Schroders: Kapitalerhalt oder Kapitalzuwachs?

Wir untersuchen die Schwierigkeiten und die Bedeutung einer vermehrten Betonung auf dem Kapitalerhalt gegenüber dem Kapitalwachstum angesichts steigender Marktrisiken.

25.07.2017 | 11:07 Uhr

„Ich habe ein Vermögen damit gemacht, zu früh auszusteigen“ – J.P. Morgan

Wichtig für Anleger ist die Unterscheidung zwischen dem kurzfristigen und dem vollständigen Marktzyklus – der gemeinhin von einem Markthoch bis zum nächsten Markthoch bzw. von einem Markttief bis zum nächsten Markttief bemessen wird.

Die Haupteinflüsse, denen die Marktrenditen tendenziell auf kurze Sicht unterliegen, sind eine Kombination aus Anlegerstimmung, Risikobereitschaft und Kursdynamik, die alle miteinander in Wechselbeziehung stehen. Im Laufe eines vollständigen Marktzyklus sind es jedoch die Bewertungen, die letztendlich den Ausschlag geben. 

Kurzfristig werden Anleger häufig dafür bestraft, wenn sie dem altbekannten Ansatz folgen, niedrig einzukaufen und hoch zu verkaufen. Allerdings wendet sich das Blatt im Zuge eines vollständigen Marktzyklus in der Regel enorm zugunsten von Anlegern, die sich dazu entschließen, ihr Risiko zu verringern, wenn die Märkte sich auf ihrem Höhepunkt oder in der Nähe davon befinden. Dies gilt auch dann, wenn die Anleger dies ein wenig zu früh tun und dadurch die letzten Phasen der Aufwärtsbewegung verpassen.

Um diesen Punkt zu unterstreichen, sollte man sich vor Augen führen, dass ein Renditeprofil über fünf Jahre von 10 %, 10 %, 5 %, 5 % und 0 % besser ist als Renditen von 20 %, 20 %, 10 %, 10 % und -25 %.

Das mathematische Prinzip der Aufzinsung besagt, dass große Verluste unverhältnismäßig starke Auswirkungen haben, wenn es um die Ansammlung von Renditen geht. Daher ist es mit Blick auf einen vollständigen Zyklus von entscheidender Bedeutung, Verluste zu meiden. 

Anleger stehen stets vor der Frage, auf welchen Aspekt sie in ihren Portfolios ihren Schwerpunkt legen sollten – auf den Kapitalzuwachs oder auf den Kapitalerhalt. Es ist nicht beides zugleich möglich. In diesem Kommentar möchte ich mich mit der Schwierigkeit befassen, die damit verbunden ist, die Betonung auf Letzteres zu legen. 

Dies sollte nicht als Prognose eines drohenden Marktrückgangs verstanden werden. Es ist nur einfach so, dass wir immer geglaubt haben, dass das erfolgreiche Durchschiffen des vollständigen Marktzyklus letztendlich am wichtigsten ist, weshalb uns das aktuelle Problem doch einiges zu denken gibt.

„Die meisten Anleger sind mit jeder Faser ihres Körpers darauf ausgerichtet, das Falsche zu tun“ – Howard Marks, Oaktree Capital

Der Zweck unseres Vergleichs zwischen den beiden oben genannten Renditeprofilen besteht nicht darin, auf Dauer eine defensive Haltung zu befürworten. Ganz im Gegenteil. Der Punkt ist, dass es die Vermeidung von Verlusten in der Regel wert ist, dass man sich entsprechend vorpositioniert. 

In der Nachkriegszeit hielt sich die durchschnittliche Hausse bei US-Aktien etwa 64 Monate lang und erzielte einen Gewinn von 163 %. Innerhalb von 15 Monaten nach dem Höchststand wurden über 50 % dieser Gewinne in der Regel wieder an die anschließende Baisse abgegeben1. Bisher ist der aktuelle Zyklus sowohl profitabler als auch 50 % länger als im Durchschnitt, mit Gewinnen in der Größenordnung von 300 % über einen Zeitraum von 98 Monaten.

