WisdomTree: Ist die OPEC mit ihren Drosselungen zu weit gegangen?
Nach einem Anstieg auf über USD 80/Barrel am 22. Mai 2018 fällt der Brent-Ölpreis wieder. Das Erreichen dieser psychologischen Marke hat die Frage aufgeworfen, ob die OPEC mit ihren Drosselungen zu weit gegangen ist. Eine Analyse von Nitesh Shah, Director Research von WisdomTree.19.06.2018 | 10:10 Uhr
Der jüngste Monatsbericht der OPEC vom 12. Juni zeigt, dass die venezolanische Ölförderung rückläufig ist. Das Land produziert 580.000 Barrel weniger als seine zugeteilte Quote und hat den größten Beitrag zum Rückgang der gesamten OPEC-Förderung geleistet. Dies ist auf die wirtschaftliche Implosion im Land zurückzuführen, mit der das Land zu kämpfen hat und die es davon abhält, seine Förderung zu steigern. Etwas mehr als die Hälfte der OPEC-Mitglieder konnte im vergangenen Monat die Produktion steigern, angeführt von Saudi-Arabien mit einer Produktionssteigerung von 86.000 Barrel m-o-m. Da die OPEC nach ihrem Treffen am 22. Juni einen weiteren politischen Wendepunkt erreicht hat, erwarten wir, dass Saudi-Arabien bei den Produktionssteigerungen führend sein wird, da das Land die meisten freien Kapazitäten zur Verfügung hat.
Abbildung 1:
Brent-Ölpreis
Quelle: Bloomberg, WisdomTree. Daten zum Handelsschluss am 30. Mai 2018, stündliche Daten. Die Wertentwicklung in der Vergangenheit ist kein Anhaltspunkt für die künftige Wertentwicklung. Sie können nicht direkt in einen Index investieren.
Nach dem Anstieg des Ölpreises auf USD 80/Barrel waren die OPEC und ihre Nicht-OPEC-Partner gezwungen, ihre Strategie zu überdenken. Im Mai 2018 hatten die Ölpreise eine Spitze erreicht, nachdem die Förderung Venezuelas weiter rückläufig war und vom Markt allgemein erwartet wurde, dass das Damoklesschwert der – bei den Handelspartnern unbeliebten – extraterritorialen US-Sanktionen gegen den Iran das Ölangebot verringern wird. 2014 hatte die OPEC die Fördermenge erhöht, um kostenintensiven Produzenten wie den USA Marktanteile abzunehmen. Die Rückkehr zur Steuerung des globalen Outputs 2017 hat das 2014 vorhandene Problem wieder zutage gefördert: Die OPEC verliert Marktanteile und damit Einnahmen aus dem Ölgeschäft.
Dass es dem 14 Mitglieder starken und zehn weitere Länder umfassenden Kartell gelang, sich derart einhellig auf ein Programm zur Produktionsdrosselung zu einigen, galt als Meilenstein. Mit Geschlossenheit hatte sich die OPEC in der Vergangenheit schwergetan, obschon der „Übereifer“ dieses Mal zu einem großen Teil auf die wirtschaftliche Implosion Venezuelas zurückzuführen war. Inzwischen spüren Saudi-Arabien und Russland den Druck, das Förderdefizit ausgleichen zu müssen, das Venezuela und der Iran hinterlassen dürften.
Abbildung 2: Quoteneinhaltung seitens der OPEC vor 2014 uneinheitlich
Quelle: Bloomberg, WisdomTree. Daten zum Handelsschluss am 30. Mai 2018. Die Wertentwicklung in der Vergangenheit ist kein Anhaltspunkt für die künftige Wertentwicklung. Sie können nicht direkt in einen Index investieren.
Abbildung 3: Einhaltung
des
aktuellen Deals
Quelle: OPEC (auf Basis sekundärer Kommunikation), WisdomTree. Daten zum Handelsschluss am 30. Mai 2018. Die Grafik zeigt das Ausmaß der Einhaltung der im November 2016 vereinbarten Drosselungen in Prozent. Die Wertentwicklung in der Vergangenheit ist kein Anhaltspunkt für die künftige Wertentwicklung. Sie können nicht direkt in einen Index investieren.
Natürlich beruht die Wiederherstellung des Marktgleichgewichts für die OPEC-Mitgliedstaaten nicht auf rein uneigennützigen Motiven. Fakt ist, dass zahlreiche OPEC-Nationen 2017 eine konjunkturelle Abkühlung verbucht haben und demgemäß auf höhere Öleinnahmen angewiesen sind, um in diesem und im nächsten Jahr eine Erholung herbeizuführen. Statt weitere Preiserhöhungen abzuwarten, ist dies für Länder, die die Fördervolumen erhöhen können, eine einfachere Strategie zur Steigerung der Einnahmen.
