Schroders: Macron - Reformer wie Gerhard Schröder und Tony Blair
Der EU-freundliche, in der Mitte des politischen Spektrums stehende Emmanuel Macron feiert seinen Sieg bei der französischen Präsidentschaftswahl. Seine Reformagenda ist für das französische Wirtschaftswachstum ein positives Signal. Denn je geringer das politische Risiko ist, desto stärker können sich Investoren auf die Erholung der Unternehmensgewinne konzentrieren.10.05.2017 | 10:00 Uhr
(Foto: v.l.n.r.: Azad Zangana, Nicholette MacDonald-Brown, Philippe Lespinard)
Unsere Anlageexperten Azad Zangana, Senior European Economist, Nicholette MacDonald-Brown, Fund Manager European Equities und Philippe Lespinard, Co-Head Fixed Income, diskutieren über die Folgen seines Siegs für Wirtschaft und Märkte.
1. Was bedeutet das Wahlergebnis für die französische Wirtschaft?
Azad Zangana:„Emmanuel Macron ist ein unternehmensfreundlicher, gesellschaftlich liberaler Politiker. Er hat eine Bewegung aufgebaut, die die Spaltung Frankreichs in ein linkes und ein rechtes politisches Lager überwindet. Wir sehen in ihm einen Nachfolger von Reformern wie Gerhard Schröder in Deutschland oder Tony Blair in Großbritannien.
In Frankreich besteht ein großer Bedarf an Strukturreformen zur Stärkung der Wirtschaft. Macron will Maßnahmen zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit umsetzen. Hierzu zählen eine Herabsetzung der Unternehmenssteuern und eine Liberalisierung des Arbeitsmarkts. Letzteres ist besonders wichtig und könnte es für Unternehmen attraktiver machen, Arbeitnehmer einzustellen und wieder zu entlassen. Außerdem ist eine Prüfung der 35-Stunden-Woche vorgesehen.
Es ist fraglich, wie leicht Macron die Umsetzung solcher Reformen fallen wird. Im Juni stehen in Frankreich die Parlamentswahlen an und Macrons neu gegründete Bewegung En Marche! könnte Schwierigkeiten haben, ausreichend Sitze zu gewinnen. Möglicherweise führt das zu einer sogenannten Cohabitation, in der er mit einem republikanischen Premierminister zusammenarbeiten müsste. Das wäre ungewöhnlich, aber nicht vollkommen neu. Sofern sich im Parlament genügend reformorientierte Politiker finden, lässt sich mit Sicherheit eine Koalition bilden.“
2. Was sind die Folgen für das restliche Europa?
Azad Zangana:
„Macron ist leidenschaftlicher Pro-Europäer und dürfte die europäische Integration weiter voranbringen. Er hat sich in der Vergangenheit für eine Haushaltsüberwachung durch die EU ausgesprochen und befürwortet unter Umständen auch einen gemeinsamen Haushalt und eine europaweite Risikoverteilung. Das sind aus dem Blickwinkel des Risikomanagements alles hervorragende Maßnahmen, die jedoch nicht von allen EU-Mitgliedern befürwortet werden. Aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive und unter Risikogesichtspunkten ist sein Sieg jedoch positiv zu bewerten.“
3. Wie werden die Börsen auf Macrons Sieg reagieren?
Nicholette MacDonald-Brown:
„Wir gehen davon aus, dass die europäischen Börsen das Wahlergebnis positiv aufnehmen und sich der Aufwärtstrend weiter fortsetzt. Macrons proeuropäische und wirtschaftsfreundliche Haltung ermöglicht es Aktienanlegern, sich auf die anhaltende wirtschaftliche Erholung zu konzentrieren, anstatt sich über ein Scheitern des Euro Sorgen machen zu müssen. Die Aktienbewertungen sind in Europa noch immer äußerst attraktiv, und zwar sowohl in absoluten als auch in relativen Werten. Auch das Ertragswachstum verbessert sich. Die zurückliegende Ertragssaison im ersten Quartal ist die beste, die Europa in den vergangenen sieben Jahren erlebt hat. Viele Unternehmen übertreffen ihre Absatz- und Gewinnprognosen. Deshalb glauben wir, dass europäische Aktien für Anleger eine attraktive Chance darstellen. Mit Blick auf Frankreich dürften die Arbeitsmarktreformen Macrons vor allem dem öffentlichenSektor zugutekommen.
