Zahlungskrise im Euroraum rechtfertigt defensive Ausrichtung

Die ausufernde Schuldenkrise der Eurozone veranlasste das Economic & Financial Markets Analysis-Team von Robeco, eine risikoärmere Positionierung zu verfolgen. Senior Strategist Léon Cornelissen erläutert die Gründe.

27.05.2010 | 14:05 Uhr


Zunehmende Besorgnisse über die Nachhaltigkeit der Staatsschuldenpolitik und eine striktere Geldpolitik in den Schwellenmärkten haben das Economic & Financial Markets Analysis-Team veranlasst, eine defensivere Anlagestrategie zu verfolgen. Das Team ist jetzt weniger optimistisch zu den Aussichten von Aktien allgemein und in dieser Anlageklasse für Aktien aus Schwellenmärkten.

Ein Problem, die Schuldenkrise Griechenlands, hat die Märkte in den vergangenen Wochen beherrscht. Nach monatelangem Gezänk waren die Staatsführer Europas gezwungen, Maßnahmen zu ergreifen, da die Krisenspirale außer Kontrolle geriet. Der Rettungsplan im Umfang von 720 Milliarden Euro stabilisierte die Märkte. Weitere Hilfe kam von der EZB, die versprach, in bisher nie da gewesenem Maße in die Schuldenmärkte einzugreifen.

Wie Léon Cornelissen anmerkt, bedeutet dieser Anfangserfolg jedoch nicht, dass eine Zahlungsunfähigkeit des griechischen Staates abgewendet ist. "Alles hänge vor allem davon ab, ob die griechische Bevölkerung die harten Sparmaßnahmen akzeptiere", so Léon Cornelissen.

Liquiditätskrise abgewendet, aber Besorgnisse wegen der Zahlungsfähigkeit bleiben
Auch das Rettungspaket ist zwar enorm, löst jedoch die strukturellen Probleme der Eurozone nicht. "Eine Liquiditätskrise wurde abgewendet, aber es bleiben Zweifel an der Zahlungsfähigkeit bestimmter Länder der Eurozone", so Léon Cornelissen. Im Gegensatz zu anderen, in ähnlicher Weise betroffenen souveränen Staaten existiert in der Region kein institutioneller Rahmen, um das Zahlungsproblem langfristig zu lösen.

Die Schuldenkrise, die jetzt von Griechenland aus auf andere Märkte der europäischen Peripherie übergreift, überschattet andere, gutartige Entwicklungen sowohl in der EU-Wirtschaft als auch im Rest der Welt. Tatsächlich zeigt die Weltwirtschaft eine überraschende Stärke.

Die wirtschaftliche Erholung nimmt an Tempo zu
Auch die Eurozone ist ein gutes Beispiel. Jüngste Highlights waren der rapide Anstieg des Vertrauens der deutschen Hersteller und die im zweiten Monat rückläufige Arbeitslosigkeit in Deutschland. Außerdem begünstigt der kürzliche scharfe Fall des Eurokurses das Wachstum.

Auch die US-Wirtschaft erholt sich gut. Das BIP stieg im Jahresvergleich im I. Quartal um 3,2 %, wobei dieser Anstieg wieder vor allem den Verbrauchern zu verdanken war. Auch in der Industrie gewann die Entwicklung weiter an Schwung, wie aus dem weiteren Anstieg des Einkaufsmanagerindex zu ersehen ist.

"Stetig und unaufhaltsam", so beschreibt Léon Cornelissen die Entwicklung der US-Wirtschaft, insbesondere im Vergleich mit den hektischen und unvorhersehbaren Entwicklungen in Südeuropa.

Großbritannien in schwerer See
Probleme in Europa sind jedoch nicht auf den südlichen Rand der Eurozone beschränkt. Ein weiteres Problem ist Großbritannien. Die Wahrscheinlichkeit ist gestiegen, dass Großbritannien seine Bonitätsbewertung "AAA" verliert, ebenso erhöhten sich die Risiken für eine Abwertung des Pfund Sterling, weil die Konsolidierung der Staatsfinanzen nicht vorankommt.

"Angesichts der relativ langen Dauer der Verschuldung ist es für die britische Regierung verführerisch, einen positiven Inflationsschock zuzulassen, um die Realverschuldung effektiv zu senken", so Léon Cornelissen.

