrascht hat uns, wie ausgereift viele Produkte, Dienstleistungen und Unternehmen inzwischen sind. Das passt unseres Erachtens nicht zu den hohen Aktienbewertungen, die anhaltend rasantes Wachstum nahelegen.

Aufgefallen ist uns auch, dass viele chinesische Unternehmen, die weltweit immer stärker Fuß fassen, schon heute eine größere Marktkapitalisierung haben als die multinationalen Konzerne, denen sie ihre Führungsposition streitig machen wollen. Chinas führender Elektrokonzern Midea etwa bringt es auf eine Marktkapitalisierung von 55,5 Milliarden Dollar, verglichen mit 12,3 Milliarden Dollar für den US-Rivalen Whirlpool oder 10,0 Milliarden Dollar für den schwedischen Wettbewerber Electrolux.

1 Thomson Reuters Datastream, Angaben vom 29. Dezember 2017 in US-Dollar.

Meilenweit entfernt vom wachsamen Auge des Kaisers

Seit jeher gilt: Mit zunehmender Entfernung von Peking schwindet die Kontrolle des Staates. Beobachten konnten wir dies bei den Beschränkungen zum Internetzugang, aber auch mit Blick auf die Art der Firmen, die wir besucht haben. Viele am Tropf des Staates hängende Unternehmen befinden sich in größerer räumlicher Nähe zum Zentrum der Macht oder sind einst daraus hervorgegangen. Innovativere Betriebe sind in der Regel „weit vom wachsamen Auge des Kaisers entfernt“ zu finden.

Es lohnt sich jedoch innezuhalten und sich etwas genauer anzuschauen, was dieses Regierungssystem in den letzten Jahrzehnten erreicht hat. Seit Beginn der Wirtschaftsreformen Ende der 1970er Jahre hat China Hunderte Millionen Menschen aus der Armut geholt in einem Land, das außer humanen kaum wichtige Ressourcen zu bieten hat. Indien und China, die häufig wegen ihrer riesigen Bevölkerungen miteinander verglichen werden, haben sich seit der Öffnung Chinas erstaunlich unterschiedlich entwickelt. In Indien belief sich das Bruttoinlandsprodukt (BIP) 1980 inflationsbereinigt auf 263,8 Dollar pro Kopf, in China auf 194,8 Dollar (2). In den Jahren bis 2016 ist Indiens Wirtschaftsleistung um das 6,5-fache auf über 1.700 Dollar pro Kopf gestiegen – Chinas Pro-Kopf-BIP dagegen auf mehr als 8.000 Dollar und damit mehr als das 40-fache. Bei Reisen durch beide Länder fallen die enormen Unterschiede in Sachen Infrastrukturinvestitionen ins Auge: Große Straßen- und Eisenbahn-, aber auch die momentan zahlreichen U-Bahn-Projekte in China dürften sich in den kommenden Jahrzehnten bezahlt machen.

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Als Stockpicker liegt uns jedoch weniger an allgemeinen statistischen Zahlen. Uns interessiert vielmehr, ob die aktuell hohen Bewertungen vieler Unternehmen überzogenen Erwartungen zuzuschreiben sind. Unser Trip ins Reich der Mitte führte uns die zunehmenden Fortschritte des Landes und die damit verbundenen Chancen vor Augen. In zahlreichen Produktkategorien reichen die Absatzzahlen pro Einwohner an die in Industrieländern heran. Auch das Internet ist weit verbreitet, und viele Produkte haben in China einen höheren prozentualen Online-Umsatzanteil als in den USA oder in Europa. Japans führender Windelhersteller erklärte uns kürzlich, dass er in den wohlhabenderen Städten Chinas bereits 85 bis 90 Prozent seiner Produkte über das Internet verkauft. In Anbetracht des bis 2050 (3) prognostizierten Bevölkerungsrückgangs um etwa drei Prozent mahnt uns das wegen der hohen Bewertungen vieler Firmen, mit denen wir auf unserer Tour durch das Land gesprochen haben, zur Vorsicht.

China steht vor großen Herausforderungen: Wachsende Ungleichheit, Umweltverschmutzung, ein riesiger Schuldenberg und eine alternde Bevölkerung werden für den Staat zunehmend zur Belastung. Wir investieren jedoch nicht themenbezogen. Gleichwohl sollte uns ein Verständnis dieser Herausforderungen helfen, die Risiken in unseren Portfolios zu mindern. Ein Beispiel: Auf unserer Reise erfuhren wir von Unternehmen, die wegen enormer Umweltverschmutzung geschlossen wurden, indem man ihnen einfach den Strom abstellte.

2 Weltbank, Pro-Kopf-BIP in US-Dollar.

Vereinte Nationen, Weltbevölkerungsprognosen, aktuelle Angaben von 2017.

