Janus Henderson Investors: Coronavirus und der Gesundheitssektor – eine komplexe Gemengelage
Weltweit breitet sich das Coronavirus weiter aus. Einige Gesundheitsunternehmen warnen daher vor Umsatzeinbußen, während andere mit Hochdruck an Behandlungsmethoden arbeiten – was ihre Aktien steigen lässt. Portfoliomanager Andy Acker ist jedoch der Meinung, dass Anleger das große Ganze nicht aus dem Blick verlieren sollten.02.03.2020 | 08:40 Uhr
Zentrale Erkenntnisse
- Mit der weiteren Ausbreitung des Coronavirus sind die Kurse von Gesundheitsaktien parallel zum Gesamtmarkt auf Talfahrt gegangen. Aber die Auswirkungen auf den Gesundheitssektor könnten vielschichtiger sein, als es der Markt widerspiegelt.
- Unternehmen mit starkem Engagement in China glauben, dass die Nachfrage nur vorübergehend zurückgehen wird. Zugleich könnte der Markt mit Blick auf den Zeitpunkt, ab dem ein wirksames Medikament zur Verfügung steht, zu optimistisch sein.
- Anlegern raten wir daher ab, noch im Verlauf der Coronavirus-Krise Gewinner und Verlierer im Gesundheitswesen identifizieren zu wollen. Nach wie vor halten wir eine langfristige Perspektive für eine vernünftige Herangehensweise.
Die Nachrichten über den Ausbruch des Coronavirus in mehreren anderen Ländern außerhalb Chinas wecken Befürchtungen, dass sich die Atemwegserkrankung mit der offiziellen Bezeichnung COVID-19 zu einer globalen Pandemie auswachsen könnte. Die Angst löste einen massiven Ausverkauf an den globalen Aktienmärkten und eine Rally bei zehnjährigen Staatsanleihen aus, deren Renditen auf neue Allzeittiefs fielen.
Auch Gesundheitsaktien konnten sich der allgemeinen Verkaufswelle nicht entziehen. Unseres Erachtens könnten die Auswirkungen auf den Gesundheitssektor jedoch vielschichtiger sein, als es die Marktentwicklung vermuten lässt.
Kurzfristige Schwankungen im Auge behalten
Bislang lässt sich noch nicht sagen, welche Auswirkungen das Virus langfristig haben wird. Da nicht jeder, der Träger des COVID-19-Virus ist, auch Krankheitssymptome zeigt, wächst die Sorge, dass nicht alle Infizierten rechtzeitig erkannt werden, was die Ausbreitung der Krankheit begünstigen könnte. Insbesondere in China werden bislang vor allem Menschen auf das Virus getestet, die sich in Behandlung begeben. Wenn Chinas derzeit noch gedrosselter Wirtschaftsmotor wieder auf Hochtouren läuft, könnten die Fallzahlen erneut steigen. Erschwerend kommt hinzu, dass das Reich der Mitte der weltweit größte Hersteller von aktiven pharmazeutischen Wirkstoffen ist, den „Rohstoffen“ zur Herstellung von Medikamenten. In der letzten Woche warnte die amerikanische Arzneimittelbehörde FDA wegen Unterbrechungen der Lieferketten vor Engpässen in der Medikamentenversorgung.
Auf kurze Sicht dürften vor allem Gesundheitsfirmen mit bedeutendem Umsatz- oder Produktionsanteil in China unter Druck geraten. Der Pharmariese AstraZeneca beispielsweise erklärte, das Coronavirus könnte in diesem Jahr „ungünstige“ Auswirkungen auf seinen Umsatz haben. 2019 hatte AstraZeneca im Riesenreich 35% mehr umgesetzt als im Vorjahr und damit den in China erwirtschafteten Anteil am Gesamtumsatz auf 21% erhöht.
Auch Firmen aus den Bereichen Life-Sciences-Geräte und -Zubehör sowie Medizintechnik sind tendenziell stark im bevölkerungsreichsten Land der Welt engagiert. Agilent Technologies etwa, das Labor- und Diagnostikinstrumente herstellt, generiert ein Fünftel seiner Umsatzerlöse in China. In einer kürzlich veröffentlichten Gewinnmitteilung schätzt die Firmenleitung die möglichen Umsatzeinbußen im ersten Halbjahr auf 25 bis 50 Millionen USD.