Nun haben wir keine explizite Kenntnis darüber, wann die Hausse bei Aktien enden oder was tatsächlich schließlich ihr Ende auslösen wird. Unter Berücksichtigung dieser Einschränkung bestand unser Ansatz in den späteren Phasen eines Zyklus schon immer darin, unseren Schwerpunkt bei zunehmenden Marktrisiken über einen gewissen Zeitraum allmählich von Kapitalzuwachs auf Kapitalerhaltung zu verlagern. Dahinter steckt das Ziel, ein geringeres Risiko zu tragen, wenn der Markt seinen Höhepunkt erreicht, als dies bei einem Markttief der Fall ist.

Diese Übergangsphase (die allmählich eingeleitet wird) ist immer frustrierend und erfordert Disziplin und Geduld, da es sich so anfühlen kann, als sei wirklich alles, was man tut, falsch, wenn die Dynamik die Kurse kurzfristig in die Höhe treibt. Mit Blick auf einen vollständigen Zyklus erscheint sie jedoch absolut vernünftig, auch wenn es bedeutet, dass man riskiert, einen gewissen Teil an kurzfristiger relativer Wertsteigerung dafür zu opfern. 

„Wenn alle dasselbe denken, dann denkt keiner“ – Richard Russell, Gründer der Dow Theory Letters

Der Geldlawine nach zu urteilen, die sich derzeit in passive Anlagestrategien ergießt, ist unser Eindruck, dass viele Anleger heute, ob bewusst oder unbewusst, ein risikobehafteteres Verhalten an den Tag legen als gewöhnlich. Wir würden sogar behaupten, dass dies einige Märkte riskanter macht, als allgemein angenommen wird. 


Derzeit herrscht an allen Finanzmärkten ein falsches Gefühl der Sicherheit aufgrund der niedrigen Zinssätze. Viele Anleger glauben ganz offensichtlich, dass das Marktumfeld weitgehend positiv, sicher und scheinbar auf dem Weg zu stabilen zukünftigen Renditen ist. Wir sind in diesem Punkt eher vorsichtig, insbesondere, was die USA angeht.

Es lässt sich festhalten, dass heutzutage die Belohnung für die eingegangenen Risiken seit längerer Zeit ausgesprochen niedrig ist (oder anders ausgedrückt: die Bewertungen sind seit einiger Zeit sehr hoch). Es ist der kombinierte Einbruch (der durch die niedrigen Zinsen und die quantitative Lockerung noch gestützt wurde), der die Renditen während dieser Hausse vervielfacht hat. Wir vermuten, dass keine dieser Entwicklungen sich als strukturell oder permanent erweisen wird.

Vergleichbar mit der Situation Ende der 1990er-Jahre ist heute eine extreme Konzentration des Kapitals in den US-Märkten zu beobachten. Diese wurde wiederum teilweise durch einen Innovations- und Technologieboom angetrieben. Damals wie heute war der „Value“-Anteil der Märkte – ein langfristiger Anlageansatz, der vornehmlich auf Unternehmen abzielt, die unter ihrem wahren Wert bewertet werden – (relativ betrachtet) äußerst unpopulär.

Im bisherigen Jahresverlauf 2017 haben US-Aktien zum ersten Mal seit langer Zeit damit begonnen, hinter den internationalen Märkten zurückzubleiben. Aus Wertperspektive ist dies wohl einleuchtend und markiert möglicherweise nur den Anfang eines sich über mehrere Jahre erstreckenden Trends. Abgesehen von einer kurzen Episode Ende 1929 und dem Zeitraum von Februar 1997 bis August 2001 lagen die Bewertungen für US-Aktien noch nie höher als heute. Wenn man es vor dem Hintergrund eines vollständigen Zyklus aus betrachtet, erscheinen sie unattraktiv und könnten sich mit der Zeit als weitaus riskanter erweisen als derzeit angenommen.

