Schroders: Augen auf bei Anlagen in Emerging Markets

Zwischen den Unternehmensgewinnen und dem Wirtschaftswachstum in den Schwellenländern besteht kein belastbarer Zusammenhang. Wir erklären, warum es für Anleger empfehlenswert ist, sich auf die Fundamentalanalyse einzelner Unternehmen zu konzentrieren.

25.10.2017 | 09:54 Uhr

Anleger lieben Wachstum. In der Tat sprang Anfang des Jahrhunderts eine große Zahl von Anlegern auf den sprichwörtlich fahrenden Zug der Schwellenländer auf, um von den Vorteilen der wachstumsstärksten Volkswirtschaften zu profitieren. Nach Jahren der unterdurchschnittlichen Wertentwicklung (zumindest bis vor kurzem) sind viele von ihnen mittlerweile durch Schaden klug geworden und vermutlich zu dem Schluss gelangt, dass jeder Zusammenhang, den es einmal gegeben haben mag, nun nicht mehr vorhanden ist.​

Trotz des derzeitigen erneuten Höhenflugs der Schwellenländer sind wir der Ansicht, dass Anleger sich nicht von den realwirtschaftlichen Aussichten blenden lassen sollten. Denn tatsächlich besteht nur ein geringer Zusammenhang zwischen den Unternehmensgewinnen und dem Bruttoinlandsprodukt (BIP) der Schwellenländer.

Ein verwässerter Wachstumscocktail

Aufgrund des Verwässerungseffekts von Börsengängen und anderen Formen der Aktienemission macht sich ein etwaiges Wachstum ohnehin erst mit einer gewissen Verzögerung bei den Gewinnen bemerkbar.​
Nach der herrschenden Meinung schlägt sich eine relativ schnell wachsende Wirtschaft automatisch in einem schnellen Gewinnwachstum der börsennotierten Unternehmen nieder. Aus unserer Sicht sieht die Realität jedoch anders aus. Wir sagen, dass die Anleger unwissentlich einen verwässerten Wachstumscocktail zu sich nehmen, wenn sie in Schwellenländeraktien investieren.

In den vergangenen zehn Jahren fiel das reale BIP-Wachstum in den Schwellenländern deutlich höher aus als in den Industrieländern. Dies lässt sich an einer jährlichen Wachstumsrate von 4,2 % ablesen, die fast vier Mal so hoch ist wie in den Industrienationen (1,1 %). Das reale Gewinnwachstum je Aktie war indes sehr ähnlich (-0,6 % ggü. -1,0 %).

Folglich besteht zwar in beiden Märkten eine eindeutige Divergenz zwischen dem Wirtschaftswachstum und dem Gewinnwachstum; in den Schwellenländern klafft hier jedoch eine gähnende Lücke. Warum?

Achtung Lücke!

Abbildung 1 zeigt, welchen Weg eine BIP-Einheit nimmt, bis sie sich in einer Einheit des Gewinns je Aktie niederschlägt. In jeder Phase dieses Prozesses kann es zu Verzerrungen kommen. Auf der Ebene der jeweiligen Volkswirtschaft können beim gemeldeten BIP-Wert Messfehler vorliegen, oder der Anteil der Unternehmensgewinne an der Wirtschaftsleistung eines Landes ändert sich im Laufe der Zeit. Von größerer Bedeutung aus Sicht der Anleger ist jedoch die Tatsache, dass das Auslandsengagement der Volkswirtschaften und der Aktienmärkte mitunter stark voneinander abweicht (siehe Abbildung 2).

Abbildung 1: Weg vom BIP zum Gewinn je Aktie (GjA)

(Quelle: Schroders.)


Die Länder auf der linken Seite in Abbildung 2, wie China und Brasilien, sind eher binnenorientiert, wohingegen die Länder auf der rechten Seite einen großen Teil ihrer Einkünfte im Ausland erzielen. Schauen wir uns beispielsweise Taiwan an: 67 % der Umsätze der börsennotierten taiwanischen Unternehmen stammen aus dem Ausland. Daher hat die wirtschaftliche Entwicklung im Rest der Welt einen größeren Einfluss auf taiwanesische Unternehmen als die heimische Wirtschaft.

