Spanische Banken brauchen wohl Sicherheitsnetz der Eurozone

Man sollte sich nicht durch einige mäßig erfolgreiche Auktionen von spanischen Staatsanleihen täuschen lassen, meint Robeco-Chefvolkswirt Léon Cornelissen. Spanien wird wohl kaum an einem Rettungspaket vorbeikommen.

25.04.2012 | 10:14 Uhr

Die spanische Regierung hat am 17. April Anleihen mit 12- und 18-monatiger Laufzeit im Betrag von 3,2 Mrd. Euro erfolgreich platziert. Sie hat es auch geschafft, zwei Tage später Staatsanleihen mit zwei- bzw. zehnjähriger Laufzeit im Gesamtvolumen von weiteren 2,5 Mrd. Euro am Markt unterzubringen. Diese mäßig erfolgreichen Anleihe-Auktionen bedeuten aber nicht, dass die jüngste Verschärfung der Euro-Krise, in deren Mittelpunkt Spanien steht, vorüber ist.
 
Das spanische Haushaltsdefizit ist immer noch da. Die daniederliegende Wirtschaft des Landes zeigt keine Anzeichen einer Verbesserung. Die von der konservativen Regierung unter Ministerpräsident Mariano Rajoy verabschiedeten Sparmaßnahmen im Volumen von 27 Mrd. Euro werden die Wirtschaft vermutlich weiter in die Rezession treiben. Das angeschlagene Bankensystem des Landes ist nicht gestärkt worden. Kurz gesagt, ist es immer noch wahrscheinlich, dass Spanien irgendeine Art von Rettungspaket benötigen wird.
 
Nach Meinung von Léon Cornelissen müssen Spaniens Banken letztlich vom Sicherheitsnetz der Eurozone aufgegangen werden. Das heißt, Spanien wird sich schließlich gezwungen sehen, die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) oder deren dauerhaften Nachfolger, den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM), um Geld zu bitten, um die Kapitalausstattung seiner Banken zu verbessern. Möglich - wenngleich weniger wahrscheinlich - ist, dass auch das Land selbst diesen Weg beschreiten muss.
 
Spaniens Wirtschaft liegt am Boden
"Die spanische Wirtschaft ist in desolater Verfassung", meint Cornelissen. Sie befindet sich bereits in einer Rezession und wird dieses Jahr voraussichtlich um 1,7 % schrumpfen. Die Arbeitslosenquote beträgt 23 %, und die Jugendarbeitslosigkeit ist mit ca. 50 % mehr als doppelt so hoch. Am schlimmsten überhaupt ist das Haushaltsdefizit, das sich auf 8,5 % des BIP beläuft. Da wundert es nicht, dass Cornelissen die Wirtschaft Spaniens "am Boden" sieht.
 
Da eine Abwertung der Währung - das übliche Mittel in einer so schwierigen Situation - nicht möglich ist, solange Spanien in der Eurozone bleibt, wird eine so genannte "interne Abwertung" umgesetzt. D. h., es wird versucht, die Wettbewerbsfähigkeit des Landes durch Kürzung von Löhnen und Gehältern, Renten und Staatsausgaben zu steigern. Solche Sparmaßnahmen sind aber nicht nur äußerst unpopulär, sondern verschärfen auch die ohnehin prekäre Wirtschaftslage.
  
Die Sparmaßnahmen sind nicht glaubwürdig
Es ist ohnehin nicht wahrscheinlich, dass die spanische Regierung die von ihr beschlossenen ehrgeizigen Sparziele erreichen wird. Rajoy hat sich mit der EU darauf verständigt, die Neuverschuldung des Landes 2012 und 2013 auf 5,3 % bzw. 3 % des BIP zu begrenzen. Diese Ziele sind praktisch nicht zu erreichen, ohne das soziale Gefüge des Landes zu zerstören. "Sie sind schlicht und einfach nicht glaubwürdig", urteilt Cornelissen.
 
"Es wird schwierig werden für Spanien", fährt er fort.  "Die Märkte werden sagen, dass es Spanien in dieser verzweifelten wirtschaftlichen Situation kaum schaffen kann." Deshalb wird wahrscheinlich ein Teufelskreis in Gang kommen. Angesichts steigender Anleiherenditen (bei Drucklegung des vorliegenden Artikels hatten sie bereits wieder die 6-Prozent-Marke überschritten) wird die Zahlungsfähigkeit des Landes zunehmend in Frage gestellt werden. Und wenn dies geschieht, werden die Renditen wahrscheinlich noch weiter steigen.
 
