Schroders: Chinas - Spannende Zeiten für Stockpicker

Da die chinesische Wirtschaft derzeit ohne großes Aufheben in eine neue Ära eintritt, gab es für Stockpicker in Asien wohl noch nie eine so spannende Zeit wie jetzt.

13.04.2018 | 09:08 Uhr

Liu He – wer ist das?

Liu He ist der wohl wichtigste wirtschaftspolitische Entscheidungsträger der Welt. Aus formeller Sicht ist sein Titel nicht besonders beeindruckend. Er ist „Wirtschaftsberater“ des chinesischen Präsidenten Xi Jinping, der die zweitgrößte Wirtschaft der Welt nach den jüngsten Änderungen nun unbefristet regieren kann.

Es kann, muss aber nicht sein, dass He jedoch die „anonyme befugte Person“ ist, die im Mai 2016 in einem Artikel der chinesischen Zeitung Renmin Ribao auf die Notwendigkeit struktureller Reformen hinwies. Fest steht, dass ihm dieses Jahr die beträchtliche Ehre zuteil wurde, als einziger Festredner ohne Regierungschefamt bei einer der Hauptveranstaltungen in Davos aufzutreten.

Vollzieht sich in China ein unbemerkter Wandel?

Es passiert oft, dass radikale Veränderungen in China ohne große Erklärungen der Regierung vonstattengehen. Eine kleine experimentelle Kommune in Chayashan in der Provinz Henan war das erste Anzeichen für Maos katastrophale Kampagne „Der Große Sprung nach vorn“. Der Vorbote für die Kulturrevolution war das unklar betitelte „Rundschreiben vom 16. Mai“ im Jahr 1966.

Ende der 1970er-Jahre erkannten nur wenige, dass hinter dem „Budgetverantwortlichkeitssystem“ der Beginn wichtiger landwirtschaftlicher Reformen steckte, die die erstaunliche wirtschaftliche Transformation des Reichs der Mitte einleiteten.

Unseres Erachtens gibt es Anhaltspunkte dafür, dass der Artikel vom 9. Mai 2016 einen ähnlichen Wendepunkt markieren könnte. Hoffentlich ist er der Vorbote einer günstigen Veränderung der wirtschaftlichen Ausrichtung Chinas.

Es ergibt Sinn, sich an die von Reuters gemeldete Kernaussage des Artikels (bitte beachten Sie, dass der gesamte Artikel in englischer Sprache ist) zu erinnern.

„In China könnte es zu einer Finanzkrise und Rezession kommen, wenn die Regierung zu stark auf schuldenfinanzierte Anreize setzt“, zitierte die offizielle Tageszeitung Renmin Ribao am Montag eine „befugte Person“.

Renmin Ribao, die offizielle Zeitung der regierenden kommunistischen Partei, gab an, dass die betreffende Person im Rahmen eines Interviews sagte, ein übermäßiges, nicht angemessen kontrolliertes Kreditwachstum könnte die Risiken erhöhen und eine Finanzkrise auslösen.

„Die Bäume können nicht bis zum Himmel wachsen. Eine hohe Verschuldung führt unverweigerlich zu hohen Risiken, die eine systemische Finanzkrise und ein negatives Wirtschaftswachstum verursachen und sogar die Ersparnisse gewöhnlicher Leute auslöschen könnten“, antwortete die nicht benannte Person auf die Frage, ob die zukünftige Wirtschaftspolitik Anreizmaßnahmen umfassen sollte.

„Wir sollten uns völlig von der Illusion verabschieden, dass Schulden reduziert werden können, indem wir durch eine lockerere Geldpolitik das Wirtschaftswachstum ankurbeln.“

Dieses Mal meinen sie es ernst

Sind dies mehr als reine Sonntagsreden, die nur die vielen ausländischen Kritiker des kreditfinanzierten chinesischen Wachstumsmodells (zu denen wir uns zählen) beschwichtigen sollen?

Natürlich wäre es einfach, zynisch zu bleiben, aber die Fakten sprechen dafür, dass die Behörden es mit der Neuausrichtung des Wachstums ernst meinen. Das heißt, dass sie sich nicht immer stärker von zu verzerrten Bedingungen bereitgestelltem Kapital abhängig machen möchten, um Ressourcen (Geisterstädte, Straßen ins Nirgendwo, weiße Elefanten) zu mobilisieren, und stattdessen stärker auf höhere Produktivität, bessere Kapitalrenditen und rationalere Kapitalkosten setzen.

Erstens ist klar, dass China seine Geldpolitik kontinuierlich strafft. Dies verdeutlichen die Indizes geldpolitischer Bedingungen und die jüngste Zinsentwicklung, die zu rationaleren Kapitalkosten führen (siehe Abbildungen 1 und 2 unten).