„Wenn alle nach links gehen, sollte man nach rechts schauen“ – Sam Zell, Gründer und Präsident von Equity International

US-Aktien sind nicht der einzige Markt, bei dem wir davon ausgehen, dass die Bewertungen der Anleger überhöht sind. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass der US-Dollar seit 2011 ebenfalls eine Hausse verzeichnete, von der wir glauben, dass sie gerade ihren Höhepunkt erreicht. Und natürlich bewegen sich auch Anleihen seit 1981 in einer Hausse. Sie hat zu den heutigen Bewertungsniveaus geführt, die nur noch schwer nachzuvollziehen sind.

Wenn sich unsere Bemerkungen zu diesen drei wichtigen Anlageklassen als begründet erweisen, dann zeigt dies einige Möglichkeiten auf. Es unterstreicht zudem, warum einige traditionelle Lösungen für unser Kapitalerhaltungsproblem nicht mehr sinnvoll sein könnten:

10-jährige Staatsanleihen – ihre Rendite sank von einem Höchststand im Jahr 2007 in Höhe von 5,5 % auf knapp unter 3 % Anfang 2009. Diese Bewegung führte zu einer Gesamtrendite von ca. 30 % innerhalb von 18 Monaten, was entscheidend dazu beigetragen hat, die Verluste an den Aktienmärkten noch größeren Ausmaßes auszugleichen. Das Problem heute ist, dass die Renditen seit 2009 um weitere 80 % gesunken sind und ihre Talsohle im vergangenen Sommer bei 0,5 % erreicht haben. Es sei daran erinnert, dass die Rendite und der Kurs einer Anleihe negativ korreliert sind, weshalb der Wert der Anleihe steigt, wenn die Rendite fällt, und umgekehrt.

Theoretisch kann die Rendite einer Anleihe nicht unter 0 % absinken. Allerdings müssten die Renditen auf einen Wert von ca. -2 % fallen, damit Anleihen ein vergleichbares Renditeniveau bieten könnten wie während der letzten Baisse bei Aktien, die wir oben beschrieben haben. Ein solches Ergebnis würde höchstwahrscheinlich zu einem Bankrott des Finanzsektors führen. Daher bezweifeln wir, dass es jemals dazu kommen wird, weshalb andernorts nach Möglichkeiten zur Absicherung Ausschau gehalten werden muss.

Engagement in Fremdwährungen – Das Pfund fiel seit Ende 2007 und bis Ende 2008 um etwas über 30 %. Dies bot wiederum einen beträchtlichen Ausgleich für Verluste bei den überseeischen Vermögenswerten, die von britischen Anlegern gehalten wurden. Das Problem heute besteht darin, dass sich das Pfund nach der Abwertung im Anschluss an das Brexit-Votum wieder in der Nähe seiner Multi-Dekaden-Tiefstände bewegt und nicht mehr überbewertet erscheint. Auch hier denken wir, es dürfte schwierig sein, sich auf einen weiteren Rückgang der Währung zu verlassen, um von Auslandsbeständen wesentliche Impulse zu bekommen.

Obwohl es keine Garantie gibt, haben wir folgend einige Anlageklassen aufgeführt, bei denen wir denken, dass sie bei entsprechender Kombination über das Potenzial verfügen, im gegenwärtigen Umfeld nicht nur zum Erhalt von Kapital, sondern hoffentlich auch weiterhin zu einem soliden, risikobereinigten Zuwachs beizutragen:

