Robeco: Europa – Stellt die milde Stagnation die Erholung in Frage?
Europäische Aktien dürften es schwer haben, sich in nächster Zeit überdurchschnittlich zu entwickeln, obwohl sie im Vergleich zu Börsentiteln in anderen Ländern günstig bleiben, meint Strategieexperte Peter van der Welle.12.03.2024 | 07:20 Uhr
Aktien
aus der Eurozone haben den Abwärtstendenzen getrotzt und sind in den
letzten drei Monaten um 11,6 % gestiegen, obwohl die Konjunktur deutlich
nachgelassen hat. Zurückzuführen war das zum Teil auf eine robuste
Arbeitsmarktlage. Die Arbeitslosenquote liegt immer noch auf einem
Allzeittief von 6,4 %. Ein Mitglied des Rats der Europäischen
Zentralbank (EZB), Klaas Knot, bezeichnete dies als „Stagnation bei
Vollbeschäftigung“. Eine kurzfristige Erholung
im Euroraum scheint jedoch schwierig zu sein. Bessere Ergebnisse
erzielen könnten Anleger derzeit in Japan und den USA, wo die Aussichten
für Aktien günstiger sind, meint Peter van der Welle, Strategieexperte
bei Robeco Sustainable Multi-Asset Solutions. „Offensichtlich
wissen die Aktienmärkte der Eurozone diese milde Stagnation zu
schätzen. Dennoch haben sich die Börsen in Europa in den letzten drei
Monaten schlechter entwickelt als in den USA und Japan“, sagt er. „Wir
haben Europa in unseren Multi-Asset-Portfolios untergewichtet und ziehen
es vor, zyklische Risiken in Japan einzugehen. „In
jüngster Zeit haben sich jedoch einige Lichtblicke gezeigt, die Europa
wieder begünstigen könnten. Aus Bewertungsperspektive haben sich
historisch hohe Abschläge gegenüber den globalen Benchmark-Indizes
ergeben. Mit Blick auf die Konjunkturentwicklung könnte eine beginnende
Erholung des globalen Produktionszyklus Europa besonders zugutekommen
und Kurspotenziale freisetzen.
Value versus Momentum
Der Grund für diese Underperformance und die Abschläge gegenüber den USA liegt zum Teil im Wesen der europäischen Börsen. Diese werden tendenziell von stärker im Industriesektor angesiedelten Value-Aktien dominiert. Ein Großteil des breiten Kursaufschwung an den Börsen wurde dagegen durch Wachstumswerte aus dem Technologiebereich ausgelöst. Van der Welle sagt, dass es daher drei Gründe gibt, gegenüber europäischen Aktien zurückhaltend zu bleiben.
„Es gibt zwar Anzeichen dafür, dass sich der aktuelle Trend am Aktienmarkt verbreitert, da die gesamtwirtschaftlichen Daten immer wieder positiv überraschen. Doch die stärker valueorientierten Segmente des Aktienmarkts schneiden immer noch unterdurchschnittlich ab. Zudem ist die jüngste Hausse bei Aktien überwiegend momentumgetrieben“, sagt er.
„Der Charakter dieses Aktienmarktaufschwungs spricht daher nicht für eine strukturelle Outperformance Europas gegenüber dem Rest der Welt oder speziell den USA. Denn europäische Börsentitel besitzen eher eine Value-Charakteristik, während US-Aktien eine höhere Korrelation mit dem Momentum-Faktor aufweisen.“
„Da das Wirtschaftswachstum außerhalb der USA nach wie vor relativ schwach ist, erzielen wachstumsorientierte US-Unternehmen mit überdurchschnittlichen Cashflows auf dem globalen Aktienmarkt eine höhere Prämien und weisen eine stärkere Dynamik auf.
Der
zweite Grund ist, dass die europäischen Aktienmärkte bereits eine
umfassende Erholung des Verarbeitenden Gewerbes eingepreist haben. Diese
ist allerdings noch nicht eingetroffen und wird möglicherweise auch
nicht eintreten. „Der globale Produktionszyklus befindet sich seit
September 2022 in einer Rezession, aber es gibt jetzt erste Anzeichen
für einen Aufschwung“, sagt Van der Welle. „Das
Verhältnis von Lagerbeständen zu Umsätzen in den USA hat sich
normalisiert, und die Ausfuhren prozyklischer Exportnationen wie Taiwan
und Südkorea haben in letzter Zeit an Dynamik gewonnen. Die Zahlen zum
Unternehmensvertrauen im Verarbeitenden Gewerbe haben in letzter Zeit
positiv überrascht.“ „Obwohl diese
Entwicklungen für einen Kontinent mit einer ausgeprägten industriellen
Basis wie Europa vielversprechend sind, haben die dortigen Aktienmärkte
eine Erholung bereits vorweggenommen. So wird der MSCI Europe derzeit
auf einem Niveau gehandelt, das eher mit einen Stand von etwa 100 beim
IFO-Indikator für die Erwartungen der Unternehmen in Einklang steht. Ein
solcher Wert ist üblicherweise auf dem Höhepunkt des Konjunkturzyklus
zu beobachten. Ende Februar lag der Wert jedoch nur bei 81,6.“ Schließlich
bestehen auch Abwärtsrisiken im Hinblick auf die Profitabilität der
Unternehmen. Dabei können wir uns auf Europas größte Volkswirtschaft und
ehemaliges industrielles Kraftzentrum konzentrieren – Deutschland.