(Quelle: 1Bloomberg, Januar 2018. 2TS Lombard, Februar 2018.)

Es steht auch fest, dass nach dem bereits traditionellen, schnellen und „panischen“ Rückgriff auf Investitionsausgaben von staatlichen Unternehmen (siehe Anstieg der Investitionen in Sachanlagen von staatlichen Unternehmen und der Zentralregierung in Abbildung 3 unten) die Erhöhung dieser Ausgaben überraschend schnell auf fast das niedrigste Niveau seit einem Jahrzehnt verringert worden ist.

Gleichzeitig läuft eine intensive (überfällige) Kampagne gegen einige der eher ungeheuerlichen Imperien aus dem privaten Sektor, die auf einer brüchigen Basis aus kurzfristigen Versicherungs- und Vermögensverwaltungsprodukten aufbauen.

Die Quasi-Verstaatlichung von Anbang und die Verhaftung seines Geschäftsführers (des Ehemanns der Enkelin von Deng Xiao Ping) haben mehr als nur eine symbolische Bedeutung. Ein Nebeneffekt war der Einbruch der Direktinvestitionen im Ausland (Abbildung 4). Kurz gesagt: Es wurde ein Zeichen gegen Fehlinvestitionen gesetzt – sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor.

(Eine Ausnahme wird selbstverständlich für Projekte gemacht, hinter denen übergreifende geopolitische Ziele stecken. Es ist nicht davon auszugehen, dass Projekte wie „One Belt, One Road (OBOR)“ bzw. „Die neue Seidenstraße“ der neuen Sparsamkeit zum Opfer fallen werden.) 


(Quelle: 1Credit Suisse, Januar 2018. 2BofA Merrill Lynch Global Research, Ministerium für Handel, September 2017. 
Die Prognose dient zur Veranschaulichung von Trends. Die tatsächlichen Zahlen werden von den Prognosen abweichen.)

Infolgedessen ist das Verhältnis des Kreditwachstums zum nominalen BIP-Wachstum so niedrig wie seit einer kurzen Periode Ende 2011 nicht mehr. Zurückzuführen ist dies vor allem auf den steilen Rückgang der Kredite, die über Nichtbanken vergeben werden (siehe Abbildungen 5 und 6).


(Quelle: TS Lombard, Februar 2018. 
*Nichtbank-Finanzinstitute (NBFI), Bruttoinlandsprodukt (BIP))

Zumindest kurzfristig verbessert sich das inkrementelle Kapital-Output-Verhältnis (ICOR)1. Aber die große Frage lautet: Wird dies anhalten?


(Quelle: Credit Suisse, März 2018.)

Wird diese Entwicklung anhalten?

Im vergangenen Jahrzehnt (seit dem Ausgabenrausch von 2008/09) hat die chinesische Wirtschaft mit einer Gleichmäßigkeit auf Anreize reagiert, auf die der Pawlow‘sche Hund stolz wäre.

Das letzte Mal, als das Verhältnis des Kreditwachstums zum nominalen Wachstum auf dem aktuellen Niveau lag, folgte ein dramatischer Einbruch des nominalen Wachstums im Jahr 2012 (siehe Abbildung 5). Uns ist zwar bewusst, dass die Planung eines „leichten Rückgangs“ immer schwierig ist, aber es ist bemerkenswert, dass die fiskal-/geldpolitischen Anreize schrittweise zurückgefahren wurden und die Führungsriege (wieder ohne eine große Ankündigung zum Thema) einen stetig sinkenden Wachstumstrend akzeptiert hat, an dem der Konsum einen immer größeren Anteil hat. Wir haben die Jahre mit fiskal-/geldpolitischen Anreizen rot hervorgehoben – und die Tendenz ist eindeutig (Abbildungen 8 und 9).


(Quelle: CLSA, März 2018.)

Die Analyse verdeutlicht auch einen eindeutigen Unterschied zwischen den jüngsten (in vielerlei Hinsicht ziemlich schwachen) und den früheren Anreizen: das Ausmaß des Kreditwachstums im Konsumsektor (siehe Abbildungen 10 und 11 unten).


(Quelle: UBS, März 2018.)

Wir sind jedoch davon überzeugt, dass es hier nicht nur um eine Umstrukturierung der Bilanzen geht, die dem Versuch ähneln würde, die Sonnenliegen auf der Titanic umzustellen.

