„Schwellenländeranleihen bleiben attraktiv“

FundResearch sprach mit Steven Nicholls, Rentenexperte bei Aberdeen, über das Risiko von Schwellenländerinvestments.

22.05.2013 | 07:45 Uhr von «Patrick Daum»

FundResearch: Herr Nicholls, Sie sind Rentenexperte für die Emerging Markets bei Aberdeen. Die Schwellenländerstory wird nun seit einiger Zeit erzählt. Im vergangenen Jahr wurde jedoch immer wieder vor einer Abschwächung des Wachstums gewarnt. Wie riskant sind Investments in Rentenfonds aus den Schwellenländern wirklich?

Steven Nicholls: Ich bin der Ansicht, dass es tatsächlich weit weniger risikoreich ist, in Schwellenländer-Anleihen zu investieren als in solche aus den entwickelten Ländern wie den USA, Großbritannien oder Europa. Während es zu einer signifikanten Verbesserung der Schuldensituation in den Schwellenländern kam, hat sich diese in den Industriestaaten deutlich verschlechtert. Die öffentlichen Schulden in den Emerging Markets liegen deutlich unter 40 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Zum Vergleich: In den entwickelten Staaten liegen sie bei mehr als 100 Prozent, und in manchen Fällen – zum Beispiel Japan – um einiges höher.

Die „Abschwächung“, die Sie ansprechen, betrifft eher die Welt als Ganze.  Es gibt starke Wachstumsunterschiede zwischen den Industriestaaten und den sich entwickelnden Volkswirtschaften: Schwach in der entwickelten Welt und proportional stärker in den aufstrebenden Regionen. Zur gleichen Zeit führen die Industriestaaten (mit Ausnahme der USA) Sparmaßnahmen ein, um ihre Schulden zu senken. Typischerweise durch höhere Steuern während gleichzeitig versucht wird, die Binnennachfrage durch beispiellose Notenbankprogramme anzukurbeln. Auch bekannt als „Geld drucken“.

Der vom Internationalen Währungsfonds (IWF) im April veröffentlichte Weltwirtschaftsausblick stellte fest, dass sich die „globalen Wirtschaftsaussichten wieder verbessert haben, aber der Weg zur Erholung in den entwickelten Volkswirtschaften steinig bleibt“. Der IWF erwartet ein Weltwirtschaftswachstum von 3,25 Prozent in 2013 und vier Prozent in 2014. Dabei kommt es zu einer „schrittweisen Beschleunigung in den entwickelten Volkswirtschaften zu Beginn des zweiten Halbjahres 2013“, wohingegen es „in den Schwellenländern und aufstrebenden Volkswirtschaften bereits Fahrt aufgenommen hat.“

Das sind zweifellos sehr gute Nachrichten für die globale Wirtschaft als Ganzes und insbesondere für die Schwellenländer. Dort wird stärkeres relatives Wachstum erwartet, was diese Staaten durch höhere Steuereinnahmen in den kommenden Jahren finanziell besser dastehen lässt.

FundResearch: In den vergangenen Jahren haben sich Rentenfonds, die in den Emerging Markets investieren, gut entwickelt. Haben Anleger, die jetzt noch nicht investiert sind, den Zeitpunkt verpasst?

Steven Nicholls: Nein. Ich glaube nicht, dass Anleger die Gelegenheit verpasst haben, in Schwellenländeranleihen zu investieren. Andererseits ist es unwahrscheinlich, dass sich die zweistelligen Renditen aus den vergangenen beiden Jahren wiederholen werden. Die Rendite der in US-Dollar denominierten Anleihen lag nach Angaben von JP Morgan Ende April 2013 bei 4,5 Prozent, was immer noch eine Überrendite von 2,8 Prozent relativ zu US-Staatsanleihen darstellt. In der Vergangenheit waren die Spreads mit 1,5 Prozent in 2007 schon deutlich enger. Der derzeitige Spread von 2,8 Prozent ist attraktiv für Staaten, die geringere Schuldenstände und ein stärkeres erwartetes Wachstum aufweisen.

FundResearch: Was erwarten Sie von den sogenannten „Frontier Markets“? Werden Sie sich ähnlich entwickeln wie die Schwellenländer?

Steven Nicholls: Ja, es lässt sich eine Entwicklung der „Frontier Markets“ im Bereich der Schwellenländeranleihen erkennen. Man kann den Frontier-Rentenmarkt als die Small-Cap-Komponente des Schwellenländeranleiheuniversums betrachten. Dort sind nämlich wesentliche Bestandteile der Hauptindizes vorhanden, typischerweise ertragreichere und solche, die weniger liquide sind, aber mit einer niedrigeren öffentlichen Verschuldung und einem geringeren Haushaltsdefizit im Vergleich zu den entwickelten Volkswirtschaften. Anleger, die sich mit den Schwellenländern vertraut gemacht haben, versuchen nun in bestimmte Lokalwährungen, Unternehmensanleihen und Frontier Markets zu investieren. Aberdeen hat bereits Pläne, noch in 2013 einen Schwellenländeranleihefonds für Frontier Markets aufzulegen.

FundResearch: Die beiden Aberdeen Fonds „Select Emerging Markets Bond Fund“ und „Emerging Markets Corporate Bond Fund“ zeigen starke Entwicklungen mit Sharpe Ratios jenseits von 1,0 und vergleichsweise niedriger Volatilität. Bitte beschreiben Sie den Investmentansatz.

