ODDO BHF: Unternehmenssteuern in den USA

Die Aktienmärkte in den USA eilen von Höchststand zu Höchststand, während die Unternehmensanalysten angesichts kontinuierlich verbesserter Wachstumsprognosen ihre Gewinnschätzungen weiter nach oben schrauben.

19.04.2021 | 09:40 Uhr

Ende Dezember hatten die Experten das Gewinnwachstum für den S&P500 (Gewinn pro Aktie) laut FactSet noch auf 15,8% veranschlagt, jetzt, zu Beginn der Berichtssaison in den USA für das erste Quartal, wird bereits ein Gewinnplus von 24,5% erwartet. Da die Schätzungen eher etwas zu niedrig ausfallen (die gerade veröffentlichten Ergebnisse einiger großer US-Banken bestätigen dies), könnte das Ergebnis sogar einige Prozentpunkte besser werden. Natürlich tragen die Corona-bedingt schwachen Ergebnisse des Vorjahresquartals dazu bei, dass die Zuwächse beeindruckend wirken – dieser Effekt wird in den Geschäftszahlen des zweiten Quartals, für die ein Gewinnwachstum von mehr als 53% prognostiziert wird, noch deutlicher sichtbar werden. Doch tatsächlich gehen die Erwartungen für 2021 mittlerweile weit über eine „Reparatur“ der Bilanz hinaus: Für das Gesamtjahr 2021 rechnen die Analysten bei den Unternehmen des S&P500 mit einem Gewinnplus von 26,3% und einem Umsatzwachstum von 9,7%; dagegen sehen die entsprechenden Rückgange des Jahres 2020 (-11,2% bzw. -0,8%) recht bescheiden aus. Für das Kalenderjahr 2022 gehen die Schätzungen dann von einem weiteren Gewinnanstieg um 14,9% (Umsatzanstieg 6,8%) aus.

Mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 22,4 (auf Basis erwarteter Erträge über 12 Monate laut FactSet) ist die Bewertung des S&P500 anspruchsvoll. Der 5-Jahres-Durchschnitt liegt gerade bei 17,8. Geht man davon aus, dass der Spielraum für (noch) höhere KGVs begrenzt ist, müssen künftige Kursgewinne am Aktienmarkt durch entsprechendes Gewinnwachstum gerechtfertigt sein. Dafür gibt es auch einige gute Argumente. Das starke Wachstum der wirtschaftlichen Aktivität verspricht auf Sicht der nächsten Jahre eine hohe Dynamik bei Umsätzen und Gewinnen. Der Internationale Währungsfonds rechnet für die USA mit einem nominalen Wachstum von 8,4% im laufenden und 5,8% im nächsten Jahr. Das kürzlich vorgestellte Paket an Infrastrukturinvestitionen („American Jobs Plan“) und das in Vorbereitung befindliche, schwerpunktmäßig sozialpolitische Projekt („American Families Plan“) könnten die wirtschaftliche Dynamik in den Jahren ab 2022 noch zusätzlich verstärken – umso mehr, wenn auch der globale Aufschwung an Breite gewinnen würde. Es gibt aber auch Risiken. Dazu zählt die Möglichkeit, dass die US-Notenbank aufgrund zunehmender Inflationsrisiken auf Bremskurs gehen müsste. Zu den Risiken zählen aber auch steuerliche Maßnahmen. Der Fund Manager Survey der Bank of America von April führt Steuererhöhungen nach Zinsanstiegsrisiken und Inflation in der Liste der Risiken nun an dritter Stelle an.

Reform der Unternehmensbesteuerung

Der American Jobs Plan sieht vor, die geplanten Infrastrukturinvestitionen durch Unternehmenssteuern zu finanzieren; das US-Finanzministerium hat den Entwurf, der unter der Bezeichnung „Made im America“ Tax Plan läuft, in der letzten Woche etwas ausführlicher erläutert. Erklärte Absicht ist es, die Unternehmen stärker als bisher zur Finanzierung öffentlicher Ausgaben zur Kasse zu bitten; vor allem die multinationalen Unternehmen sollen laut US-Finanzministerin Janet Yellen einen „fairen Anteil“ tragen. Nach Angaben des Finanzministeriums würden die geplanten Maßnahmen auf Sicht von zehn Jahren (2022-2031) zusätzliche Staatseinnahmen von rund 2 Billionen US-Dollar erwirtschaften. Das Penn Wharton-Budget Modell ermittelt 2,1 Billionen US-Dollar, Goldman Sachs nennt 1,8 Billionen US-Dollar.

