Janus Henderson: Gute Gründe für Europa

Europa hat nach einem von Unsicherheit geprägten Jahrzehnt nun eine gewisse wirtschaftliche Stabilität zurückerlangt. Dies spiegelt sich jedoch in den Kursen der Aktienunternehmen aus der Region noch nicht wider. Zudem ist unklar, welche Folgen derBrexit für europäische Aktien hat.

02.11.2017 | 11:04 Uhr

Leiden Europas Märkte unter Brexit-Ängsten?

Nach wie vor herrscht große Verunsicherung über die langfristigen Folgen der von den Briten mit dem Brexit-Referendum vom 23. Juni 2016 getroffenen Entscheidung, aus der Europäische Union auszutreten.  Auch unter Ökonomen ist strittig, wie groß die Auswirkungen sein werden. Dennoch fallen die Konsensschätzungen zum Wachstum in Großbritannien bislang weniger vernichtend aus, als viele erwartet hatten. Schützenhilfe für die Insel kommt von rekordniedrigen Zinsen. Sie erleichtern die Kreditaufnahme und ermuntern zu vermehrten Konsumausgaben und Investitionen. Über die Langzeitwirkung einer derart entgegenkommenden Geldpolitik wird sich die Bank von England (BoE) aber wohl noch Gedanken machen müssen.

Als Barometer der Lage im verarbeitenden Sektor gelten die Einkaufsmanagerindizes (PMI). Sie geben Aufschluss über Änderungen der Ausgabenpläne in Unternehmen, über deren Lagerbestände und Auftragsbücher sowie die Beschäftigungslage. Damit sind sie ein wichtiger Gradmesser der aktuellen Geschäftslage und ganz allgemein der Entwicklung in der Wirtschaft. Der von Markit erhobene PMI für das verarbeitende Gewerbe im Euroraum erreichte im Juni und August einen Stand von 57,4 Zähler. Das war der höchste Wert seit sechs Jahren, dargestellt in Grafik 1.

Grafik 1: Unternehmen in der Eurozone sind unverändert optimistisch


(Quelle: PMI-Daten zum verarbeitenden Gewerbe in Europa, Bloomberg, Stand: 28. September 2017. Beinhaltet auch Schätzungen für September 2017. Ein Wert über 50 signalisiert gesamtwirtschaftliches Wachstum.)

Momentan haben wir es offenbar mit dem besten Wirtschaftsumfeld in Europa seit Jahren zu tun, wenngleich bei den Schätzungen die Folgen der Brexit-Verhandlungen bislang unberücksichtigt bleiben. Die Gespräche zwischen dem EU-Chefunterhändler Michel Barnier und dem britischen Brexit-Minister David Davis befinden sich jedenfalls in einer entscheidenden Phase. Ein schlechter Deal könnte beiden Seiten schaden. Dennoch bleiben die Anleger bislang gelassen.

Verhaltene Volatilität am Markt – bei zugleich bangem Blick in die Zukunft

In der Marktvolatilität, das heißt dem Auf und Ab an einer Börse, findet die Stimmung der Anleger und ihr Vertrauen in die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung ihren Widerhall. In einem „stark volatilen“ Markt, zu beobachten überlicherweise in Zeiten mit Unsicherheiten über den Konjunkturverlauf, kommt es häufig zu dramatischen Kursschwankungen. Dagegen ändern sich in Phasen mit geringer Marktvolatilität die Kurse vergleichsweise stetig und vorhersagbar.

Grafik 2: An den europäischen Märkten ist es relativ ruhig


(Quelle: Bloomberg, EuroStoxx 50 Volatility Index (VSTOXX), Stand: 13. Oktober 2017.)

Der EuroStoxx 50 Volatility Index (VSTOXX) ist ein viel beachtetes Barometer der Unsicherheit an den europäischen Aktienmärkten. Deren Volatilität liegt nach wie vor unter dem langjährigen Durchschnitt sowie weit unter den Werten während der Finanzkrise  und der anschließenden Staatsschuldenkrise  in Europa. Das ist zwar nicht zuletzt den starken Geschäftszahlen europäischer Unternehmen geschuldet. Aber es gibt auch Risiken, die Anleger im Auge behalten sollten.

