Metzler: Rätselhafte US-Wirtschaft

Droht in den USA eine Rezession? Tatsächlich sind die Investitionen gesunken - was üblicherweise eine steigende Arbeitslosigkeit zur Folge hat. Edgar Walk, Chefvolkswirt des Metzler Asset Management, erklärt, warum das dieses Mal nicht der Fall ist.

05.08.2016 | 15:20 Uhr

Die US-Wirtschaft verzeichnete im zweiten Quartal 2016 nur ein nominales Wirtschaftswachstum von 2,4 %, was in der Vergangenheit normalerweise eine Rezession bedeutete - so in den Jahren 1991 und 2001. Die typischen Begleiterscheinungen einer Rezession fehlten jedoch im zweiten Quartal - vor allem ein deutlicher Anstieg der Arbeitslosigkeit. 

USA: Schwaches nominales Wachstum – vergleichbar mit vergangenen Rezessionen 

Nominales BIP in % ggü. Vj.

Quellen: Thomson Reuters Datastream, Berechnungen Metzler; Stand: 30.6.2016 

So wie in vergangenen Rezession haben sich auch nun die Investitionen der Unternehmen merklich abgeschwächt. Im vierten Quartal 2015 und im ersten Quartal 2016 sanken die nominalen Investitionsausgaben sogar deutlich und stabilisierten sich erst wieder im zweiten Quartal 2016. Die Schwäche der Unternehmensinvestitionen ging jedoch nicht wie in der Vergangenheit mit einem Anstieg der Arbeitslosenquote einher. 

USA: Arbeitsmarkt koppelt sich von Investitionstätigkeit ab 

in % ggü. Vorquartal, annualisiert  

Quellen: Thomson Reuters Datastream, Berechnungen Metzler; Stand: 30.6.2016 

Existierte der im Chart in der Vergangenheit erkennbare Zusammenhang zwischen Investitionen und Arbeitsmarkt auch heute noch, läge die Arbeitslosenquote derzeit bei über 6,5 %. Die US-Unternehmen scheinen auf Investitionen in Gebäude, Maschinen, Software etc. zu verzichten und das moderate Nachfragewachstum durch die Einstellung von neuen Arbeitskräften zu bedienen. Ein Grund dafür könnte sein, dass sich der Strukturwandel von der Industrie zum Dienstleistungssektor beschleunigt hat und die Arbeitskräfte im Dienstleistungssektor ohne größere Kapitalausstattung arbeiten können. Das würde auch das geringe Wachstum der Produktivität erklären, da die Steigerungsraten im Dienstleistungssektor erfahrungsgemäß nur sehr niedrig sind.

Eine steigende Beschäftigung trotz fallender Investitionsausgaben der Unternehmen und steigende Löhne ermöglichen ein anhaltendes Einkommenswachstum, das sich zuletzt jedoch etwas abschwächte und im Juni bei 2,7 % lag. Dennoch beschleunigte sich die Wachstumsrate der Konsumausgaben in den vergangenen Monaten von 2,2 % im März auf 2,8 % im Juni, da die privaten Haushalte das schwächere Einkommenswachstum mit geringeren Ersparnissen kompensierten. So fiel die Sparquote von 6,2 % im März auf 5,3 % im Juni.

Insgesamt dürfte die US-Wirtschaft die Wachstumsdelle im ersten Halbjahr in den kommenden Quartalen wieder ausbügeln, da es erste Anzeichen für eine moderate Erholung der Investitionsausgaben gibt und die privaten Haushalte nach wie vor in Konsumlaune sind. Dass das BIP-Prognosemodell der Atlanta-Fed ein Wirtschaftswachstum von 3,6 % im dritten Quartal in den USA errechnet hat, steht damit in Einklang. Eine Bestätigung des positiven Wachstumsumfelds dürfte schon in der kommenden Woche von robusten Einzelhandelsumsätzen (Freitag) kommen.

Die schleppenden Investitionen und das geringe Produktivitätswachstum werfen Fragen zum mittelfristigen Wachstumstrend auf. Ein anhaltend niedriges Produktivitätswachstum würde bedeuten, dass die Einkommen pro Kopf in Zukunft kaum noch steigen könnten.