Die Bedeutung gleicher Interessen

Seit Langem halten wir es für überaus wichtig, dass unsere Interessen als Minderheitsaktionäre mit denen der Eigentümer der Firmen, in die wir investieren, übereinstimmen. Chinas Wirtschaft zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass sich staatliche Kontrolle nicht nur in Form von Politik, Gesetzen und Förderanreizen manifestiert, sondern auch durch die direkte Einflussnahme auf Unternehmen. Und selbst wenn der Staat ein Unternehmen nicht direkt kontrolliert, kann die Regierung es jederzeit nach ihrer Pfeife tanzen lassen. Das führt zur paradoxen Situation, dass große Unternehmen mit hohen Cash-Reserven anders als in anderen Länder nicht weniger, sondern mehr Risiken ausgesetzt sind.

Was aber nicht heißen soll, dass unsere Interessen und die des chinesischen Staates nie zusammenpassen. Pekings gut in Szene gesetztes Bemühen, nach dem Melamin-Skandal 2008 die Schwachstellen in der Milchlieferkette auszumerzen, hat der staatlichen China Mengniu Dairy die Türen zu einer erfolgreichen Partnerschaft mit den multinationalen Konzernen Danone und Arla geöffnet.

Auf unserer Reise besuchten wir auch zwei von der China Resources (CR) Gruppe kontrollierte Firmen. CR wurde 1938 in Hongkong gegründet, um Kapital und Ausrüstung für die Volksbefreiungsarmee zu beschaffen. Mit den Jahren mauserte sie sich zu einer Handelsgesellschaft im Auftrag der Volksrepublik. Und seit der zunehmenden Öffnung des Landes erstreckt sich ihr Kaufmannsgeist nun auch auf staatliche Unternehmen in allen Wirtschaftszweigen von alkoholischen Getränken bis Zement.

Wir trafen uns mit Vertretern von CR Phoenix, einem Krankenhausbetreiber, und CR Pharma, das Arzneimittel entwickelt und vertreibt. Die durch die Alterung der Bevölkerung verursachten Kosten stellen die Regierung vor große Probleme. CR wurde daher beauftragt, Lösungen zur Kostensenkung und für mehr Transparenz im Gesundheitswesen zu entwickeln. Die Arbeit hat gerade erst begonnen, denn noch sind die meisten Krankenhäuser im Besitz des Staates, sodass CR Phoenix nach Schätzungen gerade einmal auf 0,2 Prozent Marktanteil kommt. CR Pharma ist eines von drei Unternehmen, die den Arzneimittelvertrieb im Reich der Mitte bündeln. Zusammen beläuft sich ihr Marktanteil auf etwa 33 Prozent verglichen mit über 90 Prozent in den USA 4. Die spannende Frage für uns als Anleger lautet aber, welche Rendite die Regierung CR für das Erbringen dieser Dienstleistungen zugesteht.

4 Unternehmensschätzungen

Nicht alles, was glänzt ...

Bei unserer Fahrt von Stadt zu Stadt fielen uns überall, wo wir auch hinkamen, die Ansammlungen von Mietfahrrädern von Betreibern wie Ofo und Mobike auf – mitunter zu Stapeln aufgetürmt am Straßenrand. Mit einem Smartphone kann jeder im Handumdrehen ein Fahrrad eines der zahlreichen Unternehmen mieten, die ein Stück vom Kuchen der „Sharing Economy“ haben wollen. Für eine solche Omnipräsenz – allein Ofo gehören weltweit über zehn Millionen Mieträder – muss man viel Kapital in die Hand nehmen. Und das ist nur möglich mit Unterstützung eines potenten Kapitalgebers wie zum Beispiel Tencent oder Alibaba.

An diesen beiden Internet-Giganten ging auf unserer Tour kein Weg vorbei. In diversen Outlets war es sogar ohne Alipay oder WeChat nicht möglich einzukaufen. Tencent und Alibaba mischen in allen Bereichen der Wirtschaft mit, angefangen von der Filmindustrie bis hin zu Kaufhäusern. Dabei nutzen sie ihre gigantischen, aus ihren Kerngeschäften erwirtschafteten Barmittel, um in alles zu investieren, was zusätzliches Wachstum verspricht. Für uns war es nicht ersichtlich, wie einige dieser Geschäftsmodelle jemals eine vernünftige Rendite erzielen wollen. Vielleicht ist das jedoch die einzige Möglichkeit, wie Internetfirmen der ständigen Bedrohung durch Disruption begegnen können? Aber wenn das stimmt, dann wird der von diesen Unternehmen vermeintlich generierte Barüberschuss niemals bei den Minderheitsaktionären ankommen.

