Pictet AM: Gesundheitswesen – Fünf Lehren, die der Sektor aus der Pandemie zieht

Von der digitalen und physischen Infrastruktur bis hin zur Bedeutung der Prävention – die Pandemie hat uns die Stärken, Schwächen und Investitionsmöglichkeiten im Gesundheitssektor vor Augen geführt.

08.08.2022 | 07:24 Uhr

Die Covid-19-Pandemie hat uns die Stärken – und Schwächen – der weltweiten Gesundheitssysteme vor Augen geführt. Das Thematic Advisory Board von Pictet-Health hat fünf Lehren identifiziert, die die Branche aus der Gesundheitskrise ziehen kann und die sowohl Unternehmen als auch Investoren neue Chancen eröffnen.  

1. Die Vorteile der Digitalisierung nutzen

In den ersten Monaten der Pandemie stieg die Zahl der Online-Sprechstunden auf das 78-Fache ihres Wertes vor Covid-19 und machten fast ein Drittel der Arztkontakte aus.1Obwohl mit der Aufhebung der Beschränkungen wieder mehr Patienten in die Arztpraxen kommen, werden digitale Sprechstunden immer noch etwa 38 Mal häufiger genutzt als vor der Pandemie. Das deutet darauf hin, dass der Telemedizin auch in Zukunft eine wichtige Bedeutung zukommt.

Die Telepsychiatrie verzeichnet ein besonders starkes Wachstum – rund die Hälfte aller Beratungen erfolgt mittlerweile digital.2 Das Advisory Board verweist insbesondere auf den Nutzen und Komfort der Telemedizin für Folgetermine und die Besprechung von Untersuchungsergebnissen.

Der Consultingagentur McKinsey zufolge könnten allein in den USA 250 Mrd. US-Dollar der aktuellen Gesundheitsausgaben in die virtuelle oder quasi-virtuelle Versorgung umgeleitet werden. Zu den Vorteilen gehören die Möglichkeit, näher an den Patienten heranzurücken, insbesondere in Gegenden, in denen es keine traditionelle Gesundheitsversorgung gibt, sowie erhebliche Kosteneinsparungen und sogar Vorteile für die Umwelt, weil die Zahl der Fahrten für Hausbesuche abnimmt. (Im Vereinigten Königreich, so schätzt die nationale Gesundheitsbehörde NHS, werden durch die Nutzung ihrer App-Services monatlich 22.000 Fahrten eingespart.3)

Damit die Telemedizin ihr Wachstumspotenzial jedoch voll entfalten kann, sind erhebliche Investitionen in die digitale Infrastruktur erforderlich.

Neben der Telemedizin hat die Pandemie auch deutlich gemacht, wie wichtig maschinelles Lernen und KI bei der Bewältigung von Gesundheitsproblemen sind. Im Endeffekt waren es Data Scientists – und nicht Epidemiologen –, die die Daten von 2,5 Millionen App-Nutzern ausgewertet und dabei den Verlust des Geruchs- und Geschmackssinns als zentrales Symptom von Covid-19 identifiziert haben.

Durch die Zentralisierung und Vereinheitlichung der Gesundheitsdaten besteht das Potenzial, Probleme besser zu überwachen und zu antizipieren, sowohl auf der Ebene des einzelnen Patienten als auch ganzer Regionen, sodass zusätzlicher Ressourcenbedarf ermittelt werden kann.

Das Advisory Board geht davon aus, dass Daten nicht nur verstärkt eine zentrale Rolle in der Diagnostik spielen werden, sondern auch der Schlüssel für die künftige Arzneimittelentwicklung und das Design klinischer Studien sein werden. Die Eintrittsbarrieren sind jedoch hoch. Etablierte Unternehmen, die Zugang zu umfassenden Datenbeständen haben (beispielsweise Abrechnungsdaten grosser Versicherungen) sind hier im Vorteil. Viele der neuen digitalen Gesundheitsunternehmen, die erst vor kurzem an die Börse gegangen sind, müssen noch beweisen, dass sie in einem ähnlichen Massstab agieren können und ihre Geschäftsmodelle rentabel sind.

2. Vorbeugen ist besser als heilen

Covid-19 ist besonders problematisch für Menschen mit Vorerkrankungen (sogenannte Komorbidität). Die Gesellschaft erkennt daher zunehmend, wie wichtig eine gesündere Lebensweise ist.

Eine ausgewogenere Ernährung, weniger Fertigprodukte, mehr Bewegung, mehr Zeit in weniger verschmutzten Umgebungen und die Verbindung zur Natur – darauf legen immer mehr junge wie alte Menschen Wert.

All das hat zur Folge, dass die Nachfrage nach gesunden Lebensmitteln, Körperpflege und Hygiene sowie Dienstleistungen im Zusammenhang mit einem gesunden Lebensstil in der Gesundheitsbranche steigen wird.

Abb. 1 – Bettensituation Intensivbetten pro 100.000 Einwohner, ausgewählte Länder

Quelle: Our World In Data, Phua et al. (2020); Rhodes et al. (2012). Daten für 2020, sofern verfügbar, andernfalls aus dem Jahr mit den aktuellsten Daten.