An die Risiken einer höheren Verschuldung in einer Zeit mit dauerhaft niedrigen Zinsen haben sie sich offenbar gewöhnt. Das könnte jedoch zum Problem werden, wenn die Anleihenrenditen wieder steigen . Damit wäre zu rechnen, wenn die Zinsen in Großbritannien und Europa anziehen oder die Europäische Zentralbank (EZB) mit dem Drosseln ihrer monatlichen Anleihenkäufe im Rahmen ihres quantitativen Lockerungsprogramms  beginnt. Höhere Schwankungen an den Märkten wären dann nicht auszuschließen, da Anleger womöglich die Konsequenzen für Unternehmen überdenken, die das billige Geld zu übermäßigem Schuldenmachen verleitet hat und die daher mit höheren Kosten für die Rückzahlung ihrer Verbindlichkeiten rechnen müssen.

Für Anleger mit einer langfristigen Portfoliostrategie ist Marktunsicherheit kein Grund zur Sorge. Sie bietet ihnen vielmehr die Gelegenheit, in gute Unternehmen auf möglicherweise attraktivem Kursniveau zu investieren. Bis auf Weiteres dürfte die gegenwärtig niedrige Marktvolatilität es Anlegern jedoch ermöglichen, sich auf die besseren Fundamentaldaten  der Unternehmen zu konzentrieren. Es hat lange gedauert: Aber endlich steigen die Gewinne in Europa wieder und fallen in vielen Fällen wie erwartet oder sogar besser aus.

Finanzkrise: Kurseinbrüche an mehreren Finanzmärkten hatten im Zusammenspiel mit diversen Bankenpleiten eine tiefe Rezession in der Weltwirtschaft zur Folge. Die Krise begann 2007, als sich die Hinweise auf schwere Fehlentwicklungen am US-Subprime-Hypothekenmarkt mehrten, einem Markt für Immobilienkredite an Schuldner mit fragwürdiger Bonität.

Europäische Staatsschuldenkrise: Sie nahm 2009 ihren Anfang, als die zunächst auf Griechenland beschränkte Angst vor übermäßiger Staatsverschuldung auch auf andere Mitgliedstaaten der Währungsunion wie Portugal, Irland, Italien und Spanien übergriff. Angesichts steigender Anleihezinsen, hinter denen die Sorge stand, die Länder könnten nicht in der Lage sein, ihren Verbindlichkeiten nachzukommen, sah sich die Europäische Zentralbank gezwungen einzugreifen.

Anleihenrenditen: Sie geben die Höhe der Verzinsung (des Kupons) einer Anleihe (eines Kredits) im Verhältnis zu ihrem Kurs an, ausgedrückt in Prozent. Anleihen werden an einer Börse gehandelt, sodass ihr Kurs im Zeitverlauf schwankt. Ist die Nachfrage nach einer Anleihe groß, steigt ihr Kurs. Da zugleich jedoch ihr Kupon unverändert bleibt, sinkt folglich die Rendite. Im umgekehrten Fall steigt die Rendite, wenn der Kurs der Anleihe fällt. Höhere Zinsen können dazu führen, dass die Kuponzahlungen an Attraktivität verlieren und damit die Kurse fallen, was wiederum höhere Anleihenrenditen zur Folge hat

Quantitative Lockerungen: Maßnahmen einer Zentralbank, mit denen sie im großen Stil Geld schafft, um Staatsanleihen oder andere Kreditinstrumente zu kaufen und damit die Wirtschaft anzukurbeln.

Unternehmensfundamentaldaten: Hierunter versteht man die grundlegenden betriebswirtschaftlichen Kennzahlen eines Unternehmens wie Erträge, Verbindlichkeiten und Cashflow, aber auch die Qualität des Managements. Sie bestimmen die Finanzlage eines Unternehmens und lassen Rückschlüsse auf seine künftige Entwicklung zu.

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