Wirtschaftspolitik entwickelt sich zur treibenden Kraft in Ägypten

Beeindruckender Reifegrad der neuen politischen Landschaft Ägyptens – Wirtschaftspolitische Reformbestrebungen in Gange. BIP-Wachstum soll im kommenden Jahr auf über vier Prozent steigen.

25.10.2012 | 10:56 Uhr

Während unserer letzten Geschäftsreise nach Kairo haben wir uns mit unterschiedlichen Regierungsbeamten, Mitarbeitern der ägyptischen Zentralbank, Führern der Regierungsparteien und Unternehmensvertretern getroffen. Während der jeweiligen Gespräche sammelten wir Meinungen und Erwartungen, insbesondere hinsichtlich wichtiger kurz- bis mittelfristiger Ziele der Wirtschaftspolitik, zum IWF-Darlehen, zur Ausgestaltung der Verfassung und zur Durchführung parlamentarischer Wahlen. Am stärksten hat uns die größere Reife der politischen Landschaft Ägyptens beeindruckt. So ist mittlerweile das Thema Konjunkturentwicklung wichtiger Bestandteil politischer Debatten und der Regierungsagenda.

Entscheidungsträger wissen um die Bedeutung von Investitionen für die ägyptische Wirtschaft, und die Schaffung eines attraktiven Umfeldes zur Förderung von Investitionen trifft auf große Zustimmung. Premierminister Kandil verfolgt einen ehrgeizigen Plan. Demnach soll das nationale BIP-Wachstum im kommenden Jahr auf über 4% steigen. Er will daher bürokratische und rechtliche Hürden abbauen und die Genehmigungsverfahren für neue Projekte erleichtern.

Ägyptens Zentralbank lobte die Anstrengungen der Regierung, das Inflationsproblem zu bekämpfen, das struktureller Natur und nicht währungsgetrieben ist. Sie bestätigte, dass Kapital und Anlagegelder wieder ins Land fließen. Außerdem sei unter derzeitigen Umständen keine Abwertung des ägyptischen Pfunds zu erwarten.

Große Übereinstimmung herrscht zudem hinsichtlich der Bedeutung des beantragten IWF-Kredits, was als eine Art Gutheißung der Wirtschaftspolitik der neuen Regierung zu bewerten ist. Privatinvestitionen könnten durch die Gewährung eines IWF-Darlehens beflügelt werden. Selbst die salafistische Nour-Partei, die bisher stets gegen den IWF-Kredit gewettert und auf islamische Alternativen bestanden hatte, verfolgt mittlerweile einen pragmatischeren Ansatz. Erfreulicherweise rechnet der Premierminister noch vor Jahresende mit dem Abschluss der entsprechenden Kreditverhandlungen mit dem IWF.

Die neue Regierung setzt die Wirtschaftspolitik der Vorgängerregierung fort. Ironischerweise akzeptieren Mitglieder der führenden Partei für Frieden und Gerechtigkeit (FJP) und der Nour-Partei besagte Politik. Sie unterstreichen damit ihre Bereitschaft, sich für eine bessere Bewältigung der sozialen Auswirkungen der Reformen einzusetzen. Sowohl FJP als auch die Regierung visieren eine kontinuierliche Streichung der Subventionen – ein in sozialer Hinsicht sensibles Thema – und angemessene Reformen für die begünstigten Zielgruppen an.

Die FJP-Politiker betonten, dass sie trotz ihrer dominanten Machtstellung eine Verfassung anstrebten, die das breite Meinungsspektrum widerspiegelt. Andeutungen zufolge erzielt die verfassungsgebende Versammlung scheinbar vielversprechende Fortschritte in der Entwicklung einer Vorlage, die noch vor Jahresende verabschiedet werden dürfte. Im Anschluss sollen Parlamentswahlen stattfinden.

Bis dahin werden sich die meisten lokalen Unternehmen mit der Realisierung ihrer Investitionspläne trotz verlockender Projektpipelines zurückhalten. Sie betrachten die erfolgreiche Umsetzung der neuen Verfassung und die Organisation von Parlamentswahlen als wesentlichen Impulsgeber für ihre zukünftigen Entscheidungen.

Ägyptens Entwicklung wird im Wesentlichen davon geprägt sein, ob die Bestrebungen der Führung in den nächsten Monaten umgesetzt werden.

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