Welche Optionen bleiben Europas Politikern, wenn die Zinskosten für Spanien wieder auf untragbare Höhen klettern?
  
Die EZB hat keine Eile damit, spanische Staatsanleihen am Sekundärmarkt aufzukaufen
Eine Option für die EZB wäre, über ihr Programm für die Wertpapiermärkte (Securities Markets Program - SMP) spanische Staatsanleihen am Sekundärmarkt aufzukaufen, um so die Renditen auf einem tragbaren Niveau zu halten. Im Rahmen des SMP haben die Euro-Währungshüter seit Mai 2010 bereits für über 200 Mrd. Euro Staatsanleihen von Peripherieländern der Eurozone aufgekauft.
 
Seit der Marktberuhigung nach Auflegung ihrer beiden langfristigen Refinanzierungsprogramme im Gesamtvolumen von 1 Billion Euro im Dezember und Februar hat die EZB allerdings keine weiteren Staatsanleihen gekauft. In diesem Jahr hat die EZB bislang lediglich für 7,4 Mrd. Euro Staatsschulden aufgekauft.
 
Viele hoffen auf ein erneutes Eingreifen der EZB. Die Äußerung von EZB-Ratsmitglied Benoit Coeuré, dass es das SMP-Programm "immer noch gibt", hat Spekulationen angeheizt, auch wenn EZB-Vertreter aus nördlichen EWU-Kernländern diesbezüglichen Vorschlägen eine Abfuhr erteilt haben.
 
Cornelissen glaubt, dass die EZB es überhaupt nicht eilig hat, spanische Anleihen zu kaufen.
 
Die EZB will, dass die Politiker ihren Teil der Arbeit machen
Zum einen ist die EZB der Meinung, dass sie ihren Teil zur Lösung der Krise beigetragen hat. Und sie will, dass die Politiker der Eurozone jetzt das ihre tun, indem sie weitreichende Reformen umsetzen. Schließlich sind höhere Anleiherenditen ein starker Handlungsanreiz. Warum sollten Politiker unpopuläre Entscheidungen treffen, solange sich ihre Länder dank relativ niedriger Anleiherenditen zu vertretbaren Kosten refinanzieren können?
 
Cornelissen verweist auch darauf, dass eine erneute Intervention durch die EZB unangenehme Nebenwirkungen hätte. Das 200 Mrd. Euro schwere Umschuldungspaket für Griechenland, bei dem die EZB auf die von ihr gehaltenen griechischen Staatsanleihen keine Abschreibungen vornehmen musste, hat nach Cornelissens Auffassung deutlich gemacht, dass "die EZB einen Schuldenschnitt auf ihre Anleihebestände nicht hinnehmen wird".
 
Im Hinblick auf Spanien bedeutet dies, dass die anderen Anleihegläubiger als Ausgleich dafür, dass die Bestände der EZB verschont bleiben, letztlich einen Schuldenschnitt akzeptieren müssten, und zwar in beträchtlicher Höhe. "Das wäre für andere Investoren sicherlich ein Anreiz, sich von ihren Anleihebeständen zu trennen", meint Cornelissen.
 
Ein drittes langfristiges Refinanzierungsprogramm ist unwahrscheinlich
Eine zweite Option wäre - wie Cornelissen es formuliert - "ein dritter Schuss mit der ganz großen Kanone", d. h. ein weiteres langfristiges Refinanzierungsprogramm der EZB. Nach seiner Einschätzung ist diese allerdings nicht erpicht darauf, erneut diesen indirekten Weg zu beschreiten. "Es ist viel zu früh, um wieder eine solche Maßnahme zu ergreifen, und es ist auch gar nicht sicher, ob sie funktionieren würde", gibt er zu bedenken.
 
Tatsächlich waren die beiden vorigen LTRO-Tranchen nicht sonderlich wirkungsvoll. Zwar haben die von der EZB bereitgestellten billigen Gelder die Banken in die Lage versetzt, Staatsanleihen zu kaufen und so die Renditen nach unten zu drücken. Aber wie jede andere Droge wirken auch die Liquiditätsspritzen der EZB nur vorübergehend. In diesem Fall zeigten sich die Renditen nur wenige Monate lang "gefügig". Und Drogen haben den Nachteil, dass immer größere Dosen erforderlich sind, um dieselbe Wirkung zu erzielen.
 