Auf die langfristige Perspektive kommt es an
Dennoch, gemessen am Gesamtumsatz könnten die Einbußen durch die Coronavirus-Krise kaum zu Buche schlagen. AstraZeneca wird eigenen Prognosen zufolge 2020 nach wie vor ein Umsatzplus im oberen einstelligen/niedrigen zweistelligen Bereich erzielen. Die möglichen Mindererlöse von 50 Mio. USD bei Agilent würden lediglich 1% des für 2020 prognostizierten Umsatzes ausmachen (Quelle: Bloomberg, 25. Februar 2020). Und selbst das wird man nach eigenen Angaben vermutlich in der zweiten Jahreshälfte wieder reinholen. Zudem haben die Pharmaunternehmen, die in der Regel Wirkstoffvorräte von mehreren Monaten haben, bisher noch keine Lieferengpässe gemeldet.
Unterdessen suchen diverse Biotech- und Pharmafirmen mit Hochdruck nach Medikamenten im Kampf gegen COVID-19. Remdesivir von Gilead Sciences, ein ursprünglich für Ebola entwickeltes antivirales Medikament, wird derzeit in China in klinischen Studien an Patienten getestet, die sich mit dem Coronavirus angesteckt haben. Erste Ergebnisse könnten im April vorliegen. Einem hochrangigen Vertreter der Weltgesundheitsorganisation zufolge scheint Remdesivir derzeit das aussichtsreichste Arzneimittel zur Behandlung des neuartigen Lungenvirus. Kurz nach dieser Aussage sprang der Kurs von Gilead auf ein 52-Wochenhoch (Quelle: Bloomberg, 24. Februar 2020).
Jahrelange Forschungsarbeiten zu HIV haben das Wissen über die Wirkung antiviraler Mittel erweitert. AbbVies HIV-Medikament Kaletra wurde inzwischen in China zur Behandlung von Lungenentzündungen, hervorgerufen durch COVID-19, zugelassen. Etliche Pharma- und Biotech-Firmen arbeiten zudem an einem Impfstoff, wobei viele auf genbasierte Technologien setzen, um die Entwicklung zu beschleunigen. Das Biopharmaunternehmen Moderna meldete, es habe ein Medikament in der Rekordzeit von nur sechs Wochen bis zu den Phase-I-Tests gebracht. Möglich war dies durch den Einsatz der neuartigen Boten-RNA-Technologie, die den Körper in eine Impfstoff produzierende Fabrik verwandeln kann.
Wichtig bleibt es jedoch, die Dinge in die richtige Perspektive zu rücken. Es wird Monate, wenn nicht gar Jahre dauern, bis eine wirksame Therapie oder ein Impfstoff auf den Markt kommt. Zudem ist nicht garantiert, dass ein zugelassenes Medikament den Gewinn eines Unternehmens spürbar steigen lässt. Diese zweifellos gefährlichen Viren lösen keine chronischen Krankheiten aus. Die Einnahme der Medikamente erfolgt also in der Regel nur über wenige Tage. Auch die Bevorratung hat ihre Grenzen, wie man während des Ebola-Ausbruchs feststellen musste: Merck & Co. brauchte fünf Jahre für die Entwicklung eines Impfstoffs, der sich bislang noch kaum beim Umsatz niederschlägt. Zudem ist bislang noch unklar, ob COVID-19 nur zu bestimmten Jahreszeiten, also nicht wenn es warm und feucht ist, ausbricht und wie die Grippe jedes Jahr wieder auftritt. All das kann das kommerzielle Potenzial eines Gegenmittels beeinflussen.
Schlussendlich raten wir davon ab, die Gewinner oder Verlierer des Coronavirus-Ausbruchs identifizieren zu wollen. Zweifellos wäre ein zugelassener Impfstoff oder ein antivirales Medikament ein Grund zum Aufatmen, vor allem wenn sich herausstellen sollte, dass das Coronavirus alle Jahre wieder ausbricht. Wir sind jedoch überzeugt, dass langfristige Trends die wichtigsten Wachstumstreiber für den Gesundheitssektor bleiben. Anleger sind deshalb gut beraten, sich statt auf kurzfristige Marktbewegungen auf die damit einhergehenden langfristigen Chancen zu konzentrieren.