Eine weitere Gefahr sehen wir darin, dass sich bei ihren Kerngeschäftsfeldern langsam eine gewisse Marktsättigung einstellen könnte. Viele, mit denen wir gesprochen haben, erklärten uns, dass die höchsten Zuwächse im E-Commerce inzwischen auf kleinere Städte entfallen, in denen die großen Einzelhändler bislang noch nicht mit Läden vertreten sind. In wohlhabenderen Gegenden sind günstig gelegene Einkaufszentren mit Qualitätsprodukten gerade wieder stark im Kommen. Gut möglich, dass sich hier künftig Einkäufe on- und offline die Waage halten werden. Laut dem globalen Beratungsunternehmen McKinsey sind in großen und mittelgroßen Städten schon heute über 80 Prozent der über 12-Jährigen online und beinahe 90 Prozent von ihnen kaufen im Internet ein. Zwar leben in China immer noch mehr Menschen außerhalb von Großstädten, aber das exponentielle Wachstum der letzten Jahre kann nicht ewig so weitergehen.

Neben diesen Bedenken machen uns auch Interessenkonflikte bei diesen streng kontrollierten Firmen mit verschachtelten Unternehmensstrukturen Sorgen. Häufig scheint es eine Grauzone zwischen dem Kapital eines Unternehmens und dem der Gründer zu geben. Ein gutes Beispiel ist Hundsun, ein Software-Anbieter für Finanzdienstleister, ein sogenanntes Fintech-Unternehmen, dem wir in Hangzhou einen Besuch abstatteten. Sein größter Aktionär ist ein Unternehmen, das vom Chef der Alibaba-Gruppe, Jack Ma, kontrolliert wird.

2014 erwarb jemand aus dieser Eigentümergruppe persönlich eine Beteiligung an Hundsun und wurde damit zu dessen größtem Anteilseigner. Im Juni 2015 meldete Reuters, die Beteiligung sei von Ant Financial übernommen worden, einem mit der chinesischen Alibaba-Gruppe verbundenen Unternehmen. Diese Mischung aus privaten und unternehmerischen Beteiligungen nährt unsere Zweifel, ob den Interessen von Minderheitsaktionären in Anbetracht der offenkundigen Interessenkonflikte tatsächlich angemessen Rechnung getragen wird.

Die wichtigsten Erkenntnisse unserer Reise

Zurück von dieser Tour sind wir der Meinung, dass der chinesische A-Aktienmarkt Stockpickern wie uns viel Interessantes zu bieten hat. Die jungen Chinesen, mit denen wir gesprochen haben, blicken voller Optimismus in die Zukunft und heben sich damit wohltuend von ihren Altersgenossen in Industrieländern ab. Mehr Firmen als erwartet haben ihre Vergangenheit als Staatsunternehmen hinter sich gelassen und sind auf dem Weg, ein wirklich privatwirtschaftliches Unternehmen zu werden. Foshan Haitian, der Sojasaucenhersteller mit 300-jähriger Firmengeschichte, etwa zeigte sich überzeugt, dass er Chinas Unilever werden kann. Dieser Positivtrend könnte sich in Branchen fortsetzen, die aus Pekings Sicht keine strategische Bedeutung haben.

Aber die Reise hat nicht alle unsere Bedenken zerstreut. Etwa was das Vertrauen angeht, das die meisten in die Fähigkeit der chinesischen Regierung im Kampf gegen die offensichtlichen Exzesse an den Finanz- und Immobilienmärkten setzen. Zudem implizieren die hohen Kurse vieler investierbarer Unternehmen Wachstumsraten, die uns angesichts der Marktreife vieler Branchen auf Dauer kaum möglich scheinen. Anlegen in China ist wegen der Beschränkungen für ausländische Investoren in bestimmten Industriezweigen und ganz generell wegen der Anlagebestimmungen am A-Aktienmarkt kein leichtes Unterfangen. Bei anderen Möglichkeiten für einen Marktzugang etwa über Notierungen in den USA oder in Hongkong sehen die Firmenstrukturen häufig nur einen begrenzten Schutz von Minderheitsaktionären vor. Beispiele sind komplexe Zweckgesellschaften (VIE), mit denen wir uns an anderer Stelle bereits beschäftigt haben.

Möglich ist jedoch auch eine Anlage über Firmen, die mit ihren Produkten und Dienstleistungen in China erfolgreich sind. Dazu gehören Unternehmen wie die niederländische Brauerei Heineken, der koreanische Kosmetikkonzern LG Household & Healthcare und der taiwanesische Lebensmittel- und Getränkehersteller Uni-President, die wir im Portfolio haben. Diese vernünftiger bewerteten Unternehmen bieten Anlegern unseres Erachtens bessere Möglichkeiten, vom wachsenden Konsum in China und von Managementteams zu profitieren, die nachweislich in der Lage sind, die Klippen dieses spannenden Marktes zu umschiffen.

Stephen Deane, Portfoliomanager im Janus Henderson Global Emerging Market (GEM) Equities Team

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