Metzler: Eurozone - Wachstumsdynamik gewinnt an Fahrt

Der aktuelle Marktausblick von Edgar Walk, Chefvolkswirt bei Metzler Asset Management.

24.06.2024 | 09:45 Uhr

Eurozone: Verbesserte Wachstumsperspektiven

Seit Jahresanfang ist eine stetige Verbesserung der Konjunkturdaten in der Eurozone zu beobachten. In dieser Woche verbesserte sich der ZEW-Erwartungsindex für die Eurozone im fünften Monat in Folge. Der ZEW-Index hat in den vergangenen Jahren gezeigt, dass er oft ein guter Frühindikator für die Geschäftsklimaindizes in der Eurozone ist. Das hängt damit zusammen, dass Volkswirte aufgrund ihrer Analyse der monetären, finanziellen und politischen Bedingungen einer Volkswirtschaft etwas weiter in die Zukunft schauen können als Unternehmen, die eher einen Blick auf die kurzfristige Konjunkturdynamik haben.

So signalisiert die Verbesserung des ZEW-Erwartungsindex für die Eurozone im Juni eine Wachstumsbeschleunigung der Wirtschaft in den kommenden Monaten. Vor diesem Hintergrund dürften der Europäische Geschäftsklimaindex (Donnerstag) und der ifo-Index (Montag) jeweils einen Anstieg verzeichnen.

Die Wachstumsbeschleunigung ist insofern überraschend, da die Geldpolitik in der Eurozone eigentlich außerordentlich restriktiv sein sollte. So wurde der reale Gleichgewichtsleitzins vor der Pandemie zwischen -0,5 und 0,0 Prozent geschätzt. Bei einem Leitzins von 4,0 Prozent und einer Inflationsrate von 2,6 Prozent beträgt der reale Leitzins in der Eurozone derzeit etwa 1,4 Prozent und bewegt sich damit auf dem höchsten Niveau seit dem Jahr 2000.

Nach unseren Schätzungen dürfte der reale Gleichgewichtsleitzins in der Eurozone seit der Pandemie auf etwa 1,0 Prozent gestiegen sein, sodass die Geldpolitik weniger restriktiv ist als gedacht. Darüber hinaus haben die Konsumenten und Unternehmen exzellente Bilanzen. Das Ausbleiben neuer Krisen, ein anhaltend starker Arbeitsmarkt sowie Reallohnsteigerungen scheinen derzeit die Stimmung der Konsumenten jeden Monat langsam aber sicher zu verbessern – unter anderem sichtbar am Anstieg des Konsumentenvertrauens in dieser Woche, den fünften Monat in Folge. Daher besteht durchaus Potenzial für einen Aufschwung, der vom Konsum angeführt wird.

Dementsprechend zeichnet sich derzeit auch ab, dass der Kreditzyklus eine Trendwende zu vollziehen scheint. So könnten die Kreditvergaben (Donnerstag) an den privaten Sektor gestiegen sein und sich das Geldmengenwachstum beschleunigt haben. Vielleicht hat sich auch ein Gewöhnungseffekt an das höhere Zinsniveau eingestellt und die privaten Haushalte und Unternehmen sind wieder bereit, Kredite aufzunehmen – nach einer Schockstarre während der Leitzinserhöhungen.

Die Resilienz der europäischen Wirtschaft plus die Trendwende des Kreditzyklus bedeuten, dass weniger Spielraum für Leitzinssenkungen der EZB besteht. Wir erwarten daher, dass die EZB den Leitzins bis Mitte nächsten Jahres nur noch bis auf 3,0 Prozent senken wird. Zu Jahresanfang hatten wir noch mit 2,0 Prozent gerechnet.

Es wird von den Inflationsdaten in den kommenden Monaten abhängen, ob die EZB überhaupt noch den Leitzins senken kann. Dazu müsste sich die Preisdynamik im Dienstleistungssektor abschwächen, was geringere Lohnsteigerungsraten voraussetzt. Derzeit rechnen wir immer noch mit einer merklichen Abkühlung der Inflationsdynamik und mit einer Leitzinssenkung im September.

USA: Licht und Schatten

In den USA zeigt sich zunehmend ein heterogenes Bild: einige Branchen boomen, während andere in der Rezession stecken. Insgesamt scheinen aber zunehmend die Abschwungskräfte zu dominieren.

So zeigten die Daten zum Wohnimmobilienmarkt in dieser Woche starke Rezessionstendenzen. Die Immobilienpreise (Dienstag) und die Neubauverkäufe (Mittwoch) dürften diese mit schwachen Werten untermauern. Darüber hinaus zeigten auch die Erstanträge zur Arbeitslosenhilfe in den vergangenen zwei Wochen erkennbare Schwächen. Der bisher so starke Arbeitsmarkt scheint an Stärke zu verlieren.

Zumal auch der Konsum enttäuschte. Die Einzelhandelsumsätze im Mai waren deutlich niedriger als erwartet und die Vormonate wurden nach unten revidiert. Der Konsum von Gütern entwickelte sich seit Jahresanfang somit äußerst schwach. Ein positives Gegengewicht bildete bisher der Konsum von Dienstleistungen (Freitag). Das Konsumentenvertrauen (Dienstag) wird zeigen, ob der Konsum von Dienstleistungen weiterhin ein ausreichend großes Gegengewicht bilden kann, um einen stärkeren Abschwung der US-Wirtschaft zu verhindern.

Die Kombination aus Abschwungstendenzen am Wohnimmobilienmarkt, am Arbeitsmarkt und beim Konsum haben dazu beigetragen, dass wir in den USA nur noch ein Wirtschaftswachstum von 2,0 Prozent in diesem Jahr und von 1,4 Prozent im nächsten Jahr erwarten. Vor diesem Hintergrund können wir uns schon eine Leitzinssenkung der US-Notenbank im September vorstellen.

Japan: Psychologie des schwachen Yen-Wechselkurses

Wirtschaftliche Entscheidungen basieren immer auf Erwartungen. Meistens verändern sich die Erwartungen nur sehr langsam, sodass ein stabiles wirtschaftliches Umfeld mit moderaten Konjunkturzyklen beobachtet werden kann. Wenn aber extreme Entwicklungen passieren – wie die ausgeprägte Schwäche des japanischen Wechselkurses, der auf Basis des realen handelsgewichteten Wechselkurses ein Rekordtief erreicht hat – dann sind auch schnelle und starke Veränderungen der Erwartungen möglich. Das Vertrauen in die Geldwertstabilität geht verloren und es kommt zur Kapitalflucht in Sachwerte und in ausländische Währungen.

Daher ist es wichtig, die Wirtschaftsdaten auf mögliche Anzeichen einer veränderten Erwartungshaltung zu analysieren: Arbeitslosenquote, Inflation im Großraum Tokyo, Einzelhandelsumsätze und Industrieproduktion (alle am Freitag).

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