„Schwellenländerwährungen werden real und nominal aufwerten“

Titel der Publikation: Langfristiges Szenario für Schwellenländerwährungen
Veröffentlichung: 09/12
Autor: Stefan Horichter
Auftraggeber: Allianz Global Investors (Website)
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Im vergangenen Jahrzehnt haben die Währungen zahlreicher Schwellenländer gegenüber Industrieländern aufgewertet.

28.09.2012 | 14:25 Uhr

Der chinesische Renminbi (RMB) notierte zu Beginn des Jahrtausends bei 8,28 gegenüber dem US-Dollar (USD). Ende August 2012 lag er dagegen bei rund 6,35. Bei anderen asiatischen Währungen ist eine ähnliche Entwicklung zu verzeichnen. Das geht aus der Studie „Langfristiges Szenario für Schwellenländerwährungen“ hervor, die Stefan Hofrichter, Leiter der Abteilung Volkswirtschaft und Strategie bei Allianz Global Investors kürzlich veröffentlichte. „Der Singapur-Dollar hat von einem Stand von rund 1,85 vor zehn Jahren bis August 2012 auf 1,25 aufgewertet, der koreanische Won von etwa 1.300 auf etwa 1.100, der thailändische Baht, der während der Asien-Krise 1997 deutlich abwertete, von etwa 45 auf rund 31“, beschreibt Hofrichter nur einige Beispiele. Die Aufwertung sei nicht nur auf Schwellenländer in Asien beschränkt: Der brasilianische Real notiere per August 2012 bei zwei. Zehn Jahre zuvor habe er noch bei 3,7 gelegen. Auch der chilenische und kolumbianische Peso hätten im vergangenen Jahrzehnt erheblich aufgewertet.

Schwellenländerwährungen gegenüber dem US-Dollar

In seiner Studie befasst sich Hofrichter mit langfristigen Tendenzen, um eine Prognose für die Schwellenländerwährungen zu geben. Dafür müsse herausgefunden werden, wo der wahre und faire Wert einer Währung liege. „Normalerweise wird der langfristige ‚faire‘ Wechselkurs für zwei Währungen ermittelt, indem der Kurs an den Devisenmärkten mit der Kaufkraftparität verglichen wird“, erläutert der Autor. „Die Kaufkraftparität ist der implizite Wechselkurs, bei dem dieselbe Menge an Geld benötigt wird, um in zwei unterschiedlichen Ländern dieselben Güter und Dienstleistungen zu erwerben.“ Das Konzept basiere auf dem Gesetz des einheitlichen Preises, dem zufolge der Preis für identische Güter und Dienstleistungen unter Berücksichtigung des Wechselkurses gleich sein sollte, sofern keine Handelsbarrieren oder Transaktionskosten vorhanden sind. „Wenn das inländische Preisniveau im Vergleich zum Ausland ansteigt, wertet die inländische Währung ab, weil mehr Einheiten der ausländischen Währung benötigt werden, um denselben Korb mit Gütern zu erwerben“, so Hofrichter. Das Gleiche gilt auch umgekehrt für Aufwertungen. Die heimische Währung werte allerdings nur nominal auf, wenn sie auch am Devisenmarkt gegenüber ausländischen Währungen teurer wird. Da dies aus verschiedenen Gründen nicht immer vorkomme, sei zwischen nominaler und realer Aufwertung stets zu unterscheiden.

Die reale Aufwertung, die die Schwellenländerwährungen in den vergangenen zehn Jahren durchschritten haben, könne auf verschiedene Arten stattgefunden haben: „Theoretisch ist es möglich, dass der nominale Wechselkurs aufwertete, während das relative Preisniveau in einem Schwellenland gegenüber den USA unverändert blieb“, sagt Hofrichter. „Ebenso könnte die kumulierte Inflation in einem Schwellenland im Durchschnitt um rund 15 Prozent höher ausgefallen sein als in den USA, während sich der nominale Wechselkurs nicht bewegte.“ Für am wahrscheinlichsten hält es der Experte aber, dass eine Kombination aus unterschiedlichen relativen Inflationsraten und nominalen Wechselkursbewegungen verzeichnet wurden. Insgesamt kommt Hofrichter zu dem Schluss, dass Schwellenländerwährungen gemessen an der Kaufkraftparität unterbewertet seien, diese Unterbewertung sich im Zeitablauf aber verringert habe.

