Schroders: Der Rücktritt von Matteo Renzi wird dem langfristigen Ausblick Italiens schaden

Die Niederlage des Ministerpräsidenten beim Verfassungsreferendum lässt keine Alternative zum Rücktritt – und erhöht den Druck auf die EZB, ihre Anreizmaßnahmen beizubehalten.

06.12.2016 | 10:38 Uhr

Italiens Premierminister Matteo Renzi wird nach dem Ausgang des Verfassungsreferendums zurücktreten müssen.

Er hatte seine politische Zukunft mit dem Ausgang der Entscheidung verknüpft – und der deutliche Ausgang von 59 zu 41 Prozent lässt ihm keine andere Wahl als den Rücktritt.

Ein reformiertes Wahlrecht bleibt notwendig

Viele hatten einiges an Hoffnung in Renzi gesetzt – und darin, dass er die dringend benötigten Wirtschafts- und Strukturreformen würde auf den Weg bringen können. Damit ist sein politisches Ende auch ein schwerer Schlag für den langfristigen volkswirtschaftlichen Ausblick des Landes. Worum ging es bei dem Referendum? Zunächst um eine Reform des Wahlsystems, die der jeweils regierenden Partei mehr Befugnisse bei der Umsetzung gesetzgeberischer Veränderungen zugestanden hätte. In Italien herrscht zurzeit ein ausgeglichenes Machtverhältnis zwischen der ersten Kammer (dem Abgeordnetenhaus) und der zweiten Kammer, dem Senat. Dieses Machtverhältnis blockiert sich nun allerdings selbst – und ist der größte Hemmschuh auf dem Weg zu tiefer greifenden Wirtschaftsreformen.

Die Regierung Renzi hat bereits in der Vergangenheit das Wahlsystem zum Abgeordnetenhaus reformiert: Zusätzliche Sitze für die stärkste Fraktion machen weniger Koalitionen notwendig und vereinfachen damit die Regierungsbildung. Ein „SI“ beim Referendum hätte den Reform- und Harmonisierungsprozess weiter gefördert. Damit hätte sich die Rolle des Senats mehr in Richtung einer Aufsichts- und Kontrollinstanz innerhalb der Gewaltenteilung entwickelt – in etwa vergleichbar mit dem Oberhaus in Großbritannien oder dem deutschen Bundesrat.

Nach dem „NO“ wird Italien sein zerstückeltes und nur teilweise logisch nachvollziehbares Wahlsystem behalten – was dringend vor der nächsten regulären Wahl im Jahr 2018 reformiert werden muss. Das bedeutet auch, dass der nächste Regierungschef zunächst diese Altlasten wird beseitigen müssen, anstatt Wirtschaftswachstum und damit die ökonomische Zukunft des Landes in den Mittelpunkt stellen zu können.

Vorgezogene Neuwahlen sind unwahrscheinlich

Italiens Präsident Sergio Mattarella wird sich mit Hochdruck um eine Übergangslösung bemühen müssen, um die politische Unsicherheit des Landes nicht noch weiter zu vergrößern. Zum engeren Kreis der aussichtsreichsten Kandidaten gehören Finanzminister Pier Carlo Padoan, Senatssprecher Pietro Grasso und Carlo Calenda, der Minister für wirtschaftliche Entwicklung. Obwohl alle drei keine schlechte Wahl wären, ist nicht völlig auszuschließen, dass sich die beiden Kammern nicht auf einen gemeinsamen Kandidaten verständigen können. Dann wäre der Präsident gezwungen, einen politikfremden Experten bzw. „Technokraten“ als Ministerpräsidenten einzusetzen, ähnlich wie in den Jahren von 2011 bis 2013 den ehemaligen EU-Kommissar und Wirtschaftswissenschaftler Matteo Monti.

Unter dem Strich scheint das Risiko vorgezogener Neuwahlen überschaubar. Sollte der Fall dennoch eintreten, wäre dies Wasser auf die Mühlen der europakritischen und rechtspopulistischen Parteien wie der Fünf-Sterne-Bewegung oder der Lega Nord. Die Popularität beider Parteien hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen, da man sich verstärkt gegen das „Spardiktat“ der EU wendet und einen Austritt aus der Union oder zumindest dem Euro befürwortet.

Nimmt der Reformstau zu, verschlechtern sich die wirtschaftlichen Perspektiven

Ein Führungswechsel in Italien bedeutet zwingend auch, dass sich die dringend benötigten Reformen weiter verzögern werden. Ändert sich nichts, wird das Land in einem Umfeld mit immer niedrigeren Wachstumsaussichten verharren. Zudem ist die alternde Bevölkerung ein massives Problem, genauso wie auch die schwerfälligen Vorschriften und Regelwerke sowie das unverhältnismäßig komplexe Arbeitsrecht: All dies macht den Standort Italien extrem unattraktiv für internationale Investoren. Schlimmer noch, ohne genügend Wachstum steht die Zukunftsfähigkeit des öffentlichen Finanzsystems auf dem Spiel. Mit 133 % des Bruttoinlandsprodukts (der Summe aller in einem Zeitraum erbrachten Waren und Dienstleistungen) ist die Bruttoverschuldung des Landes unrühmlicher Spitzenreiter der Europäischen Union. Gleichzeitig macht das tatsächliche Tilgen der Staatsschulden lediglich 4 % des Bruttoinlandsproduktes aus. Sollte künftig die EZB die Leitzinsen erhöhen, bleibt der italienischen Regierung kein anderer Ausweg als ein rigides Sparprogramm – was sich dann wiederum negativ auf das Wachstum auswirken wird.

