Metzler: Drohen bei einem Brexit Ansteckungseffekte?

Welche wirtschaftlichen Konsequenzen könnte ein Brexit für Kontinentaleuropa haben? Es ist im Vorfeld nicht eindeutig bestimmbar, aber die Entwicklung des britischen Pfunds wird den Weg weisen, meint Edgar Walk, Chefvolkswirt Metzler Asset Management.

17.06.2016 | 16:40 Uhr

Das Lager der Brexit-Befürworter scheint derzeit zunehmend Stimmen bei den bisher Unentschiedenen zu gewinnen, sodass die Wahrscheinlichkeit eines Brexits gestiegen ist. Nahezu alle volkswirtschaftlichen Analysen zeigen, dass Großbritannien mittelfristig dadurch an Wohlstand verlieren würde. Dagegen besteht jedoch noch eine große Unsicherheit über die kurzfristigen Folgen eines Brexits. So ist Großbritannien aufgrund des hohen Leistungsbilanzdefizits von mehr als 5 % des BIP abhängig von ausländischen Kapitalzuflüssen, um den Importüberschuss zu finanzieren. Sollten die ausländischen Kapitalgeber trotz eines Brexits ein unverändert hohes Vertrauen in die wirtschaftlichen Perspektiven Großbritanniens haben und das Leistungsbilanzdefizit weiterhin im vollen Umfang finanzieren, würde das britische Pfund stabil bleiben und der direkte wirtschaftliche Schaden für Großbritannien und Kontinentaleuropa wäre gering.

Sollten die ausländischen Kreditgeber jedoch jegliches Vertrauen in ein Post-Brexit-Großbritannien verlieren und keine Kredite an Großbritannien mehr vergeben, müsste sich das Leistungsbilanzdefizit in kurzer Zeit merklich verringern und eine Abwertung des britischen Pfunds von mehr als 30 % wäre durchaus vorstellbar. In diesem Fall würden die Importpreise in Großbritannien stark steigen und es zu einem erheblichen realen Kaufkraftverlust der Konsumenten kommen. Ein schwere Rezession in Großbritannien und ein deutlicher Rückgang der kontinentaleuropäischen Exporte nach Großbritannien wären die Folgen. Die Entwicklung des handelsgewichteten Wechselkurses des britischen Pfunds ist demnach ein guter Indikator, um im Falle eines Brexits den wirtschaftlichen Schaden für Kontinentaleuropa abzuschätzen. 

Schwache Geschäftsklimaindizes in Europa im Vorfeld des Brexit-Referendums 

Die Unsicherheit und großen Turbulenzen an den Finanzmärkten im Vorfeld des Brexit-Referendums dürften zu einer deutlichen Eintrübung der Stimmung im Unternehmenssektor geführt haben, sodass mit einem deutlichen Rückgang der ersten Schätzung der Einkaufsmanagerindizes (Donnerstag) sowie des ifo-Index (Freitag) gerechnet werden kann. Auch der ZEW-Index (Dienstag) dürfte davon betroffen sein. Sollte sich die britische Bevölkerung jedoch für einen Verbleib in der Europäischen Union entscheiden, dürfte es im kommenden Monat zu einem kräftigen Anstieg der Geschäftsklimaindizes kommen, da viele Unternehmen die auf die Zeit nach dem Referendum verschobenen Ausgaben vollumfänglich tätigen werden, was eine merkliche Wachstumsbeschleunigung der europäischen Wirtschaft zur Folge haben dürfte. Interessant wird auch, wie die europäischen Banken den neuen Langzeittender TLTRO 2 aufnehmen werden, der am Freitag durchgeführt wird.   

Inflationsausblick für die Eurozone

 Im Mai verharrte die Inflation in der Eurozone im vierten Monat in Folge im negativen Bereich. Deflationssorgen und ein Gefühl der Wirkungslosigkeit der Geldpolitik (Neudeutsch: QF – Quantitative Failure) bestimmen nach wie vor die öffentliche Diskussion. Dabei wird jedoch oft der dominierende Einfluss des Ölpreises auf die Inflationsentwicklung unterschätzt. Schon im vergangenen November und Dezember wäre es bei stabilen Ölpreisen zu einem merklichen Inflationsanstieg in der Eurozone gekommen, wenn der Ölpreis nicht von etwa 50 USD pro Barrel im Herbst 2015 bis auf etwa 25 USD pro Barrel im Januar 2016 gefallen wäre. Der Ölpreis befindet sich jedoch seit Januar 2016 wieder auf einem Aufwärtstrend, der sich noch bis etwa 60 USD pro Barrel in den kommenden zwölf Monaten fortsetzen könnte. Bei einem stabilen Wechselkurs des USD gegenüber dem EUR wird der Ölpreiseffekt auf die Inflation in den kommenden Monaten stetig zunehmen – in der Spitze kann der Ölpreis in Euro um mehr als 70 % steigen. 

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