M&G: Stagnation und die „animalischen Instinkte“

Grafiken können für allzu vereinfachende Erklärungen benutzt werden. Es scheint so, als gäbe es in der Welt der Finanzen im Augenblick einige gute Beispiele für dieses Phänomen.

14.10.2016 | 10:29 Uhr

In meinem letzten Blog habe ich kurz das Thema angesprochen, wie Grafiken für allzu vereinfachende Erklärungen benutzt werden können und wir sie entweder bereitwillig für bare Münze nehmen, wenn wir ihrer Aussage zustimmen, oder aber weiter ins Detail gehen, wenn wir sie nicht anstandslos akzeptieren wollen. Es scheint so, als gäbe es in der Welt der Finanzen im Augenblick einige gute Beispiele für dieses Phänomen.

Am Mittwoch veröffentlichte die New York Federal Reserve Bank einen Artikel zu dem umstrittenen Thema der stagnierenden Lohnentwicklung in den USA (ein Problem für viele Industriestaaten). Die meisten von uns sind an Grafiken wie die folgende gewöhnt. Sie zeigt eine Verlagerung der Lohnwachstumsdynamik, die scheinbar mit dem Ölpreisschock von 1973 eingesetzt hat.

Wie bei so vielen langfristigen Trends scheint die Demographie auch hier eine Rolle gespielt zu haben. Die New York Federal Reserve Bank bemerkt, dass die jüngere Generation mit zunehmendem Alter einen schnelleren Lohnzuwachs erlebt, wobei der Höhepunkt zwischen 35 und 55 Jahren erreicht wird.

In der Folge ist die Erwartung angemessen, dass sich der durchschnittliche Lohnzuwachs angesichts einer alternden US-Bevölkerung verlangsamt. Eine wissenschaftliche Arbeit vom Mai dieses Jahres stellte zudem fest, dass Lohnwachstum in einem früheren Lebensalter in den Industrienationen ausgeprägter ist. Infolge dessen wird in einer Gesellschaft mit einer alternden Bevölkerung der verlangsamte Lohnwachstum stärker wahrgenommen.

Für Investoren hat dies eine erhebliche Tragweite. Sollten wir gedämpften Lohndruck seit der Krise als eine Funktion der zyklischen Wirtschaftsflaute sehen oder handelt es sich um einen mehr permanenten Trend?

Erstere Sichtweise könnte andeuten, dass sich der Lohndruck letztendlich intensivieren sollte. In anderen Worten wäre eine Normalisierung der Zinsen notwendig. Letztere Sichtweise könnte andeuten, dass die Geldpolitik, ohne einen erheblichen Druck auf die Inflation auszuüben, für erheblich länger locker bleiben kann.

Investoren sollten sich um eine objektive Betrachtungsweise dieser Thematik bemühen und nicht verleiten lassen, sich aufgrund ihrer politischen oder ideologischen Überzeugung auf eine Seite zu schlagen.

Mangelt es an „animalischen Instinkten“? Die grafische Darstellung von Gesinnungen oder Haltungen ist schwierig. Ähnliche Schwierigkeiten präsentiert das verwandte Konzept der animalischen Instinkte. Viele Menschen haben eine unbewusst lockere Vorstellung davon, wie die Welt funktioniert: Die Löhne und Gehälter in den entwickelten Volkswirtschaften stagnieren, Unternehmen scheuen sich vor Investitionen und der globale Handel bricht zusammen. Oftmals ist dies, angetrieben durch ein mangelndes Vertrauen in die Zukunft, mit einem Rückgang der Gesamtnachfrage verknüpft.

Das Thema Lohn ist allerdings ebenso wenig auf einfache Weise zu erklären, wie der globale Handel und Unternehmensinvestitionen. Auf Basis des US-Dollars ist der weltweite Handel rückläufig, doch sind die Handelsvolumina deutlich widerstandsfähiger.

Preisänderungen spiegeln nicht immer eine Änderung der Stimmungslage wider. Obige Überlegungen sind denn auch nur bedingt als Beweis für schwach ausgeprägte ‚animalische Instinkte‘ anzusehen. Gleichermaßen existieren zwar erhebliche Sorgen um die Investitionsausgaben in den entwickelten Märkten, die Top-down-Analysen privater Investitionen scheinen jedoch in guter Verfassung zu sein. Es gibt überzeugende Argumente, warum sich die zunehmende Aktivität unter Umständen nicht in den aggregierten Zahlen finden.

Diese Beispiele zeigen, dass die Situation immer komplexer ist, als es unser unterbewussten Erklärungen anzudeuten scheinen. Und auch wenn es verführend ist, sich vorschnell auf eine Seite des Arguments festzulegen, es gilt sich daran zu erinnern, dass „wenn [Experten] nicht übereinstimmen, von Laien keine Meinung als sicher angesehen werden sollte.“ -Bertrand Russell, Let the People Think 1941.

Dies heißt nicht, dass Analysen überflüssig sind. Es bedeutet lediglich, dass wir wesentlich agnostischer sein sollten, als es unsere natürliche Neigung ist. Unser Wunsch nach Sicherheit führt oftmals zu einem unbehaglichen Gefühl, wenn wir auf eine Frage mit „Ich weiß nicht“ antworten.

Das Episoden-Team ist der Ansicht, dass es für Investoren überaus nützlich sein kann, wenn sie eine Wissenslücke zugeben, ihre Objektivität bewahren und sich stets darüber im Klaren sind, wie andere ihre Meinung formen. Das Ausschauhalten nach Perioden, wenn die Marktbewertungen das übermässige Selbstvertrauen anderer Marktteilnehmer widerspiegeln, kommt bei der Identifizierung von Investmentgelegenheiten eine Schlüsselfunktion zu.

Autor: Stuart Canning

 

Bitte beachten Sie, dass es sich hierbei um Archivinformationen handelt. Sie sind nicht als aktuelle Ansichten oder Einschätzungen, sondern nur als historische Angaben zu verstehen.

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