Metzler AM: Economic Research - Wochenausblick KW 36
Hohe politische Unsicherheiten, Rezessionsängste, eine niedrige Inflation und Zentralbanken im Risikomanagementmodus – all das hat im Zusammenspiel zu einer Rally am Anleihemarkt geführt, die für den gesunden Menschenverstand nicht mehr nachvollziehbar ist.30.08.2019 | 15:17 Uhr
Ein
Symptom dafür ist die Kursentwicklung der 100-jährigen österreichischen
Staatsanleihe, die seit Auflegung im September 2017 einen Kursgewinn
von mehr als 100 % erzielt hat.
Kursübertreibung am Anleihemarkt?
Kursentwicklung der österreichischen 100-jährigen Anleihe
Getrieben
wurde die Kursentwicklung in diesem Jahr von erheblichen Kapitalflüssen
weltweit aus Aktien (-197 Mrd. USD) in Anleihen (+313 Mrd. USD) – so
die Berechnungen von BofA Merrill Lynch. Interessanterweise ging mit dem
Rückgang der Renditen die Erwartung der Finanzmarktakteure einher, dass
sich die Kursrally am Anleihemarkt fortsetzen wird.
So rechnet laut
einer Umfrage von BofA Merrill Lynch die Mehrheit der Finanzmarktakteure
weltweit mit immer noch weiter fallenden Leitzinsen und Renditen –
trotz schon erreichter historischer Tiefstände. Der Optimismus für die
Kursentwicklung im Anleihemarkt ist so groß wie zuletzt 2008. Diese
Positionierung und Erwartungshaltung ist typisch, wenn mit einer schon
bald bevorstehenden schweren Rezession gerechnet wird.
Umfrage unter Portfoliomanagern weltweit – so euphorisch für Anleihen wie zuletzt im November 2008
Kam
es jedoch schon zu einer Kursrally und sind die Kursphantasien immer
noch groß, ist das oft auch ein Warnsignal für eine Übertreibung. Die
Einkaufsmanagerindizes in der kommenden Woche aus den USA, Europa und
Asien dürften zwar zeigen, dass sich das globale Wirtschaftswachstum
merklich verlangsamt hat, die Weltwirtschaft jedoch nicht in den
kommenden sechs Monaten in eine Rezession abgleiten dürfte. Dazu sind
die Arbeitsmarktdaten weltweit einfach viel zu gut – insbesondere am
US-Arbeitsmarkt (Freitag).
Politische Risiken in Italien und den USA werden geringer
Die
Regierungsbildung zwischen den lange Zeit verfeindeten Sozialdemokraten
und der 5-Sterne-Bewegung in Italien ist eine positive Überraschung, da
die neue Regierung deutlich kooperativer mit der EU zusammenarbeiten
dürfte als die vorherige. Die Belohnung dafür ist ein Rückgang der
Rendite zehnjähriger italienischer Staatsanleihen von über 2,5 % im Juni
auf etwa 1,0 % zuletzt. Ein Blick in die jüngere Vergangenheit zeigt,
dass ein Renditerückgang oft mit einer merklichen Beschleunigung des
italienischen Wirtschaftswachstums einherging. Die Vermutung liegt nahe,
dass die Banken damals aufgrund der Kursgewinne in ihren
Anleihebeständen ihr Kreditangebot erhöht hatten, und dass sich aufgrund
des gesunkenen Zinsniveaus die Kreditnachfrage belebt hat. Wie stabil
die neue Regierung ist und ob sie tatsächlich die dringend notwendigen
Reformen angehen kann, wird sich jedoch erst noch zeigen müssen.
US-Präsident
Donald Trump möchte nächstes Jahr wiedergewählt werden, was nur
gelingen dürfte, wenn die US-Wirtschaft nicht in eine Rezession rutscht.
Dafür sollte er tunlichst jedwede Eskalation vermeiden. Seine Chancen
auf eine Wiederwahl würde er darüber hinaus verbessern, wenn er ein
Handelsabkommen mit China erzielen könnte.
Brexit: Wird der Plan von Boris Johnson aufgehen?
Boris
Johnson und sein Team schätzen offenbar ein, dass Großbritannien bisher
in der schwächeren Verhandlungsposition gegenüber der EU war, da ihr
Land nicht glaubwürdig mit dem harten Brexit drohen konnte. Im Parlament
bestand nämlich eine große Einigkeit über alle Parteigrenzen hinweg,
dass ein harter Brexit unter allen Umständen vermieden werden sollte.
Mit der überraschenden Beurlaubung (prorogation) des Parlaments hat
Boris Johnson nun Fakten geschaffen: Die verbleibende Zeit wird
voraussichtlich nicht mehr reichen, ein Gesetz zu verabschieden, das
Großbritannien nochmals eine Verlängerung bei der EU zu beantragen
erlaubt (wobei es durchaus auch die Meinung gibt, dass das doch noch
möglich sei). Dann nämlich könnten auch Neuwahlen stattfinden.
Dem
Parlament könnte daher nur noch die Option bleiben, die Regierung
Johnson in einem Misstrauensvotum abzuwählen und gleichzeitig eine neue
Übergangsregierung zu bilden. Bisher konnten sich die Parlamentarier
jedoch nicht auf einen neuen Übergangspremierminister einigen. Boris
Johnson kann nun glaubhaft mit einem harten Brexit drohen, der die stark
geschwächte europäische Wirtschaft hart treffen würde. Er hat damit
zweifellos seine Verhandlungsposition verbessert. Boris Johnson und sein
Team scheinen dabei vor allem auf die deutsche Exportwirtschaft zu
setzen: Sie könnte Druck auf die deutsche Regierung ausüben, damit
Deutschland den wichtigen Exportmarkt Großbritannien nicht verliert.
Für
die EU geht es jedoch um ihre Glaubwürdigkeit und um den langfristigen
Zusammenhalt. Das wurde bisher auch immer von der deutschen
Exportwirtschaft unterstützt. Die Kompromissbereitschaft dürfte daher
begrenzt sein – zumal ein Einknicken gegenüber dem offensichtlichen
Erpressungsversuch von Boris Johnson ein Zeichen großer Schwäche wäre.
Idealerweise finden Großbritannien und die EU in den kommenden
Verhandlungen einen Kompromiss, mit dem beide Seiten leben können, ohne
ihr Gesicht zu verlieren. Der Brexit könnte dann am 31. Oktober
vollzogen werden. Es dürfte so lange wie möglich verhandelt werden. Ob
es zu einem harten Brexit kommt oder zu einer Einigung, dürfte sich
daher erst Ende Oktober entscheiden.
Eine gute und erfolgreiche Woche wünscht
Edgar Walk
Chefvolkswirt Metzler Asset Management