Wir sehen auch Spielraum für einen erhöhten Kapitalstrom in europäische Titel, da die durch politische Risiken verursachte Angst nun ausgeräumt ist. Anleger, die bislang nur zugeschaut haben, können sich wieder auf den europäischen Aktienmarkt wagen.“
4. Wie werden die Währungs- und Anleihemärkte reagieren?
Philippe Lespinard:
„Was Währungen betrifft, so ändert sich durch die Wahl eigentlich nichts. Die französische und die italienische Wirtschaft sind die Schlusslichter Europas. Daran dürfte sich auf kurze Sicht kaum etwas ändern.In den Anleihemärkten könnten die Auswirkungen deutlicher zu spüren sein. Die Banque de France hat erfolgreich die Schwankungen französischer Anleihen bekämpft, so dass die europäische Zentralbank nun nicht mehr unter einem so großen Druck steht, intervenieren zu müssen.
Deutsche und US-Staatsanleihen wurden mit Aufschlägen ausgestattet, da große institutionelle Investoren aus Asien und dem mittleren Osten keine französischen Anleihen mehr kaufen wollten.
Nun werden sie ihre Kauftätigkeit fortsetzen und ihre Risikoexposition wieder in neutrales Gelände zurückführen. Dadurch werden die Prämien auf deutsche und US-Staatsanleihen wegfallen. Das kommt auch den Renditespannen zugute, obwohl in Frankreich keine wesentlichen Emissionen anstehen.
Allgemein gehen wir davon aus, dass Macrons stark europa- und reformorientierte Haltung zu einer Stärkung der französischen Wirtschaft beitragen und es Frankreich ermöglichen wird, zur europäischen Wachstumsrate aufzuschließen. In diesem Fall erwarten wir, dass französische Anleihen gut abschneiden werden. Was Unternehmensanleihen angeht, so dürften französische Finanzwerte zu den größten Gewinnern zählen, da sich ihre Renditespannen fortan verengen werden.“
5. Was sind die weiteren politischen Risiken in Europa?
Azad Zangana:
„Das nächste politische Großereignis sind die britischen Parlamentswahlen am 8. Juni. Diese dürften jedoch lediglich zu einem noch konservativeren Parlament führen. Am 29. September folgen dann die Wahlen in Deutschland, die aber ebenfalls nur ein geringes Risiko bergen. Vielleicht verliert Angela Merkel die Wahl – wenn überhaupt, dann aber höchstens an ihren Koalitionspartner. Somit besteht für die Anleger kein erhöhtes Risiko. Eine größere Gefahr für die Stabilität Europas ist Italien, wo im Mai nächsten Jahres gewählt wird. Die elitenfeindliche Fünf-Sterne-Bewegung unter der Führung des früheren Komikers Beppe Grillo liegt in den Umfragen weiter vorne. Die Partei verfolgt keine wirkliche Ideologie, hat sich zuletzt aber für einen Austritt aus dem Euro ausgesprochen.“
6. Wohin steuern die Populisten jetzt?
Nicholette MacDonald-Brown:
„Eine Zeitlang war die Politik das größte Risiko für europäische Aktienwerte. Im Gegensatz zur Krise der Jahre 2011 und 2012 sind sich die Finanzinstitute der grenzübergreifenden Risiken nun aber viel bewusster und können sie besser steuern. Das politische Risiko wird nie ganz verschwinden, die Märkte sind jedoch besser darin geworden, dieses Risiko einzupreisen.“
Philippe Lespinard:
„Der Populismus würde verschwinden, wenn die Menschen, die sich selbst zu den Abgehängten zählen, gehört fühlen würden. In vielerlei Weise waren die ersten 100 Tage der Regierung Trump für den Populismus eher schädlich. Sollte es Macron gelingen, seine Reformen in Frankreich umzusetzen, stehen die Chancen gut, dass der herrschende Pessimismus durch einen neuen Optimismus verdrängt wird.