Außerdem haben die LTROs weder zur Lösung der strukturellen Probleme beigetragen, noch die Wirtschaft der südeuropäischen EWU-Länder wieder auf eine dauerhaft tragbare Grundlage gestellt.
 
Europas Politiker hatten gehofft, die günstigen Kredite der EZB würden ausreichen, um die Krise ein für alle Mal beizulegen. Wie Cornelissen aber bereits damals deutlich machte, brachten die LTROs keinesfalls eine abschließende Lösung. (Klicken sie hier, um seine Einschätzung zur vorübergehenden Beruhigung der Märkte durch das zweite LTRO zu lesen: "Erneutes Aufflammen der Spannungen in Eurozone im Verlauf von 2012 absehbar", 22. März 2012). Die LTROs waren kaum mehr als ein Heftpflaster in einer Situation, in der ein radikalchirurgischer Eingriff erforderlich gewesen wäre.
  
ESM/EFSF werden wahrscheinlich in Anspruch genommen
Kurzfristig ist also weder das SMP der EZB noch ein drittes LTRO eine wahrscheinliche Option. Ein anderes Akronym dürfte aber nach Cornelissens Einschätzung ins Spiel kommen: die EFSF oder der ESM.
 
Warum? "Für Spanien könnte eine Rekapitalisierung seines Bankensektors zu einem drängenden Problem werden," sagt er. Denn die Kreditinstitute des Landes sehen sich in mehreren Bereichen wachsendem Druck ausgesetzt. Zum einen ist die Flaute am spanischen Wohnungsmarkt, die nach dem Platzen der Immobilienblase vor vier Jahren einsetzte, noch lange nicht vorbei. Ein weiterer Rückgang der Wohnungs- und Hauspreise würde sich nachteilig auf die Hypothekenkreditbestände der Banken auswirken. Außerdem sind diese nach wie vor in der daniederliegenden Bauwirtschaft und bei angeschlagenen Projektentwicklern engagiert. Der Anteil Not leidender Kredite, mit denen heute großenteils leerstehende oder heruntergekommene Immobilien finanziert wurden, hat sich auf 8 % erhöht und dürfte weiter steigen.
 
Es besteht die Sorge, dass der spanischen Regierung schließlich nichts anderes übrig bleiben wird, als einzuschreiten und sich um die Not leidenden Kredite zu kümmern. Die Alternative wäre, Banken scheitern zu lassen.
 
Die Situation der spanischen Kreditinstitute wird zusätzlich dadurch erschwert, dass das angeschlagene Portugal bei ihnen mit 50 Mrd. Euro in der Kreide steht. Und das Nachbarland wird vermutlich noch in diesem Jahr ein zweites Rettungspaket benötigen. Schließlich bleibt noch die Frage, wie sich höhere Renditen auf die umfangreichen Staatsanleihebestände in den Büchern der spanischen Banken auswirken werden.
 
Cornelissen meint, es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich die Situation so zuspitzt, dass diese eine Kapitalspritze benötigen. In diesem Fall ist es der EFSF bzw. dem ESM gestattet, Euro-Staaten billige Kredite anzubieten, damit diese die Kapitalausstattung ihrer Banken stärken können. Und dazu wird es nach Cornelissens Einschätzung auch kommen: Spanien wird Unterstützung durch die EFSF bzw. den ESM anfordern müssen.
  
Die EZB wird eingreifen, wenn sich die Situation verschlechtert
Cornelissen geht allerdings nicht davon aus, dass sich die Krisenbewältigung auf die EFSF oder den ESM beschränken wird. Seiner Meinung nach wird sich die EZB irgendwann gezwungen sehen, in der Schuldenkrise erneut einzugreifen: "Es geht ja nicht nur um Spanien", stellt Cornelissen fest. "Spanien kann Italien oder Frankreich zu Fall bringen." Cornelissen glaubt, dass die EZB alles Erforderliche tun wird, um systemisch wichtige Länder zu schützen.
 
Auf kurze Sicht rechnet er jedoch nicht mit weiteren Maßnahmen der EZB. "Die Lage muss erst noch schlechter werden, bevor die EZB zusätzlich zu den bereits gewährten dreijährigen Krediten weitere Schritte unternehmen wird", sagt er. "Der Druck muss erst noch größer werden, ehe Deutschland und die EZB nachgeben und die Rechnung bezahlen."
  