Eurozone: Abkopplung von Rezession in Großbritannien

In Großbritannien verdichten sich die Hinweise, dass eine Rezession schon begonnen hat. Die Konjunkturdaten aus der Eurozone zeigen bisher jedoch keine Ansteckungseffekte, sondern ein stabiles Wachstum für das übrige Europa. Die expansive Fiskalpolitik in der Eurozone in diesem Jahr könnte ein Grund dafür sein, warum die Wirtschaft der Eurozone so widerstandsfähig ist. Wir rechnen mit einem Wachstumsbeitrag der Fiskalpolitik von etwa 0,5-%-Punkten in diesem Jahr. Dementsprechend dürfte die Industrieproduktion in Deutschland (Montag) und in der Eurozone (Freitag) gegenüber dem Vormonat gestiegen sein. Ferner werden die BIP-Daten (Freitag) im zweiten Quartal für die Eurozone mit den Wachstumsbeiträgen der einzelnen Komponenten veröffentlicht. Die erste Schätzung einer Wachstumsrate von 0,3 % im zweiten Quartal dürfte nicht revidiert werden.

China: Stabiles Wachstum

Die Wachstumssorgen in China, die zu Jahresanfang für große Turbulenzen an den Finanzmärkten sorgten, beruhigten sich in den vergangenen Wochen merklich. Entscheidend dafür waren die Stabilisierung der Devisenreserven (Montag) bei etwa 3,2 Bio. USD und die Erholung des Handelsbilanzüberschusses auf etwa 50 Mrd. USD pro Monat, was einen stetigen Zufluss von ausländischem Kapital nach China gewährleistet – zumal die staatlichen Stimuli zunehmend greifen und sich das Wachstum stabilisieren konnte. So dürften die Industrieproduktion (Freitag) und die Einzelhandelsumsätze (Freitag) die Wachstumsraten des Vormonats erreicht haben.

Inflationsausblick aus einem anderen Blickwinkel

In einer kürzlich veröffentlichten Publikation beleuchteten wir die Inflationsperspektiven aus Sicht der Zentralbankpolitik und -liquidität (mit einem längeren Q&A-Segment). Einen anderen Blickwinkel auf die Inflationsperspektiven ermöglicht ein einfaches Inflationsmodell, das eine mittelfristig konstante Gewinnmarge auf die Lohnstückkosten unterstellt. Die Entwicklung der Lohnstückkosten überträgt sich in diesem Modell über die Zeit eins zu eins auf die Inflation. In den USA schwankte die Wachstumsrate der Lohnstückkosten seit 2000 zwischen 3 % und 0 %. Im ersten Quartal 2016 lag die Wachstumsrate mit 2,0 % schon überdurchschnittlich hoch und erklärt damit den merklichen Anstieg der Kerninflation in den vergangenen Quartalen.

Lohnstückkosten mit steigender Tendenz trotz schwachem Lohnwachstum

Lohnstückkosten in % ggü. Vj. (gleitender Durchschnitt über acht Quartale)

Quellen: Thomson Reuters Datastream, Berechnungen Metzler; Stand: 31.3.2016

Bei einem Wachstum der Produktivität von nur 0,5 % reicht schon ein Wachstum der Lohnkosten von 2,5 %, um ein entsprechend hohes Wachstum der Lohnstückkosten zu bewirken. Die größte Überraschung ist jedoch Japan. Hier stiegen die Lohnstückkosten im ersten Quartal trotz zuletzt eher enttäuschender Konjunkturdaten um 1,5 %. Sie setzen sich zusammen aus einem Wachstum der Lohnkosten um etwa 1,0 % und einem Rückgang der Produktivität um etwa 0,5 %.

Das beschlossene Konjunkturpaket sowie eine zunehmende Arbeitskräfteknappheit sprechen dafür, dass sich das Wachstum der Lohnstückkosten in Japan in den kommenden Quartalen sogar noch beschleunigen könnte. Ein Indikator für die Arbeitskräfteknappheit ist das Verhältnis von offenen Stellen pro Bewerber. Im Mai 2016 kamen im Durchschnitt auf jeden Bewerber etwa 1,37 offene Stellen.

Vergleichbare knapp waren die Arbeitskräfte in Japan in dem von einer Immobilien- und Aktienmarktblase befeuerten Boom der 1980er-Jahre. Jedoch verhinderten die tiefsitzenden Deflationserwartungen bisher einen stärkeren Inflationsanstieg. Über die Zeit werden sich jedoch die fundamentalen Kräfte durchsetzen und wahrscheinlich schon im kommenden Jahr für eine merkliche Inflationsbeschleunigung sorgen. 

In der Eurozone war die Wachstumsrate der Lohnstückkosten mit etwa 1,0 % im ersten Quartal 2016 eher unterdurchschnittlich. Der Kostendruck ist derzeit gering. In den kommenden Quartalen könnte jedoch ein anhaltender Aufschwung in der Eurozone bewirken, dass die Lohnstückkosten moderat steigen. Interessanterweise scheinen die US-Lohnstückkosten einen Vorlauf von bis zu zwei Jahren vor den europäischen Lohnstückkosten zu haben.

Der Marktausblick als PDF-Dokument.

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