Vorgesehen ist eine weitgehende Umkehr des Tax Cuts and Jobs Act (TCJA) von 2017, dem Vorzeigeprojekt der Trump-Administration. Die wichtigsten Maßnahmen sind:

(1) Der Unternehmenssteuersatz (Corporate Income Tax) soll von 21% auf 28% (vor TCJA: 35%) angehoben werden.

(2) Der Steuersatz auf „Global Intangible Low Tax Income“ (GILTI) – also Einkommen ausländischer Tochterunternehmen auf immaterielle Vermögenswerte wie Patente, Warenzeichen, Copyrights – soll von 10% auf 21% erhöht werden, die Ermittlung auf Einzelländer-Basis erfolgen und der Vorabzug eines Ertrags von 10% auf die materiellen Vermögenswerte abgeschafft werden.

(3) Abschaffung der Vorzugsbesteuerung für Foreign-Derived Intangible Income (FDII); in Analogie zu GILTI werden im Ausland auf Basis immaterieller US-Vermögenswerte erzielte Einkommen derzeit mit einem niedrigeren Satz von 13,125% besteuert (nach Abzug eines 10%-Ertrags auf materielle Vermögenswerte); diese Vorkehrung – gedacht als Anreiz, immaterielle Vermögensgüter in den USA zu belassen – soll gestrichen werden.

(4) Großunternehmen (mit über 100 Millionen Umsatz) sollen ersatzweise mit einem 15%-Satz auf die buchmäßigen Erträge besteuert werden, wenn die Steuerschuld damit höher ist als auf Basis des steuerlichen Einkommens.

(5) Die Base Erosion and Anti-Abuse Tax (BEAT) – eine Regelung, die die steuerliche Abzugsfähigkeit von Zahlungen an Niedrigsteuerländer begrenzt – wird durch SHIELD (Stopping Harmful Inversions and Ending Low-tax developments) ersetzt. SHIELD macht bestimmte Zahlungen an verbundene Unternehmen in Ländern mit einem niedrigeren Steuersatz als 21% (bzw. dem international vereinbarten Mindeststeuersatz (s.u.)) grundsätzlich nicht-abzugsfähig und verschärft die Regeln bei Inversionen, also (steuerlich motivierten) Verlagerungen des Unternehmenssitzes ins Ausland bzw. Übernahmen durch ausländische Unternehmen.

(6) Bestimmte Abzugsmöglichkeiten und Steuergutschriften zugunsten von Herstellern fossiler Brennstoffe sollen abgeschafft werden.

Während frühere US-Regierungen und die Trump-Administration im Besonderen die Bemühungen um eine internationale Koordination der Unternehmensbesteuerung (von der OECD koordiniert) meist gebremst haben, strebt die Biden-Administration genau das an: Vor wenigen Tagen hat das Weiße Haus Vorschläge vorgelegt, die auf starkes Interesse stoßen dürften. Der Vorschlag sieht zum einen vor, ein neues internationales Regime für die Besteuerung multinationaler Unternehmen zu errichten. Eine „Säule“ soll die Besteuerung von Gewinnen auf Basis der lokalen Umsatzerlöse sein – was unter anderem die großen US- Technologieunternehmen betreffen würde. Die zweite Säule sieht die Einführung einer Mindeststeuer auf die Unternehmenserträge vor. Hier geht es vor allem darum, die Verschiebung von Gewinnen in Niedrigsteuerländer zu unterbinden, indem die Heimatländer eine Mindestbesteuerung – der US-Vorschlag sieht diesen Satz bei 21% – für die Gewinne vornehmen, die Niedrigsteuerländern (gemessen am Mindestsatz) zugerechnet werden. Dies entspräche der US-Regelung.

