M&G: Seltsame Stimmungen – Warum sind die Aktienkurse auf Höchstständen und die Stimmung ist gleichzeitig so schlecht?

Der S&P 500 Index ist bis nahe an sein Rekordhoch gestiegen, doch scheint dies geschehen zu sein, ohne dass sich ein offensichtlicher Optimismus über die Unternehmensaussichten breitgemacht hätte.

06.10.2016 | 09:41 Uhr

Wenn überhaupt, dann sagt mir der Zustand meiner Mailbox, dass die Schar der Defätisten immer mehr Zulauf erhält. Der parallele Anstieg des S&P 500 und der Untergangsstimmung scheint paradox zu sein.



Ein genauer Blick auf die Marktstimmung kann jedoch unserem Verständnis der gegenwärtigen Risikobewertungen helfen. Marktstimmung kann man sich als die Gesamtmenge der Anlegeremotionen zu einem bestimmten Zeitpunkt vorstellen. Sie manifestiert sich in dem Ton am Markt und unterscheidet sich von reinen technischen Analysen, die sich mit dem Studium vergangener Kursmuster beschäftigen.

In früheren Zeiten bestand die Einschätzung der Marktstimmung zum größten Teil darin zu sehen, in welche Richtung die Wetterfahne der Presse weht und ein Auge auf Momentum, Handelsvolumina, Optionspreise und unter Umständen die eine oder andere Umfrage unter Investoren zu werfen. Heutzutage ist die Analyse der Marktstimmung ungefähr so kompliziert wie Raketenwissenschaft.

Im letzten Jahrzehnt hat die Anwendung von Technologie für die Stimmungsanalyse atemberaubende Fortschritte gemacht. Viele Systeme verwenden modernste Analysesoftware mit sprachverarbeitenden Elementen für Nachrichten und Social-Media-Plattformen. Sicherlich nicht unfehlbar, so kann die zunehmende Verwendung von Algorithmen und Vorhersageanalysen doch dazu führen, dass die Anlagemärkte deutlich schneller auf kurzfristige Nachrichten reagieren. Dies heißt jedoch nicht, dass wir für längere Zeiträume – wie historisch oft geschehen – in bestimmten Stimmungslagen verbleiben. Diese Stimmungslagen sind für die Investoren wichtig, da sie unsere kollektiven Entscheidungsprozesse beeinflussen und die Marktreaktionen auf Nachrichten beeinflussen.

Die Art und Weise wie die Preise für Vermögenswerte auf neue Informationen reagieren, hängt von der Frage ab, wie ein Vermögenswert bewertet ist und welche Stimmung dominiert. Die Bewertung gibt uns Auskunft darüber, wie das Investmentrisiko gepreist ist, während die Marktstimmung beschreibt, wie die Investoren in ihrer Gesamtheit auf neue Informationen reagieren. Die Einschätzungen des Verlustpotenzials sind deutlich höher, wenn die Stimmung – wie im Augenblick – pessimistisch ist und niedriger, wenn die Stimmung optimistisch ist.

Die Auswirkung auf den Aktienmarkt in seiner Gesamtheit ist es angesichts der heute vorherrschenden negativen Stimmungslage, dass die Investoren positive Nachrichten wahrscheinlich nur widerwillig unmittelbar einpreisen. Positive Nachrichten stehen in einem unangenehmen Widerspruch zu ihren Überzeugungen. Die ausbleibende Reaktionen auf neue Informationen helfen bei der Erklärung, warum Märkte so lange einem bestimmten Trend folgen können. Ähnlich verhält es sich zu Zeiten mit einer positiven Marktstimmung, wenn die Investoren schlechte Nachrichten ebenfalls nur widerwillig in ihre Kalkulationen miteinbeziehen.

Was ist es also, das unsere kollektive Stimmungslage beeinflusst und unseren kollektiven Optimismus dämpft? Eine definitive Antwort ist unmöglich. Es kann allerdings durchaus der Fall sein, dass eine negative Akzentuierung in den Medien in Kombination mit erschütternden Bildern aus regionalen Konflikten wenig hilfreich für unsere eh schon anfällige Gefühlslage ist, die das Trauma der in den letzten Jahren immer wederkehrenden Volatilität noch nicht überwunden hat. Behalten wir dies im Hinterkopf und kehren wir nun zu den US-Aktienkursen – nahe Rekordniveau trotz weitverbreitetem Pessimismus – zurück.

Anstatt, wie viele glauben, durch schnelles Geld aufgeblasen zu sein, reflektiert die Wertentwicklung des S&P 500 zu einem gewissen Teil die zeitlich verzögerte Antwort auf einen deutlichen Anstieg der aggregierten Unternehmensgewinne seit der Finanzkrise.

Ist es genau dieser Anstieg der Gewinne, der dem mittelfristigen Pessimismus vieler Investoren widerspricht, so sind die Gewinne in diesem negativen Stimmungsumfeld nicht nüchtern interpretiert worden. Sie werden wahrscheinlich nur langsam eingepreist werden, da die Investoren ihre Negativsicht trotz positiver Überraschungen beibehalten haben.

Die Zeit, die eine Stimmungsumkehr trotz Beweisen benötigt, ist denn auch der Grund für Preistrends. Die von uns gefühlte innere Anspannung, wenn gehätschelte Überzeugungen hinterfragt werden, hat in der Verhaltenspsychologie den originellen Namen der kognitiven Dissonanz. Sie kann viel zu der Erklärung beitragen, warum wir solch hohe Kurse am S&P 500 sehen, obwohl die negative Stimmung unter den Investoren dominiert.

Es wäre ungewöhnlich, wenn eine Hausse bei so viel offensichtlichem Pessimismus endet. Vielleicht sind wir trotz der steigenden Preise ja auch gar nicht in einer Hausse. Vielleicht verlangt eine wirkliche Hausse nicht nur steigende Preise, sondern zusätzlich einen Stimmungswandel von Pessimismus zu Optimismus. Was könnte dies aber verursachen? Angesichts der potenziellen Effekte von Preis-Feedback auf unsere Stimmung könnte ein plötzlicher Aufwärtstrend bei den Aktienkursen die Risikoeinstellung der Investoren erheblich ändern. Dies würde uns näher an die Bedingungen führen, welche die Bullenmärkte der Vergangenheit charakterisiert haben.  Die Stimmung könnte sich auch einfach deshalb ändern, weil die Investoren zu der Einsicht kommen, dass die niedrigen Zinsen tatsächlich mit  angemessenen Gewinnen konsistent sind.

Ich gebe zu, dass dies im Moment sehr unwahrscheinlich ist. Ich teile viele der Sorgen um die Aussichten für die globale Wirtschaft. Hier zeigt sich wahrscheinlich, wie stur wir in einer pessimistischen Stimmung verankert sind, doch sollte man deshalb nicht annehmen, dass dies für eine unbegrenzte Zeit auch so bleibt.

 

Bitte beachten Sie, dass es sich hierbei um Archivinformationen handelt. Sie sind nicht als aktuelle Ansichten oder Einschätzungen, sondern nur als historische Angaben zu verstehen.

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