M&G: Das italienische Referendum als Fallstudie

In Italien sind die JA- und NEIN-Kampagnen des Referendums in vollem Gange, und laut den Umfragen ist das Rennen weit offen. Dessen ungeachtet hat diese Unsicherheit die Kommentatoren nicht davon abgehalten, dem Referendum einen Stempel aufzudrücken und zu argumentieren, dass es tatsächlich um etwas anderes geht.

07.11.2016 | 06:43 Uhr

Viele, und insbesondere solche außerhalb Italiens, möchten das Referendum zu einer Art Protestwahl stilisieren. Dafür gibt es Belege. Eine Umfrage deutet an, dass die Mehrheit der Nein-Wähler ihre Stimmabgabe als einen Denkzettel für die Regierung sieht, während eine andere Umfrage darauf hindeutet, dass ein großer Teil der Wahlberechtigten die Komplexitäten der Vorschläge nicht versteht.

Anderen Kommentatoren reicht dies aber noch nicht einmal. Es werden Ähnlichkeiten mit den jüngsten Erfahrungen im Zusammenhang mit Brexit, Trump und anderen Phänomenen hergestellt. Dies stimmt mit einer bereits existierenden Sichtweise überein, der zufolge viele Menschen das Referendum als eine „Abstimmung über Globalisierung“ ansehen.

„Das italienische Referendum könnte der Todesstoß für den Euro sein“, titelte Forbes in einem kürzlich erschienenen Artikel. Die internationalen Kommentatoren übertreiben in ihren Prognosen der möglichen Folgen nach dem Referendum gerne ein wenig: Viele glauben, dass ein Nein zu den Reformen zu einem Italexit von der Eurozone führen könnte.

Solche Szenarien übersehen allerdings die Tatsache, dass eine große Zahl anderer Dinge in eine bestimmte Richtung gehen müssen, um es zu einem Italexit kommen zu lassen. Es würde geschehen: falls Italien gegen die Verfassungsreform stimmt, falls Renzi in der Folge zurücktritt, falls eine Neuwahl angesetzt wird und die Movimento Cinque Stelle sie gewinnt, falls dann ein Referendum folgt und falls die Mehrheit der Bevölkerung schließlich für einen EU-Austritt stimmt. Hinzu kommt, dass ein Italexit nicht mit Brexit verglichen werden kann, weil Italien den Euro als Währung hat. Tatsächlich scheint es auch zurzeit keine Mehrheit für einen Austritt aus der EU zu geben.

Die Ableitung eines potenziellen Ergebnisses für das italienische Referendum aus dem Brexit ist ein gutes Beispiel für „Verfügbarkeits-Bias“ (die Vorhersage eines Ereignisses, dessen Wahrscheinlichkeit von einem ähnlichen Ereignis, oft in der jüngeren Vergangenheit, abgeleitet wird) und kann zu falschen Schlussfolgerungen führen. Brexit hat zwar die Tatsache hervorgehoben, dass die Sparpolitik weltweit eine Anti-Establishment-Stimmung gefördert hat, doch sind die Unterschiede zum italienischen Referendum groß.

Nicht nur sind Großbritannien und Italien kulturell unterschiedlich, diese Referenden führen zudem zu Veränderungen des politischen Systems, die unvergleichbar sind.

Außerdem scheinen Außenstehende zu denken, dass eine Ablehnung von Verfassungsreformen zu einer neuen und riskanten politischen Instabilität führen würde. Italien hatte in den letzten 70 Jahren 63 Regierungen und 27 Premierminister. Ein Nein zu den vorgeschlagenen Reformen würde lediglich bedeuten, dass Italien auch weiter seinem unbeständigen Pfad folgt. Ein mehr gradliniges und zentralisiertes politisches System hätte das Potenzial für zukünftiges Wachstum, doch wissen wir aus der Geschichte, dass Politik und Wirtschaft nicht immer Hand in Hand gehen.

Da politische Instabilität die Norm ist, sehen viele Italiener das Referendum lediglich als eine Abstimmung über den nicht gewählten Renzi. Für sie hat das Referendum nicht die aufgeblähte Bedeutung eines Brexits, des Handels oder einer Bankenrettung. Die internationale Presse mag dies so sehen, die Italiener allerdings nicht.

Die Auswirkungen des Referendums auf die Assetpreise

Bis jetzt ist es schwierig auszumachen, in welchem Maße das Referendum die Assetpreise beeinflusst, da andere Kräfte eine Rolle spielen. Italienische Staatsanleihen haben gegenüber ihren spanischen Pendants eine Underperformance verzeichnet, doch fiel diese lediglich gering aus und ging in erster Linie auf die Outperformance der spanischen Titel zurück. Größtenteils haben die Anleihen beider Länder die Wertentwicklung anderer globaler Staatsanleihen gespiegelt.

Der italienische Aktienmarkt konnte ebenfalls nicht mit Spanien mithalten, doch spielen hier die Probleme des italienischen Bankensektors eine erhebliche Rolle. Spaniens Verbindung zu den Ländern Südamerikas kommt in diesem Zusammenhang ebenfalls eine Rolle zu, da Spanien von den in Südamerika in letzter Zeit verbesserten Fundamentaldaten profitiert.

Mit Blick auf die Zukunft könnte es im Fahrwasser des Referendums durch die unterschiedlichen Einschätzungen des italienischen Referendums im Dezember zu einer gewissen kurzfristigen Volatilität kommen. Sollte sich Italien für die Verfassungsreform aussprechen, sind die möglichen Folgen zu vielschichtig, um zu wissen, wie eine solche Entscheidung die Fundamentaldaten beeinflussen würde. Sollte es allerdings ein Nein-Ergebnis geben und das Referendum durch die Brille des Brexit interpretiert werden, so könnte die folgende Volatilität einige gute Investmentgelegenheiten an die Oberfläche spülen.

Wir sind insgesamt nicht überzeugt, dass die langfristigen Auswirkungen einer solchen Entscheidung so extrem sein werden, wie es die derzeitigen Kommentare zu porträtieren versuchen. Aus Investmentperspektive stellt sich die Lage so dar, dass das wirtschaftliche Umfeld trotz der schwierigen Banksituation erste Anzeichen einer Verbesserung zeigt und die Bewertungen attraktiv sind.

Unser Standpunkt ist wie immer, dass wir eine Vorhersage der Ereignisse vermeiden und stattdessen weiterhin die Markteinschätzungen gegenüber einem der immer noch günstigsten Aktienmärkte weltweit analysieren. Wurzelt ein Teil dieser „Billigkeit“ in der inkorrekten Interpretation der Folgen des Referendums und sollte sich dies noch bis zum Stichtag intensivieren, so könnten sich für die Investoren eine Gelegenheit öffnen.

 

Bitte beachten Sie, dass es sich hierbei um Archivinformationen handelt. Sie sind nicht als aktuelle Ansichten oder Einschätzungen, sondern nur als historische Angaben zu verstehen.

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