Vorwürfe zur deutschen Leistungsbilanz sind haltlos

Titel der Publikation: Deutschland: Trotz Wachstum in der Kritik
Veröffentlichung: 11/2013
Autor: Stefan Schneider
Auftraggeber: DB Research (Website)
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Deutschland steht unter anderem wegen seines Handelsüberschusses weltweit in der Kritik. DB-Research-Experte Stefan Schneider entkräftet die Vorwürfe.

21.11.2013 | 16:16 Uhr

Das deutsche Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist im dritten Quartal 2013 um 0,3 Prozent gegenüber dem Vorquartal gewachsen. Diese erste Schätzung des Statistischen Bundesamtes sei ausschließlich auf die Binnenkonjunktur zurückzuführen. „Während der private Verbrauch sowie die Bau- und Ausrüstungsinvestitionen zum Wachstum beitrugen, führte ein starker Anstieg der Importe bei annähernd stagnierenden Exporten zu einem negativen Außenbeitrag“, erläutert Stefan Schneider von DB Research. „Dies mag vor dem Hintergrund des kürzlich gemeldeten Rekordüberschusses der Handelsbilanz im September von 20,4 Milliarden Euro überraschen, allerdings wird in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung die reale Entwicklung betrachtet, während in der Handelsbilanz nominale Größen dargestellt werden.“ Frühindikatoren deuteten auf eine ähnliche Entwicklung für das Schlussquartal hin, was für das Gesamtjahr aufgrund des schwachen Jahresstarts ein Plus von 0,5 Prozent ergebe. „Der Außenbeitrag dürfte mit rund 0,25 Prozentpunkten negativ ausfallen, nachdem er in 2012 noch ein Prozentpunkt zum Wachstum beigesteuert hatte“, sagt Schneider.

Im kommenden Jahr erwartet der Experte eine moderate Erholung in Deutschland und auch in der Eurozone.  Im Währungsraum hatte sich die Konjunktur nach einem überraschend hohen Wachstum von 0,3 Prozent im zweiten Quartal auf 0,1 Prozent im Folgequartal abgekühlt. Für 2013 rechnet Schneider daher mit einem BIP-Rückgang von rund 0,25 Prozent. Der Außenbeitrag Deutschlands könnte 2014 trotz einer weiterhin robusten Binnennachfrage wieder positiv sein. „Dies ergibt aus der von uns erwarteten kräftigen globalen Konjunkturbeschleunigung, insbesondere in China und den USA, sowie einer unterstellten deutlichen Festigung des US-Dollars im Jahresverlauf“, so Schneider. Seiner Ansicht nach dürfte damit die internationale Diskussion über die makroökonomische Interpretation der deutschen Leistungsbilanzüberschüsse von sieben Prozent des BIP auch im nächsten Jahr kaum an Brisanz verlieren.

Deutschland: BIP-Wachstum auf Binnennachfrage zurückzuführen


In den letzten Wochen hatten unter anderem der IWF und das US-Finanzministerium Deutschland schwer kritisiert. Die EU-Kommission kündigte an, die deutschen Überschüsse im Rahmen ihrer Überwachung makroökonomischer Ungleichgewichte zu untersuchen. „Die beiden Erzkeynesianer Paul Krugman und Martin Wolf haben Kommentar auf Kommentar geschrieben, um ‚die Deutschen‘ und den Rest der Welt von der ‚ökonomischen Beschränktheit‘ deutschen Handels zu überzeugen“, wettert Schneider. „Allerdings werden die dabei angefügten Argumente auch durch permanente Wiederholung nicht richtig.“ Denn der deutsche Leistungsbilanzüberschuss von rund sieben Prozent sei nicht das Ergebnis fehlgeleiteter Politik, sondern von Millionen von Einzelentscheidungen ausländischer Konsumenten und Firmen, die deutsche Produkte den eigenen und denen der Konkurrenz vorziehen.