Bundeskanzler Scholz war so zuversichtlich, dass der frühere
industrielle Rang wiederhergestellt werden kann, dass er kurz nach
seinem Amtsantritt vor zwei Jahren in einer Rede eine Zeitenwende
voraussagte. Die Realität hat sich zur Schadenfreude seiner
wirtschaftlichen Rivalen als das Gegenteil erwiesen. „Es
gibt mehrere strukturelle Gründe für den Rückstand Deutschlands
gegenüber den USA; der erste hat mit der Industriepolitik zu tun“, sagt
Van der Welle. „Das letzte Jahrzehnt war von einer Weltwirtschaft
geprägt, in der dem Gewinner alles zufällt. Diese zunehmende
Monopolmacht ging tendenziell mit einer höheren Produktivität und
Rentabilität einher. „Während die
US-Unternehmen ihre Schlagkraft erhöht haben, ist die Monopolmacht
Deutschlands aufgrund der strengen EU-Fusionspolitik geschrumpft. Die
Blockade der Siemens-Alstom-Fusion durch die EU-Kommission im Jahr 2019
verdeutlicht das Spannungsverhältnis zwischen einer Industriepolitik
einzelner Staaten, welche die Schaffung nationaler Champions begünstigt,
und einer EU-Kommission, die strenge Wettbewerbsregeln durchsetzen
will.“ „Im Gegensatz dazu haben die USA ihre
(Technologie-)Hegemonen zunehmend proaktiv abgeschirmt. Beispielsweise
belegten sie 2019 den chinesischen Tech-Giganten Huawei mit Sanktionen.
Außerdem wurden im Rahmen des Inflation Reduction Act (IRA) den
Unternehmen Subventionen und Steueranreize für umweltfreundliche
Investitionen gewährt.“ Hinzu
kommen die Auswirkungen des Krieges Russlands mit der Ukraine, die vor
allem Deutschland wirtschaftlich benachteiligt haben. Schon vor der
Corona-Pandemie waren die Energiepreise für die Industrie in den USA um
30 % niedriger als in Europa. Dieser Unterschied hat sich seit der
russischen Invasion im Februar 2022 noch vergrößert. „Es
hat sich gezeigt, dass Deutschland mit seiner Abhängigkeit von
russischer Energie eine strategische Fehlkalkulation begangen hat“, so
Van der Welle. „Der resultierende Wettbewerbsnachteil belastete
Deutschland als industrielles Kernland Europas überproportional. So
beträgt der Anteil der energieintensiven Produktion an der deutschen
Wertschöpfung etwa 20 %, während er in der Eurozone insgesamt bei nur 15
% liegt.“
Erholung in Europa bereits eingepreist
Deutschland unterliegt im Elfmeterschießen
Fehlkalkulation im Energiesektor
Europa wird eine Outperformance schwerfallen
Alles in allem sollten globale Anleger eine Outperformance Europas in einem breiter werdenden Aktienmarktaufschwung nicht als selbstverständlich ansehen. Japan und die USA dürften über noch mehr Energiereserven verfügen, so Van der Welle.
„In Anbetracht der starken, momentum-basierten Börsenrallye, der sehr hohen Erwartungen an einen Aufschwung in der Industrie und der Belastungen der kurzfristigen Rentabilität in Europa wie höherem Lohnniveau bei geringerer Produktivität dürfte Europa in der ersten Jahreshälfte 2024 eine Outperformance schwerfallen.“
„Wir gehen davon aus, dass Japan den Aufschwung anführen wird, da es über die größten Bottom-up-Chancen verfügt und sich die Unternehmen wieder auf die Schaffung von Shareholder Value konzentrieren. Sollte die Zeitenwende jedoch real sein, können deutsche Aktien mittel- bis längerfristig ein noch ungehobenes reales Wertpotenzial bieten. Denn der derzeitige Bewertungsabschlag in Bezug auf das Kurs/Gewinn-Basis von 50 % im Vergleich zu ihren US-Pendants liegt in der Nähe eines Allzeithochs.“