Aktien in relativ schwachen Märkten – „Wertanlagen“, d. h. die Kunst, Aktien zu kaufen, die mit einem erheblichen Abschlag auf ihren eigentlichen Wert gehandelt werden, verzeichnen, relativ betrachtet, seit etwa einem Jahrzehnt eine Flaute. Unten finden Sie eine Tabelle, die das Verhältnis von US-Wachstumsaktien gegenüber dem MSCI World Value Index zeigt, der vor Kurzem seine „Technologieblasen“-Höchststände übertroffen hat. Obwohl natürlich die Wertentwicklung in der Vergangenheit keine Aussagen bezüglich zukünftiger Ergebnisse zulässt, wird aus dem Diagramm ersichtlich, dass Wertanlagen ausgehend von einem vergleichbaren Extrem im Jahr 2000 über viele Jahre hinweg eine drastisch bessere Entwicklung erzielen konnten. Bei unserem Aktienengagement bevorzugen wir auch weiterhin den wertorientierten Stil, und das zum Teil aus eben diesem Grund.Alternative Strategien – Es bleibt festzustellen, dass wir aus der Perspektive eines vollständigen Zyklus davon ausgehen, dass der wachstumsorientierte Stil derzeit aller Wahrscheinlichkeit nach mit mehr Risiko verbunden ist, als der wertorientierte Stil absolutes Aufwärtspotenzial bietet. Wir denken daher, dass ein guter Weg, diese Ausrichtung zu ergänzen, in Strategien liegt, die die Möglichkeit bieten, in fallenden Märkten positive Renditen zu erzielen. Dabei muss jedoch beachtet werden, dass solche Strategien zusätzliche Risiken mit sich bringen, da große Verluste entstehen können, wenn die Märkte nicht fallen, sondern steigen.
Gold – während der Phase der wirtschaftlichen Expansion, wenn die Ertrags- und Gewinnspannen sich erweitern, würde man erwarten, dass Vermögenswerte mit zunehmenden Cashflows besser abschneiden als Gold. In einem Umfeld jedoch, in dem die Gewinnspannen bereits sehr hoch sind, Anleiherenditen sich in der Nähe ihrer Allzeittiefs bewegen und der Dollar nicht mehr weit von seinem Höchststand entfernt ist, sind wir der Ansicht, dass Gold als Bestandteil eines diversifizierten Angebots interessanter ist und potenziell ein solides Aufwärtspotenzial bietet.

Barmittel – auch als „trockenes Pulver“ bekannt, haben in diesem Zusammenhang einen erheblichen Wert, und dies nicht nur aufgrund der Renditen, die sie derzeit erwirtschaften; sondern auch wegen der Möglichkeit, die sie Anlegern bieten, im Zuge steigender zukünftiger Renditen konstruktivere Positionen zu eröffnen. Vollständig in einem Haussemarkt investiert zu sein, fühlt sich großartig an. Demgegenüber fühlt es sich furchtbar an, vollständig in einem Baissemarkt investiert zu sein. Bis auf Weiteres könnten Barmittel eine Möglichkeit zur Senkung des Portfoliorisikos darstellen.Viele der Trends, auf die wir in diesem Kommentar kurz eingegangen sind, sind bereits seit Langem im Gange: die besonders gute Entwicklung der US-Aktien; der unablässige Rückgang bei den Anleiherenditen; die Hausse des Dollars sowie der relative Baissemarkt der aktiven Anlagestrategien, insbesondere solche mit Fokus auf Substanzwerte. Der typische Anleger gewöhnt sich daran und scheint sich mit der scheinbaren Beständigkeit dieser Trends abzufinden.

Wir sind der Meinung, dass dies genau der richtige Zeitpunkt ist, zu dem es aus Sicht eines vollständigen Zyklus den meisten Mehrwert bieten dürfte, aktiv, geduldig und diszipliniert zu agieren. Wir bleiben weiterhin wachsam, um von den Chancen zu profitieren, die sich möglicherweise bieten, wenn diese Trends allmählich zu einem Ende kommen.

US-Wachstumsaktien seit 1997

 

Es gilt zu beachten, dass die Wertentwicklung der Vergangenheit kein Hinweis für die Wertentwicklung in der Zukunft ist und sich möglicherweise nicht wiederholen lässt. Der Wert der Anlagen und der damit erzielten Erträge kann sowohl steigen als auch fallen. Zudem erhalten die Anleger den ursprünglich investierten Betrag möglicherweise nicht in vollem Umfang zurück. Alternative Anlagen, einschließlich Rohstoffe, bergen ein höheres Risiko und können mit einer höheren Volatilität und einer geringeren Liquidität als Aktien und Anleihen verbunden sein. Sie sollten nur als langfristige Anlage betrachtet werden.

 

Dieser Artikel ist am 25.07.17 auch auf schroders.com erschienen.

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