Einen Hinweis darauf lieferte die Rede von Liu He in Davos. Er meinte: „Unser Fokus muss sich von  'Ist es genug?' zu 'Ist es gut genug?' ändern. Dieser Übergang zu einem neuen Entwicklungsmodell wird riesige Chancen für viele Branchen eröffnen. Dazu können unter anderem Fertigungs- und Dienstleistungsbranchen mit Bezug zum höherwertigen Konsum sowie zu energieeffizienten Gebäuden, intelligentem Transport, neuen Energien gehören... Das heißt neue Chancen für Unternehmen...“

Die wichtigste Botschaft hier ist folgende: Die Führung erkennt voll und ganz an, dass eine Verlangsamung des Wachstums in einer Volkswirtschaft mit mittlerem Einkommen unvermeidbar ist und dass das faktorintensive Wachstumsmodell (mehr billiges Kapital und billige Arbeitskräfte) nicht mehr wirksam ist.

Niemand muss den Führungskräften in Peking erklären, dass die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter nun zurückgeht.

Jetzt wird nach dem Motto gearbeitet, dass die Produktivität und die Angebotsseite reformiert werden müssen, um auf der Wertschöpfungskette nach oben zu klettern. Das Gerede über Züge mit einer Geschwindigkeit von 600 km/h und Überschallflugzeuge mit Geschwindigkeiten von Mach 7 klingt noch nach Zukunftsmusik. Und wahrscheinlich ist es das auch. Aber es zeigt, wie hoch die Ambitionen sind. Auch andere, praktischere Maßnahmen machen dies deutlich: Es werden 80 Exabytes2 an Daten an medizinische Forscher weitergegeben, 20 % der verkauften Autos sollen bis 2025 Elektrofahrzeuge oder Hybrid-Elektrofahrzeuge sein und es wurden erhebliche Kürzungen bei Kapazitäten niedrigerer Qualität in der Stahl-, Kohle- und Chemieproduktion angeordnet.

Willkommene Entwicklungen für Stockpicker

Allerdings scheint es auch ein Bewusstsein dafür zu geben, dass der Staat diese Ziele nur begrenzt vorgeben und erreichen kann. Als Stockpicker begrüßen wir die steigende Partizipation des privaten Sektors angesichts rationalerer Kapitalkosten, weniger Verdrängung und (was möglicherweise sehr bedeutend ist) des Produktivitätswachstums, das nun das Wachstum der Arbeitskosten übertrifft (siehe Abbildung 12 unten). Es gibt sozusagen Licht am Ende des Tunnels. 


(Quelle: Credit Suisse, Januar 2018.)

Die Prognose dient zur Veranschaulichung von Trends. Die tatsächlichen Zahlen werden von den Prognosen abweichen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Abkühlung der chinesischen Konjunktur in vielerlei Hinsicht begrüßt werden sollte, da sie die unhaltbaren Ungleichgewichte reduziert, die im vergangenen Jahrzehnt gewachsen sind. Das Risiko, über das Ziel hinauszuschießen, ist unvermeidbar, aber China hat die Möglichkeit, auf das Gaspedal zu drücken (das heißt von der China Development Bank rund eine halbe Billion anzufordern), und ein Modell mit nachhaltigerem (wenn auch niedrigerem) Wachstum würde mit einem deutlichen Rückgang der chinesischen Risikoprämie belohnt werden.

Aus Sicht der Stockpicker sind auch die (eingeschränkte) Entfesselung des privaten Sektors und die damit verbundenen langfristigen Anlagechancen interessant. Taiwan hat ein Unternehmen von globaler Bedeutung hervorgebracht: TSMC. Es scheint nicht überzogen zu sein, dass es unter den mehr als 3.000 an den A-Aktienmärkten notierten Unternehmen etwa 20 dieser Art geben könnte.

Während die strategische Vision von Liu He immer mehr Anerkennung findet, mangelt es derzeit im Westen leider an Strategien (z. B. Zölle auf Stahl). Allerdings gab es wohl nie eine spannendere Zeit für Stockpicker in Asien.


1 ICOR bezieht sich im Wesentlichen auf das zusätzliche Kapital, das für die Generierung von zusätzlichem Output bzw. Produktion erforderlich ist. Wenn zum Beispiel 20 % mehr Kapital benötigt werden, um gesamte produzierte Menge um 1 % zu steigern, dann beträgt das ICOR 20.

2 Ein Exabyte entspricht einer Milliarde Gigabytes. Laut einer Schätzung könnte ein Exabyte 100.000 Kopien aller gedruckten Werke in der Hauptbibliothek der Universität Oxford enthalten.

 

Die hierin geäußerten Ansichten und Meinungen stellen nicht notwendigerweise die in anderen Mitteilungen, Strategien oder Fonds von Schroders oder anderen Marktteilnehmern ausgedrückten oder aufgeführten Ansichten dar. Der Beitrag wurde am 12.04.2018 auch auf schroders.com veröffentlicht.

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