Auch der Vorwurf des Lohndumpings greife nicht: „Die deutschen Löhne – die bis dato zum überwiegenden Teil privat bestimmt werden – sind in den letzten beiden Dekaden innerhalb des durch Produktivitäts- und Preisanstieg gegebenen Rahmens gewachsen“, analysiert Schneider. Zudem lägen sie im internationalen Vergleich nach wie vor am oberen Ende. „Dass Arbeitnehmer und Arbeitgeber anderer Länder glaubten, die Regel der produktivitätsorientierten Lohnpolitik über Jahre ignorieren zu können und  in der Hoffnung auf immerwährende Wertsteigerung ihrer Immobilien eine untragbare Verschuldung eingingen, ist in der absurden Logik von Krugman, Wolf, etc. dann sogar ‚den Deutschen‘ vorzuwerfen“, kritisiert Schneider. „Allerdings kann man aus der makroökonomischen Saldenmechanik, die immer erfüllt sein muss, keine Ursache/Wirkungszusammenhänge ableiten und damit auch keine Schuld zuweisen“, kontert Schneider die Kritik. Denn die deutschen Leistungsbilanzüberschüsse hätten zu Defiziten in gleicher Höhe im Ausland führen müssen.

„Der ebenso absurde Vorwurf, dass die unverändert hohen deutschen Überschüsse die Anpassung in den europäischen Problemländern verhindern, zeugt zudem von einer verengten, bilateralen Sichtweise der Saldenmechanik und von Unkenntnis der relevanten Statistiken, die zeigen, dass sich die deutschen Überschüsse gegenüber der EWU seit Ausbruch der Krise auf 2,2 Prozent des BIP halbiert haben.“ Ohne die Finanzierung über das Target-2-System der EZB, wären sie Schneiders Meinung nach wohl komplett verschwunden. Durch einen Rückgang der deutschen Exporte um drei Prozent und einen deutlichen Anstieg der Importe der anderen EWU-Staaten um elf Prozent, hätten die Überschüsse erst abgebaut werden können.

Leistungsbilanz: Weniger Überschuss zur EWU


„Gerne wird auch der Euro-Wechselkurs als unfairer Vorteil der deutschen Exportmaschine angeführt“, schickt sich Schneider an, den nächsten Kritikpunkt zu entkräften. „Nun ist der Euro-Wechselkurs gegenüber anderen wichtigen Währungen trotz massiver Beeinflussung durch die Zentralbanken  insgesamt noch das Ergebnis von Marktprozessen.“ Zudem liege der handelsgewichtete Wechselkurs des Euro derzeit auf seinem langfristigen Durchschnitt. Dies könne angesichts des nach wie vor enttäuschenden Wachstums in der Eurozone kaum als zu niedrig bezeichnet werden. Ein stärkerer Euro würde darüber hinaus nicht nur die deutschen, sondern auch die anderen europäischen Exporteure treffen.

Kritik gibt es auch an den deutschen Vertretern im EZB-Rat. Durch ihren – letztlich erfolglosen – Widerstand gegen Zinssenkungen zum jetzigen Zeitpunkt und gegen eine noch aggressivere Geldpolitik der EZB, wollten sie eine Schwächung des Euro und eine bessere Kreditversorgung der Peripheriestaaten verhindern. Das Ergebnis wäre ein Anstieg des deutschen Leistungsbilanzüberschusses. Die Ratio der letzten Zinssenkung kann Schneider nicht restlos überzeugen. Deren Begründung mit sinkender Inflationsrate und steigender Gefahr einer Deflation laufe angesichts nahezu unveränderter mittel- und langfristiger Inflationsprognosen im aktuellen von der EZB durchgeführten „Survey of Professional Forecasters“ fehl. Hinzu komme, dass die niedrigen Inflationsraten in den Peripheriestaaten das beabsichtigte Resultat der von der EU-Troika (zu der die EZB gehört) verordneten Reformen seien. „Der Versuch, die durchschnittliche Inflationsrate in der Eurozone trotz der deflationären Wirkung der verordneten Angebotsschocks bei knapp unter zwei Prozent zu halten, würde nur gelingen, falls die nationalen Inflationsraten in Deutschland und anderen Kernländern Richtung fünf Prozent steigen würden“, sagt Schneider. „Dies entspräche wohl der von den Kritikern sehnlichst gewünschten Korrektur.“ Die deutschen Konsumenten und Sparer hätten dann – so der Experte – allerdings einen großen Teil der Anpassungslasten innerhalb der Eurozone zu tragen. „Ein wohl nicht ganz unbeabsichtigter ‚Nebeneffekt‘ in derartigen Überlegungen.“

Inflation: Trotz niedrigem EZW-Wert bleibt die Erwartung hoch

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