Die Märkte reagieren gedämpft

Am Montag nach dem Referendum reagieren die Märkte einigermaßen ruhig auf das Ergebnis – vermutlich auch deshalb, weil die Stimmung in den Meinungsumfragen schon auf eine Niederlage Renzis hingedeutet hatte; damit blieben Investoren bereits seit längerer Zeit überaus zurückhaltend mit ihren Engagements. Der wichtigste italienische Aktienindex mit den 40 führenden Aktiengesellschaften entwickelte sich direkt im Anschluss etwas tiefer; in den ersten elf Monaten des Jahres hat der Index jedoch schon gute 9 % eingebüßt: Dies verdeutlicht die strukturellen Schwächen des Landes und der einheimischen Wirtschaft – schließlich haben im gleichen Zeitraum die deutschen und französischen Leitindizes um jeweils rund 13 % zugelegt.

Die Zinsen auf 10-jährige italienische Staatsanleihen sind ebenfalls gestiegen und notieren zum Wochenstart nach dem Referendum bei 2,035 %. Höhere Zinsen bedeuten für den Staat höhere Kosten beim Beschaffen von frischem Geld – doch liegen durch vergangene Anleihen und unterschiedliche Laufzeiten die durchschnittlichen Zinsen bei rund 3 %. Da der Staat also in der Vergangenheit schon zu wesentlich höheren Zinssätzen Geld aufgenommen hat, bedeuten die höheren Zinsen augenblicklich keine weitere Gefahr für die öffentlichen Finanzen.

Italienische Banken im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit

Nach dem Referendum bleiben die Sorgen um italienische Banken bestehen. Der Anteil gefährdeter Kredite bleibt hoch und könnte sogar den „Rettungsschirm“ für eine private Bank gefährden. So könnten die privaten Gläubiger einspringen müssen, bevor ein staatliches Programm auf den Weg käme. Das schwierige dabei: Der größte Teil eben dieser Gläubiger sind Privatkunden, die solche Verluste nicht eben einfach abfedern können. Ob Rettungsprogramm für Banken oder rasche Hilfen für mit hohen Verlusten geschlagene Privatanleger – beides wird sich umso weniger in den Griff bekommen lassen, je länger das Land ohne handlungsfähige Führungsspitze bleibt.

Auf die Europäische Zentralbank steigt der Druck

Was die verhaltene Marktreaktion ebenfalls zu einem Gutteil erklärt, ist das Kaufprogramm der Europäischen Zentralbank: Die EZB kauft anhaltend (auch italienische) (Staats)anleihen, und Anleger müssen daher nicht einen plötzlichen Rückgang der Nachfrage fürchten. Insgesamt wird sich die Aufmerksamkeit auch auf den Zentralbankrat und seine aktualisierten Prognosen für 2017 richten und natürlich darauf, ob die Bank über März 2017 hinaus ihr Anleihekaufprogramm weiterführen wird.

Durch die Entwicklung in Italien erscheint das Kaufprogramm wichtiger denn je. Es ist zwar nicht darauf ausgelegt, Regierungen zu retten – doch darf man eines nicht vergessen: Würde die EZB eine Leitzinserhöhung ankündigen oder das Programm einstellen, würden die Anleger wohl auf breiter Front panisch reagieren und sofort ihre Bestände an italienischen Staatsanleihen abstoßen – dies könnte dann weitere Kreise ziehen und zu einer weitaus umfangreicheren Krise führen: Nämlich wenn die Mehrzahl der Anleger die Zahlungsfähigkeit des italienischen Staates anzweifelt und das ohnehin zerbrechliche Bankensystem für nicht weiter tragfähig hält. So scheint der Italiener und EZB-Präsident Mario Draghi bis auf Weiteres gezwungen zu sein, nicht vom Kaufprogramm abzurücken.

Fazit

Aus unserer Sicht ist der Ausgang des italienischen Verfassungsreferendums eine liegengelassene Chance. Denn so kann das Land genau nicht den erfolgreichen Weg von beispielsweise Spanien gehen, das Wachstumsprogramme bereits umgesetzt hat. Die politische Unsicherheit wird vermutlich nicht lange anhalten – doch wird die neue Regierung trotzdem so lange politisch handlungsunfähig bleiben, bis das Wahlsystem endgültig reformiert ist und die nächste Wahl stattgefunden hat.

Diese nächste Wahl dürfte aller Voraussicht nach 2018 stattfinden; selbst wenn die Protestparteien erfolglos bleiben werden, dürften Wirtschaftsreformen nicht vor 2020 zu greifen beginnen. In der Zwischenzeit wird Italien höchst anfällig für politische Schocks bleiben; außerdem könnte das Land schnell das Wohlwollen der Anleger verlieren – insbesondere, wenn die EZB ihre Unterstützungsmaßnahmen einstellt (was nicht eine Frage des Ob sondern eine simple Frage des Wann ist).

Noch viel entscheidender: Die Entscheidung der Italiener hat neben dem Brexit und der Wahl von Donald Trump zum dritten politischen Schockmoment innerhalb eines halben Jahres beigetragen. Der Blick wird sich nun auf die Wahlen in den Niederlanden, in Frankreich und in Deutschland richten – und böse Überraschungen in diesen Ländern bedeuten noch weitaus höhere politische Risiken als die bereits gesehenen.

Die hierin geäußerten Ansichten und Meinungen stammen von Azad Zangana, Senior European Economist, und stellen nicht notwendigerweise die in anderen Mitteilungen, Strategien oder Fonds von Schroders oder anderen Marktteilnehmern ausgedrückten oder aufgeführten Ansichten dar.

Der Beitrag erschien am 06.12. auf Schroders.com

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