Abbildung 2: Exporte und Anteil der Auslandseinnahmen

(Quelle: Schroders, MSCI, HSBC, einzelstaatliche Quellen. Daten zu Exporten per Dezember 2016; Daten zum Anteil der Auslandseinnahmen per Juli 2014.)

Sektorale Zusammensetzung

Ein weiterer entscheidender Verzerrungseffekt ergibt sich aus der unterschiedlichen sektoralen Zusammensetzung des Aktienmarkts und der Wirtschaft. Innerhalb des Schwellenländeruniversums können diese Unterschiede erheblich sein.

So können einige Sektoren an der Börse unterrepräsentiert sein, wie es beim russischen Konsumgütersektor der Fall ist, oder sie sind – wie die mexikanische Automobilindustrie – überhaupt nicht vertreten. Tatsächlich ist Mexiko zwar der viertgrößte Autoexporteur der Welt, aber um vom Wachstum dieses Sektors zu profitieren, müssen die Anleger auf Aktien aus den USA, Deutschland oder Japan zurückgreifen.​
Dies erklärt, warum der Zusammenhang zwischen dem BIP-Wachstum und dem Gewinnwachstum je Aktie bestenfalls unsicher ist. Diese Fakten begründen jedoch nicht die deutliche strukturelle Diskrepanz zwischen dem BIP-Wachstum und dem Gewinnwachstum. Entscheidend ist hier der Verwässerungseffekt der Börsengänge.

Wachstum vor dem Börsengang

Wissenschaftlichen Studien(1) zufolge liegt es daran, dass das frühe Gewinnwachstum junger Unternehmen noch vor ihrem Börsengang einsetzt. Dieses Wachstum schlägt sich in den BIP-Daten nieder, aber nicht an der Börse.  Wir haben festgestellt, dass diese Verwässerung in den Schwellenländern wesentlich stärker ausgeprägt ist als in den Industrieländern (3,8 % ggü. 0,5 %). (1 Bernstein, W.J., & Arnott, R.D. (2003). Earnings Growth: The Two Percent Dilution. Financial Analysts Journal, 59(5), 47-55.)

Dies ist offenbar das fehlende Bindeglied zwischen dem BIP-Wachstum und dem Gewinnwachstum je Aktie. Vereinfacht ausgedrückt: Je schneller das Wachstum, desto größer das Gesamtvolumen der Börsengänge und damit auch die Verwässerung.

Das Problem der Verwässerung ist besonders deutlich in China zu beobachten. Das ist wenig überraschend, denn  das Land erlebte ein BIP-Wachstum, das deutlich stärker war als in anderen Schwellenländern.  Es ist üblich, dass große chinesische Staatsunternehmen erst in einem relativ fortgeschrittenen Stadium ihres Lebenszyklus an die Börse gehen. Daher sollte es einleuchten, dass das annualisierte reale Gewinnwachstum je Aktie in China in den vergangenen zehn Jahren lediglich 2 % betrug.

Eine derart starke Verwässerung kann zumindest teilweise erklären, warum jene Anleger enttäuscht wurden, die darauf gehofft hatten, aus dem schnellen chinesischen BIP-Wachstum Kapital zu schlagen.

Fokus auf Fundamentaldaten

Was können wir daraus lernen? Anleger, die ernsthaft versuchen möchten, vom schnellen Wachstum in den Schwellenländern zu profitieren, müssen bereit sein, die notwendige Vorarbeit zu leisten. Dies bedeutet, eine gründliche Fundamentalanalyse einzelner Unternehmen durchzuführen, anstatt sich auf stark verallgemeinernde Annahmen zu verlassen, wonach sich das gesamtwirtschaftliche Wachstum automatisch in einen Börsenerfolg übersetzen lässt. 

 

Die hierin geäußerten Ansichten und Meinungen stellen nicht notwendigerweise die in anderen Mitteilungen, Strategien oder Fonds von Schroders oder anderen Marktteilnehmern ausgedrückten oder aufgeführten Ansichten dar.

Der Beitrag wurde am 24.10.17 auch auf schroders.com veröffentlicht.

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