3. Den Bedarf von Krankenhäusern und Pflegekräften nicht unterschätzen

Die Pandemie hat uns auch vor Augen geführt, wie wichtig ausreichende physische Ressourcen sind – Ärzte, Pflegekräfte, Intensivbetten. Es gibt starke Unterschiede bei der Kapazität, selbst innerhalb der Industrieländer.

Während Deutschland durchschnittlich 48 Intensivbetten pro 100.000 Einwohner hat, sind es in den USA 14 und in Japan weniger als fünf Betten (siehe Abb. 1). Ähnliche Unterschiede gibt es auch bei der Anzahl der Ärzte und Pflegekräfte. In Europa beispielsweise schneidet Norwegen bei beiden Kennzahlen relativ gut ab, während Portugal weit zurückliegt – das belegen Daten des European Observatory on Health Systems and Policies.

Bei der ersten Pandemiewelle schnitten Länder mit besserer klinischer Versorgung – wie Österreich und Deutschland – deutlich besser ab, so das Advisory Board. Könnte die Pandemie dem Trend zum Krankenhausabbau ein Ende setzen – und sogar zum Bau neuer Krankenhäuser führen?

Krankenhäuser brauchen Personal, und hier liegt ein weiteres grosses Problem. Krankenpflege wird immer unattraktiver, die Arbeit ist schlecht bezahlt und die Anerkennung in der Gesellschaft gering. Das muss sich ändern. In den USA will rund ein Drittel der Pflegekräfte aus der direkten Patientenversorgung aussteigen, in Europa ist ein ähnlicher Trend zu beobachten. Eine gut finanzierte gemeindenahe Pflege könnte dazu beitragen, einige der Lücken zu schliessen.

Auch hier können Daten helfen. Ergibt sich aus der Datenanalyse, dass weniger Pflegekräfte zur Verfügung stehen werden, kann das Problem frühzeitig angegangen werden.

4. Privater und öffentlicher Sektor müssen zusammenarbeiten

Eine weitere wichtige Erkenntnis ist, dass mehr in das Gesundheitswesen investiert werden muss – die Politik hat erkannt, dass ein Land ohne ein funktionierendes Gesundheitssystem keine funktionierende Wirtschaft haben kann. Es gibt jedoch Grenzen, wie viel der Staat finanziell beitragen kann, vor allem, wenn die Staatsverschuldung ohnehin schon hoch ist und sich das Wirtschaftswachstum abschwächt. Analysen des Advisory Board zufolge gehen die staatlichen Gesundheitsausgaben nach einer Krise erfahrungsgemäss tendenziell zurück.

Die Pandemie war jedoch ein Musterbeispiel dafür, wie Unternehmen, die öffentliche Hand und Wissenschaftler mit Erfolg auf ein gemeinsames Ziel hingearbeitet haben – insbesondere bei der Entwicklung von Impfstoffen. Es sind aber auch potenzielle Probleme und Defizite zutage getreten, wie die Skandale über mangelhafte persönliche Schutzausrüstung und ein ineffizientes Kontaktpersonen-Nachverfolgungssystem in Grossbritannien gezeigt haben.

5. Lieferketten sind entscheidend

Lieferketten sind eine grosse Herausforderung für die Gesundheitsbranche. Die Covid-bedingten Unterbrechungen des globalen Handels haben die Problematik in den Vordergrund gerückt, und der aktuelle Anstieg der Inflation zeigt einmal mehr, wie wichtig Vorräte und Lieferketten sind.

Auch die Medizintechnik ist nicht immun gegen Versorgungsprobleme, wie die jüngsten Probleme bei der Beschaffung von Halbleitern deutlich machen, die wesentliche Bestandteile vernetzter Geräte und von Implantaten sind.

Hier findest bereits ein radikales Umdenken statt. Unternehmen des Gesundheitssektors sind bestrebt, die Flexibilität und Reaktionsfähigkeit ihrer Lieferketten zu erhöhen – das kann häufig durch die Nutzung hochwertiger Daten und den Einsatz neuer Technologien erreicht werden. Im Rahmen dieser Bemühungen erweitern viele Unternehmen auch die Bandbreite der Lieferanten und verlagern teilweise die Produktion in heimische Gefilde (Onhoring) oder in nahegelegene Länder (Near-Shoring). Beides dient dazu, die Abhängigkeit von langen Lieferketten zu reduzieren.

Die Pandemie hat auch deutlich gemacht, dass ein integrierter Gesundheitsansatz (das „One Health“-Konzept) verfolgt werden muss, der aufgrund der Wechselbeziehung zur Gesundheit von Tieren und Ökosystemen über die menschliche Gesundheit hinausgeht. Das kann dazu beitragen, Zoonosen, das heisst Erkrankungen, die von Tieren auf den Menschen übertragbar sind, zu verhindern und die Qualität der Nahrungsmittel, die wir essen, und der Luft, die wir atmen, zu verbessern.


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