Einordnung der Steuerpläne

Es ist derzeit noch zu früh, um die Auswirkungen der geplanten Änderungen des Unternehmenssteuerrechts in den USA zuverlässig abschätzen zu können. Zum einen sind die Ausführungen bisher nicht sehr detailliert, und im Steuerrecht steckt der Teufel bekanntlich im Detail. Zum anderen handelt es sich bislang nur um einen Entwurf, der im Zuge der parlamentarischen Befassung noch erheblich modifiziert werden könnte. Das gilt auch für die vorgesehenen Steuersätze. Und drittens sieht der American Jobs Plan auch eine Reihe gezielter Steuervergünstigungen vor, vor allem im Hinblick auf saubere Energie, Forschung und Entwicklung sowie die Stärkung der USA als Produktionsstandort. Die Effekte dieser Maßnahmen wären gegenzurechnen. Klar ist allerdings, dass die US-Regierung Einnahmen benötigt, um die geplanten Ausgaben zumindest ein Stück weit zu decken. Setzt man beispielsweise die Schätzungen des Penn Wharton-Budgetmodells für die Einnahmeneffekte ins Verhältnis zu den erwarteten Unternehmensgewinnen gemäß den Schätzungen des Congressional Budget Office, so ergibt sich auf Sicht über einen Zehnjahreszeitraum (2022-2031) eine Erhöhung der Unternehmenssteuern (nur bundesstaatlich) um durchschnittlich etwa 60%; die Steuermehreinnahmen entsprechen dabei gut 7% der Unternehmensgewinne auf gesamtwirtschaftlicher Ebene. Das passt recht gut zu den ersten Schätzungen verschiedener Brokerhäuser mit Blick auf die Gewinnentwicklung (pro Aktie) der S&P 500-Unternehmen: Credit Suisse beziffert die Belastung des Gewinns auf 7,0%, UBS auf 7,4%, Goldman Sachs nennt 9,0%. Im Vergleich: Die Steuererleichterungen unter Trump haben die Gewinne pro Aktie um schätzungsweise 10% nach oben befördert; allerdings wurde der allgemeine Steuersatz damals von 35% auf 21% zurückgenommen. Die geplanten steuerlichen Maßnahmen haben einen starken Fokus auf große multinationale Unternehmen, deren effektive Belastung bislang eher unterdurchschnittlich war. Der effektive Steuersatz der S&P 500- Unternehmen lag im dritten Quartal 2020 bei 17,5%, der effektive Satz beispielsweise in Sektoren wie Kommunikationsdienstleistungen und vor allem Technologie (14,8%) deutlich niedriger (Angaben laut S&P Dow Jones).

Es ist davon auszugehen, dass die Wirkung der Steuermaßnahmen auf die Unternehmenserträge heterogen sein wird. Gerade multinationale Unternehmen mit hohen Erträgen im Ausland (relativ zu Umsätzen) könnten stärker zur Kasse gebeten werden; inländische orientierte US-Unternehmen sind zwar direkt von den höheren Steuersätzen betroffen, hier dürften jedoch die geplanten Steuerentlastungen gegenläufig wirken. Der Vorstoß in Richtung einer internationalen abgestimmten Mindestbesteuerung von Unternehmen hat viel positive Resonanz gefunden, gerade auch in den größeren europäischen Volkswirtschaften wie Deutschland, Frankreich und Italien, denen die Steuereinnahmen gerade von den großen US- Technologieunternehmen seit langem ein Dorn im Auge ist. Nicht umsonst haben mehrere europäische Länder, darunter Frankreich und Italien, Digitalsteuern eingeführt. Bis zu einem Ergebnis dürfte aber einige Zeit verstreichen, doch leere Staatskassen erhöhen den Einigungsdruck. Vermutlich müssen wir uns aber auf ein Ende der langen Abwärtsbewegung der Unternehmenssteuern einstellen. Die geplante Überarbeitung der Unternehmenssteuer in den USA dürfte in der Gewinnentwicklung sichtbare, aber von Unternehmen zu Unternehmen vermutlich unterschiedlich tiefe Spuren hinterlassen. Die Größenordnung der Belastung scheint in einem kräftigen zyklischen Aufschwung verkraftbar zu sein; entsprechend zeigen sich die Anleger derzeit wenig beeindruckt von den Steuerplänen aus Washington. Doch die angespannten Bewertungsrelationen lassen wenig Platz für negative Gewinnüberraschungen. Die höheren Unternehmenssteuern können damit auch zu einem Risiko für den Aktienmarkt werden.

Den vollständigen ODDO BHF Marktausblick finden Sie hier als PDF.


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