Metzler: Erste Stabilisierungstendenzen erkennbar

Die vielen Warnungen vor den Folgen eines Brexit haben zumindest eines bewirkt: Notenbanken und Regierungen haben Notfallpläne entwickelt, und die großen Notenbanken haben bei Bedarf geldpolitische Schritte avisiert - das hat die Marktteilnehmer beruhigt.

01.07.2016 | 15:26 Uhr

Im Vorfeld des britischen Brexit-Referendums gab es zahlreiche Stimmen, die im Falle eines Votums für den Brexit vor sehr negativen Folgen für die Finanzmärkte und den Aufschwung in Europa warnten. Als eine Reaktion auf die Warnungen entwickelten die Notenbanken und Regierungen Notfallpläne, die am 24. Juni teilweise umgesetzt wurden. Auch trugen die Erwartungen an neue geldpolitische Maßnahmen der Europäischen Zentralbank, der Bank von England, der Bank von Japan und an eine weniger restriktive US-Notenbank dazu bei, die Marktteilnehmer im Verlauf dieser Woche zu beruhigen. Darüber hinaus stellten Japan und Südkorea größere staatliche Konjunkturpakete in Aussicht. Zur Beruhigung dürfte sicherlich auch beigetragen haben, dass das "Brexit-Camp" offensichtlich keinen Fahrplan für ein Großbritannien außerhalb der Europäischen Union (EU) hat. So konnten im Wochenverlauf die politischen Kräfte in Großbritannien an Gewicht gewinnen, die für einen Verbleib in der EU oder für eine enge Anbindung an die EU eintreten. Die Wahrscheinlichkeit für einen Verbleib Großbritanniens in der EU muss trotz des Referendums jetzt deutlich höher eingeschätzt werden als noch vor einer Woche.

Es ist eine Überraschung, dass sich das britische Pfund nach den starken Kursverlusten am 24. Juni im Lauf der Woche stabilisieren konnte, da Großbritannien sehr stark auf ausländische Kapitalzuflüsse angewiesen ist, wie die am Donnerstag veröffentlichten Leistungsbilanzdaten zeigten. So fiel das Leistungsbilanzdefizit im ersten Quartal auf knapp 6 % des BIP. 

Das britische Pfund dürfte daher in den kommenden Wochen unter anhaltenden Abwertungsdruck kommen. Die Beruhigung an den Finanzmärkten kann bedeuten, dass die negativen Folgen des Brexit-Referendums für die Realwirtschaft geringer sein könnten als zunächst befürchtet, da die Unternehmen und Banken aufgrund einer nachlassenden Unsicherheit schneller zum Tagesgeschäft zurückkehren könnten. Das Ausmaß des wirtschaftlichen Schadens werden jedoch erst die Konjunkturdaten in den kommenden Monaten zeigen. 

Natürlich muss sich die EU fragen, wo Reformbedarf besteht. Bei allen Analysen des Wahlverhaltens der Briten stach folgender Zusammenhang ins Auge: Der Anteil der Pro-Brexit-Wähler war in Regionen mit einem hohen Exportanteil in die EU höher als in Regionen mit einem geringeren Exportanteil. 

Ein Grund für das überraschende Ergebnis könnte sein, dass die britischen Unternehmen und Arbeitnehmer mit ihrer Wahl Widerstand gegen die Brüsseler Bürokratie- und Regulierungswut ausdrücken wollten. 

US-Arbeitsmarkt sagt Abschwung ab

Das US-Beschäftigungswachstum verlangsamte sich in den vergangenen Monaten merklich, was laut der US-Notenbank als ein erstes Anzeichen für eine Konjunkturabkühlung interpretiert werden kann - falls sich dieser Trend fortsetzen sollte. Ein Frühindikator für das Beschäftigungswachstum sind die Gewinne der Unternehmen, die im vierten Quartal 2015 um 11,5 % gegenüber dem Vorjahr zurückgingen. Insbesondere Rohstoffunternehmen mussten herbe Gewinneinbußen hinnehmen. Im ersten Quartal stiegen die Unternehmensgewinne wieder um 1,8 % gegenüber dem Vorquartal, was einen Rückgang der Unternehmensgewinne von nur noch 4,3 % gegenüber dem Vorjahr bedeutete.

Die voraussichtliche Beschleunigung des Wirtschaftswachstums auf etwa 2,5 % im zweiten Quartal spricht dafür, dass die Jahreswachstumsrate der Unternehmensgewinne schon bald wieder positiv sein wird. Im Zuge dessen dürfte sich die Schwäche am Arbeitsmarkt als nur vorübergehend erweisen. Demgemäß spricht vieles dafür, dass im Juni wieder über 100.000 neue Stellen (Freitag) geschaffen wurden und dass sich die Arbeitslosenquote (Freitag) mit 4,8 % auf einem Niveau von unter 5 % etabliert haben dürfte. Ansonsten wird noch der ISM-Index für den Dienstleistungssektor (Mittwoch) veröffentlicht, der noch vom Brexit-Referendum unbeeinflusst ist. Interessant könnte auch das Protokoll der US-Notenbank-Sitzung vom 15. Juni sein (Mittwoch), bei der auch das Brexit-Referendum besprochen wurde.

Noch vor dem Brexit-Referendum: Gute Konjunkturdaten aus Europa

Die in der kommenden Woche veröffentlichten Konjunkturdaten wurden vor dem Brexit-Referendum erhoben und dürften widerspiegeln, dass die europäische Volkswirtschaft bis dahin ordentlich gewachsen ist. So dürfte sich der Einkaufsmanagerindex für den Dienstleistungssektor (Dienstag) leicht gegenüber der ersten Schätzung verbessert haben. Darüber hinaus werden die deutschen Auftragseingänge (Mittwoch) die Erwartungen vermutlich übertreffen, ebenso die deutsche und britische Industrieproduktion (Donnerstag), die deutschen Exporte (Freitag) sowie die französische Industrieproduktion (Freitag). Die Bank von England veröffentlicht den Finanzstabilitätsreport (Dienstag), der sich auf systemische Risiken im Zuge des Brexits fokussiert haben dürfte. 

Autor: Edgar Walk, Chefvolkswirt Metzler Asset Management

Der komplette Marktkommentar als PDF-Dokument.

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