Um die künftige reale Aufwertung abschätzen zu können, zieht Hofrichter das wirtschaftstheoretische Konzept des Balassa-Samuelson-Effekts heran. Angenommen eine Volkswirtschaft bestehe nur aus den zwei Sektoren handelbare Güter (z.B. Industriegüter) und nicht handelbare Güter (z.B. Frisörleistungen): „Die Produktivität im Industriegütersektor – in dem Schwellenländer gewöhnlich die Marktpreise akzeptieren müssen – ist in Schwellenländern in der Regel geringer als in Industrieländern, weil z.B. die verwendete Technologie älteren Datums ist als in den Industrieländern“, erläutert der Autor. Bei der Frisörleistung sei die Produktivität hingegen ähnlich hoch wie in den Industrieländern. Da der Industriegütersektor jedoch als wichtiger für die Wirtschaft angesehen werde, bestimme er auch das Lohnniveau. Für die Löhne sei dies insofern von Bedeutung, als Arbeitskräfte entsprechend der Grenzproduktivität im Industriegütersektor bezahlt würden. „Dementsprechend sind die Löhne für Frisörleistungen und logischerweise auch im Schwellenland insgesamt niedriger als in den Industrieländern“, sagt Hofrichter. Das insgesamt niedrigere Lohnniveau wirke sich wiederum auf das Preisniveau aus. „Die Preise für handelbare Güter entsprechen internationalem Niveau, wohingegen nicht handelbare Güter in Schwellenländern billiger sind als in Industrieländern, weil die Löhne niedriger sind“, so der Allianz-Experte. Dementsprechend sei das Preisniveau in Schwellenländern systematisch niedriger als in Industrieländern und die Währung dadurch systematisch unterbewertet, da der Wechselkurs lediglich auf handelbare und nicht auf nicht handelbare Güter abstelle. Hofrichters Analyse, dass Währungen von Schwellenländern unterbewertet sind, werde durch dieses wirtschaftstheoretische Konzept untermauert.

Auch das Ergebnis, dass Schwellenländer im Zeitablauf real aufwerten, werde vom Balassa-Samuelson-Effekt bestätigt: „Im Zeitablauf holen die Schwellenländer auf und die Produktivität im Sektor für handelbare Güter steigt an“, sagt Hofrichter. Die Produktivitätszuwächse seien in den Schwellenländern natürlich größer, da diese zu den Industrienationen aufschließen. „Die Löhne legen daher im Sektor für handelbare Güter stärker zu als in den Industrieländern, so dass infolgedessen auch das Lohn- und Preisniveau in den Schwellenländern insgesamt ansteigt.“ Real werteten die Schwellenländerwährungen also auf. Wie stark Hofrichter dies erwartet, ist der folgenden Tabelle zu entnehmen.

Erwartete reale Aufwertung der Schwellenländerwährungen

Beratern empfiehlt Hofrichter aber, für Anleger in Schwellenländer-Vermögenswerte auf die nominale Aufwertung zu achten. Diese sei von größerer Bedeutung als die reale: „Wenn z.B. der RMB gegenüber dem USD oder dem Euro abwertet, aber real wegen einer höheren Inflationsrate aufwertet, verlieren internationale Anleger Geld.“ Langfristig hält es der Volkswirt jedoch für wahrscheinlich, dass sich die reale Aufwertung zu einem großen Teil in der nominalen niederschlagen werde: „Wenn die reale Aufwertung dauerhaft nur zu höheren Inflationsraten führt, ist damit zu rechnen, dass der wirtschaftliche, politische und soziale Druck in den Schwellenländern zunimmt.“ Eine nominale Aufwertung trage dazu bei, den Inflationsdruck zu verringern und eine wahrscheinliche Konjunkturüberhitzung zu vermeiden. Genau dies sei im vergangenen Jahrzehnt in China zu beobachten gewesen. Hofrichter geht nicht davon aus, dass sowohl die reale als auch die nominale Aufwertung linear ablaufen werden. „Genau wie der Yen jahrelang nominal gegenüber dem USD abgewertet hat und gleichzeitig langfristig insgesamt aufwertete, hat der RMB in jüngster Zeit leicht gegenüber dem USD abgewertet, und verschiedene andere Schwellenländerwährungen haben seit Beginn der Finanzkrise beträchtlich an Wert gegenüber dem USD verloren.“ Dies liege zum einen an einer steigenden Risikoaversion, die nach der Finanzkrise dazu geführt habe, dass Mittel aus als riskant geltenden Schwellenländern abgezogen wurden. Zum anderen machten Zinssenkungen in den Schwellenländern Carry-Investitionen weniger attraktiv und schließlich nutzten Einwohner der Schwellenländer die Liberalisierung bzw. die Internationalisierung ihrer Finanzmärkte zum Transfer von Vermögenswerten ins Ausland. Zusätzlich könnten inflationäre und deflationäre Preisschocks in den Schwellenländern leicht das inländische Preisniveau und die nominalen Wechselkurse beeinflussen. Dennoch ist Hofrichter der Auffassung, „dass sowohl wirtschaftstheoretische Überlegungen als auch empirische Daten für die Erwartung sprechen, dass die Schwellenländer in den kommenden Jahren sowohl real als auch nominal aufwerten werden.“

Geschätzte reale und nominale Aufwertung gegenüber dem US-Dollar


 


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