Da die USA die Förderung dieses Jahr um 1,4 Millionen Barrel pro Tag erhöhen dürften (Quelle: U.S.Energy Information Administration), muss die OPEC die Gelegenheit beim Schopf packen und den Marktanteil absorbieren, bevor die USA die Produktion so stark erhöhen, dass OPEC-Öl aus dem Markt gedrängt wird. Zum Vergleich: Im letzten Jahr wurde die US-Produktion um 0,5 Millionen Barrel pro Tag erhöht.
Abbildung 5: Prognose zur US-Ölförderung
Quelle: EIA, WisdomTree. Daten zum Handelsschluss am 30. Mai 2018. Die Wertentwicklung in der Vergangenheit ist kein Anhaltspunkt für die künftige Wertentwicklung. Sie können nicht direkt in einen Index investieren.
Auch wenn gemeinhin angenommen wird, dass
sich die OPEC unter Verweis auf den fiskalischen
Breakeven-Preis (Ölpreis, bei
dem sich Einnahmen und Ausgaben eines Staates ausgleichen)
eine Fortsetzung der
Hochpreisära wünscht, ist festzustellen,
dass der gegenwärtige Ölpreis
in
vielen Ländern über
diesen Breakeven-Preisen liegt (unter anderem im Iran, dem Irak sowie in Kuwait, Katar und den Vereinigten
Arabischen Emiraten). Zahlreichen OPEC-Nationen konnten Ölpreise,
die jahrelang deutlich
unter den fiskalischen Breakeven-Preisen lagen, nichts
anhaben. Tatsächlich hat die
Ära der niedrigeren
Ölpreise von 2014–2017 diesen Ländern ermöglicht,
sich in Sparmaßnahmen
zu
üben (z. B. in der Kürzung der Subventionen für
petrochemische Verbraucherprodukte) und den Fokus stärker auf
die
Diversifizierung ihrer Volkswirtschaften zu richten. Indes hat Saudi-Arabien
unter Führung des Kronprinzen Mohammad bin Salman bin Abdulaziz al-Saud (MbS) das Projekt „Vision 2030“ angestoßen, das Wirtschaftsreformen mit Schwerpunkt auf
Umstrukturierung und Diversifizierung vorsieht.
Abbildung 6: Fiskalische Breakeven-Preise
Quelle: IWF, WisdomTree. Daten zum Handelsschluss am 30. Mai 2018. Die Wertentwicklung in der Vergangenheit ist kein Anhaltspunkt für die künftige Wertentwicklung. Sie können nicht direkt in einen Index investieren.
Häufig wurde angenommen, dass Saudi-Arabien auch deswegen höhere Ölpreise will, um die angestrebte Bewertung von Saudi Aramco (die Regierung bezifferte den Wert auf USD 2 Bio.) vor deren Börsengang zu erreichen. Nach den uns vorliegenden Informationen liegt der internationale Börsengang derzeit jedoch auf Eis und der inländische Börsengang an der saudiarabischen Tadawul- Börse wird frühestens 2019 erfolgen. Für eine gleichzeitige oder nachfolgende Notierung an einer ausländischen Börse sind die Voraussetzungen derzeit nicht vorhanden. Bislang haben die saudischen Verantwortlichen nicht einmal entschieden, ob sie den Börsengang in London oder New York durchführen wollen. Es kann also nicht länger das Leitmotiv von Saudi-Arabien und der OPEC sein, aus diesem Grund die Ölpreise nach oben zu treiben.
Der De-facto-OPEC-Führer Saudi-Arabien und Russland, der größte Nicht-OPEC-Partner im Programm zur Produktionsdrosselung, führten am letzten Wochenende Gespräche und brachten die Idee ins Spiel, die Fördermenge um 1 Million Barrel pro Tag zu erhöhen. Angesichts der gesamten OPEC-Reservekapazität von rund 2 Millionen Barrel könnten die politischen Gespräche der Gruppe am 22. Juni in eine weitere Erhöhung der Förderung münden.
Abbildung 7: OPEC-Reservekapazität
Quelle: EIA, WisdomTree. Daten zum Handelsschluss am 30. Mai 2018. Die Wertentwicklung in der Vergangenheit ist kein Anhaltspunkt für die künftige Wertentwicklung. Sie können nicht direkt in einen Index investieren.