Ein Übergreifen auf Italien wird am meisten gefürchtet
Eine Bedrohung, welche die EZB zum Handeln zwingen könnte, ist ein möglicher Zusammenbruch Italiens, das gegenwärtig dem größten Ansteckungsrisiko ausgesetzt ist. Und da es die Politiker versäumt haben, eine deutlich höhere Brandmauer zu errichten, als sich die Gelegenheit dazu bot, werden die rund 800 Mrd. Euro, die dem Rettungsschirm zur Verfügung stehen, bei weitem nicht ausreichen, um die Probleme am 1,6 Billionen Euro großen italienischen Staatsanleihenmarkt zu bewältigen.
 
Der IWF musste inzwischen Abstriche an seinen Plänen machen, eine eigene Brandschutzmauer für die Eurozone hochzuziehen, und strebt nun ein Volumen von 400 Mrd. US-Dollar statt der ursprünglich anvisierten 600 Mrd. US-Dollar an. Dies weist in der Tat darauf hin, dass die Ressourcen der verschiedenen Rettungsschirme auch nicht annähernd ausreichen werden.
 
Italien trägt auch nicht gerade zu einer Stimmungsverbesserung an den Rentenmärkten bei; denn Ministerpräsident Mario Monti hat sich dem Druck gebeugt und sein Reformprogramm abgeschwächt. "Die Regierung rudert bei den Strukturreformen zurück, vor allem, was die Reform des Arbeitsmarkts betrifft", meint Cornelissen. "Außerdem hat sich der italienische Haushalt bisher enttäuschend entwickelt."
 
Die politischen Risiken nehmen zu
Ein weiterer Punkt, der den Ausblick für die Eurozone eintrübt, sind die zunehmenden politischen Risiken im Zusammenhang mit der bevorstehenden Stichwahl in Frankreich, den Parlamentswahlen in Griechenland und dem Referendum zum Fiskalpakt in Irland. In Griechenland könnte durchaus eine Regierung gewählt werden, welche die Bedingungen des Rettungspaketes ablehnt, während in Frankreich der sozialistische Präsidentschaftskandidat, François Hollande, der den ersten Wahlgang gewonnen hat, den mühsam ausgehandelten Fiskalpakt für die Eurozone umschreiben will. Und in den südlichen EWU-Mitgliedsländern von Portugal bis nach Griechenland wächst der Widerstand gegen die Sparmaßnahmen.
 
Die Meinungsverschiedenheiten zwischen den EWU-Mitgliedstaaten nehmen also ausgerechnet in einer Zeit zu, in der Solidarität und größere Übereinstimmung in der Fiskalpolitik gefragt wären. Dennoch betont Cornelissen, dass man die Entschlossenheit der politischen Elite, das Euro-Projekt zu retten, nicht unterschätzen sollte. Es ist nur so, dass die Politiker wegen der innenpolitischen Erfordernisse im jeweils eigenen Land kaum eine Alternative dazu haben, Schritt für Schritt ihre Wähler zu überzeugen und um ihre Unterstützung zu werben.
 
Dies lässt vermuten, dass es so schnell keine abschließende Lösung für die Krise geben wird. In den letzten Jahren ist uns das folgende Muster nur allzu vertraut geworden: Auf eine Krise erfolgt eine halbherzige Reaktion, die vorübergehend für eine Beruhigung der Lage sorgt, bis eine neue Krise aufflackert. Und es sieht nicht so aus, als ob sich daran etwas ändern würde. Niemand sollte erwarten, dass die Politiker eine aktive Führungsrolle übernehmen.
 
Welche Schlussfolgerungen ergeben sich für Investments?
Welche Schlussfolgerungen ergeben sich angesichts dieser düsteren Aussichten für Investments? "Natürlich stellt dieses Thema weiterhin eine Belastung für den Markt dar", sagt Cornelissen. Für ihn gibt es drei konkrete Erkenntnisse:  Erstens sind die Aussichten für europäische Aktien im Rahmen eines globalen Aktienportfolios nicht besonders gut. Zweitens empfiehlt es sich, im Rentenbereich "mit Engagements in Anleihen aus den EWU-Peripherieländern sehr vorsichtig zu sein". Und drittens könnten Aktien und Anleihen aus dem Finanzsektor erneut unter Druck geraten.

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