Steven Nicholls: Aberdeen ist bekannt als ein Schwellenländer-Investmentmanager, der sowohl in Renten als auch in Aktien seine Expertise hat. Wir haben weltweit über 70 Investment Professionals, die über 140 Milliarden US-Dollar in Schwellenländer-Assets verwalten, davon zwölf Milliarden in Renten. Insgesamt betreiben wir unser Research für über 60 Länder und über 1.000 Unternehmen auf jährlicher Basis.

Der Investmentprozess beginnt mit einem umfangreichen Fundamentalresearch. Das ist die Grundlage unseres Prozesses. Für die jeweiligen Länder und Unternehmen schätzen wir sowohl die Zahlungsbereitschaft als auch die Zahlungsfähigkeit der Emittenten ein. Bei Staaten ist die Zahlungsbereitschaft mit politischen Risiken, dem Willen nach strukturellen Reformen und der Geld- und Steuerpolitik verbunden. In Bezug auf die Zahlungsfähigkeit werden insbesondere die zugrundeliegenden Wirtschaftsdaten betrachtet. Sowohl die historischen als auch die zukünftigen.

Der nächste Schritt ist, die technischen Marktfaktoren zu verstehen: Wer dominiert den Markt und wie beeinflussen diese Marktteilnehmer die Preise? Wir konzentrieren uns auf unsere Prognosen für die jeweiligen Marktkomponenten; Hart- und Lokalwährungsanleihen sowie die Währung und identifizieren, was wir vernünftiger Weise erwarten können und wo die Risiken liegen.

Die Renditeerwartungen und der potenzielle Draw-Down für jedes Land werden untereinander verglichen. Staaten mit hoher Renditeerwartung werden bevorzugt, während wir Länder mit niedrigen Renditen und höherem Risiko meiden. Wir versuchen in solche Länder und Währungen zu investieren, wo wir das zugrunde liegende Risiko adäquat vergütet bekommen.

Bei der Portfoliokonstruktion fließen all diese Überlegungen schließlich zusammen. Das Ziel ist eine breite Diversifizierung über 25 Ländern und über 100 Einzeltitel.

FundResearch: Wie schätzen Sie die Entwicklung der Emerging Markets in der nahen Zukunft ein?

Steven Nicholls: Ich schätze die Aussichten für den Schwellenländeranleihemarkt sehr positiv ein. Der Markt weist deutlich bessere Fundamentaldaten als die entwickelten Märkte auf. Renten in den Emerging Markets sind eine rapide wachsende Assetklasse, die vorwiegend Investmentgrade-Bewertungen aufweist. Die Zuflüsse sind strukturell und sollten konstant bleiben, da Anleger weiterhin nach höheren Renditen suchen. Ich glaube, dass Schwellenländeranleihen weiterhin attraktiv bleiben.

Steven Nicholls kam 2011 zu Aberdeen Asset Management und ist heute Leiter des Rentenbereichs und Portfoliomanager. Zudem verantwortet er die Betreuung und Vermarktung der Rentenprodukte von Aberdeen.

Die Fonds im Überblick

Die beiden Aberdeen-Fonds Emerging Markets Corporate Bond (ISIN: LU0566480033) und Select Emerging Markets Bond Fund (ISIN: LU0376989207) kommen im Jahr 2013 noch nicht richtig in die Gänge. Der Durchschnitt der FINANZEN FundAnalyzer (FVBS)-Peergroup „Rentenfonds Emerging Markets“ zeigt für die ersten vier Monate des Jahres eine Wertentwicklung von 2,17 Prozent. Der im März 2011 aufgelegte Corporate Bond Fonds hingegen rangiert derzeit bei einem Plus von 0,19 Prozent. Das vergangene Jahr schloss er mit 10,40 Prozent. Er hat ein Volumen von ca. 150 Millionen Euro. Mit einer Volatilität von 7,53 Prozent über zwei Jahre gehört er zu den risikoreicheren Produkten der Peergroup. Die Sharpe Ratio von 1,01 ist ordentlich.

Das Fondsmanagement-Team von Aberdeen investiert ein Drittel des Fondsvolumens in lateinamerikanische Schwellenländer (Stand: Mai 2013). 29 Prozent entfallen auf Asien und 23,2 Prozent auch Osteuropa. Finanzdienstleister machen knapp 31 Prozent des Portfolios aus und sind damit am stärksten gewichtet. Energietitel hält der Fonds zu 13,1 Prozent, Werkstoffe sind zu 11,5 Prozent vertreten.

Der Select Emerging Markets Bond Fund schafft es zwar 2013 bisher ebenfalls nicht, die Peergroup zuschlagen. Er performte in den ersten vier Monaten mit 0,51 Prozent. Im vergangenen Jahr war jedoch deutlich stärker und schaffte ein Plus von 18,61 Prozent. Der Katgeoriedurschnitt erreicht hingegen 13,31 Prozent. Über zwei Jahre zeigt der Fonds eine Schwankung von 8,76 Prozent und ist damit noch etwas risikoreicher als der Corporate Bond Fund. Die Sharpe Ratio ist mit 1,05 etwas besser. Das Volumen des Fonds, der im Juli 2007 aufgelegt wurde, beträgt derzeit etwa 2,4 Milliarden Euro.

Fondsmanager Brett Diment und sein Team investieren auf Länderebene mit 9,7 Prozent am stärksten in Mexiko (Stand: 31. März 2013). Brasilien ist mit 9,5 Prozent gewichtet. Russland kommt auf 6,6 Prozent. Über die Branchenallokation macht die Fondsgesellschaft keine Angaben.

Aberdeen-EM-Rentenfonds: Starker Anstieg seit Ende 2011

Quelle: FINANZEN FundAnalyzer (FVBS)

(PD)

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