Das könnte sich auch auf andere Länder übertragen. Wir beobachten, dass Macron in wichtigen Bereichen dem Italiener Matteo Renzi ähnelt. Falls Macron mit seinem Reformplan in Frankreich Erfolg hat, könnte das auch Renzi helfen, der nach einem verlorenen Verfassungsreferendum als Premierminister zurückgetreten ist.“
7. Was bedeutet der Sieg Macrons für den Brexit?
Azad Zangana:
„Macron hat sich zum Brexit bislang nicht besonders deutlich geäußert. Er steht jedoch für eine Stärkung der europäischen Institutionen. Wir haben den Eindruck, dass er die Bedeutung der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Frankreich und Großbritannien erkennt und ein Rückgriff auf den Protektionismus mit ihm eher unwahrscheinlich ist.“
Philippe Lespinard:
„Man sollte ergänzen, dass Macron über einige äußerst erfahrene Berater zu europapolitischen Fragen verfügt, so dass er in diesem Bereich gut informiert ist. Frankreich und Großbritannien verbindet eine besonders enge Beziehung in den Bereichen Energie und Verteidigung. Aus diesem Grund wäre Frankreich für Großbritannien in den Brexit-Gesprächen wohl ein guter Partner. Natürlich verhandeln die Briten nicht mit Frankreich, sondern mit der EU; doch die engen Verbindungen in solch wichtigen Bereichen könnten größere „Unfälle“ im Zuge des Brexit verhindern helfen.“
8. Was sind die Folgen für die europäische Bankenunion und die Finanzmärkte?
Azad Zangana:
„Macron befürwortet eine stärkere Integration, so dass es beim Thema Bankenunion zu weiteren Fortschritten kommen könnte. Vor allem die Deutschen bremsen hier wegen der Einlagensicherung. Hoffentlich gibt es nun einen stärkeren Willen, die Bankenunion zum Abschluss zu bringen.“
Philippe Lespinard:
„Deutschland hat kaum Interesse an einer Bankenunion, solange Länder wie Frankreich und Italien notwendige Reformen nicht umsetzen. Wenn Macron seine Reformpläne durchsetzen kann und Italien im nächsten Jahr möglicherweise folgt, können wir hier weitere erwarten.
Möglicherweise könnten die bestehenden Blockaden in der Europapolitik überwunden werden, wenn es Macron – und möglicherweise Renzi – gelänge, gleichzeitig vergleichbare Reformen umzusetzen.“
Nicholette MacDonald-Brown:
„Mit Blick auf den Aktienmarkt stellen wir fest, dass Bankaktien seit dem vierten Quartal 2016 sehr gut abgeschnitten haben. Die Bewertungen haben zugelegt, doch dieses Wahlergebnis könnt sich positiv auf den Sektor auswirken.“
9. Hat man das Ergebnis am Markt bereits eingepreist?
Nicholette MacDonald-Brown:
„Die Börsenreaktion ist bislang verhalten ausgefallen; zum Teil hat man das Ergebnis also bereits seit der ersten Wahlrunde eingepreist. Vor diesem Hintergrund ist das Risiko extremer Verluste inzwischen eliminiert worden. Angesichts der deutlichen Erholung der Unternehmensgewinne in Europa gehen wir davon aus, dass die Kurssteigerungen europäischer Aktien anhalten werden.“
Philippe Lespinard:
„Auf dem Rentenmarkt dürfte die Differenz zwischen französischen und deutschen Anleihen nun wieder auf das übliche Niveau zurückkehren. Wie bereits erwähnt gehen wir davon aus, dass der „Sicherheitsaufschlag“ für deutsche und US-Staatsanleihen wieder verschwindet.“
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