Striktere Geldpolitik in den Schwellenmärkten und Australien
Im Pazifikraum war Australien das einzige Land der Welt, das sich von einer komfortablen Geldpolitik in Richtung Neutralität verabschiedete, nachdem der Hauptzinssatz um weitere 25 Basispunkte (bps) auf 4,5 % angehoben wurde. Nach sechs Zinserhöhungen bei sieben Beratungen zu Fragen der Geldpolitik ist jetzt mit einem moderateren Tempo der Zinserhöhung zu rechnen.

Zinserhöhungen sind auch ein Thema für die Schwellenmärkte, weil die Regierungen sich bemühen, den ansteigenden Inflationsdruck abzubauen. In Indien erhöhte die Zentralbank die Zinsen im April widerwillig, allerdings nur um moderate 25 Basispunkte. Die Zentralbank Brasiliens griff stärker durch: Am 28. April erhöhte sie den Zinssatz um 75 Basispunkte auf 9,5 %.

Die Politiker in China zögern zwar mit einer Aufwertung des Yuan oder einer Zinserhöhung, haben jedoch die Forderungen an die Eigenkapitalreserven der Banken erhöht - zum dritten Mal in diesem Jahr - und ergreifen strenge Maßnahmen, um nach einem Rekordanstieg der Preise Immobilienspekulationen zu drosseln.

Der Ausblick für Aktien hat sich verschlechtert.
Angesichts dieses Hintergrunds einer strengeren Zinspolitik und einer nicht nachhaltigen Verschuldung ist das Economic & Financial Markets Analysis-Team für Aktien nicht mehr positiv eingestellt. Das Team bewertet Aktien jetzt als neutral. Léon Cornelissen ist der Ansicht, dass eine Konsolidierungsphase begonnen hat. Die Aktienmärkte dürften sich daher seitwärts entwickeln.

Ein weiterer Faktor hierbei ist die zunehmende Unwahrscheinlichkeit positiver Überraschungen sowohl beim Wirtschaftswachstum als auch bei den Erträgen, nachdem die Erträge im I. Quartal besser ausfielen und die nachfolgenden Korrekturen der Ertragsschätzungen durch die Analysten übereinstimmend von einem Ertragswachstum von mehr als 30 % für 2010 ausgehen.

"Wir rechnen damit, dass die Ertragsentwicklungen in den kommenden Monaten nur noch einen geringfügigen positiven Einfluss haben werden", so Léon Cornelissen.

Gleichzeitig existieren im Markt weiterhin Sorgen wegen des Zustands der Staatsfinanzen, insbesondere dann, wenn sich die Aufmerksamkeit nicht nur auf Griechenland, sondern auf Großbritannien richtet. Ein drittes Element ist der Saisonfaktor. "Aktienmärkte entwickeln sich von Mai bis Oktober in der Regel nur moderat", so Léon Cornelissen.

USA gegenüber Europa bevorzugt
Léon Cornelissen und seine Kollegen haben auch ihre regionalen Präferenzen verlagert: Sie sind jetzt gegenüber Nordamerika positiv und gegenüber Europa negativ eingestellt. Die Erträge der Unternehmen in beiden Regionen waren überraschend gut, aber die wirtschaftliche Erholung in Nordamerika ist allgemein stärker, und Europa befindet sich mitten in der Staatsschuldenkrise.

Zweitens werden Schwellenmärkte nicht mehr gegenüber dem Pazifikraum bevorzugt. In den vergangenen sechs Monaten entwickelten sich die Schwellenmärkte nur analog zum Markt, obwohl man hätte erwarten können, dass sie von den signifikanten positiven wirtschaftlichen Überraschungen profitieren. Das starke Wachstum der Schwellenmärkte wird jetzt durch die anziehenden Zinsen und die Inflationsrisiken ausgeglichen.

Der Pazifikraum entwickelte sich in den vergangenen sechs Monaten entsprechend dem Markt. Da die Prognosen der Analysten für das Wirtschaftswachstum in Japan übereinstimmend einen Anstieg vorhersagen, hat das Team seine Bewertung für die Region von "negativ" auf "neutral" geändert.

Immobilien: Weniger attraktiv als Aktien
Immobilien sind weiter weniger attraktiv als Aktien. Die Bewertungsschere zwischen Immobilien und Aktien öffnet sich zurzeit noch weiter: Anleger zahlen zurzeit für Immobilien das enorme 23-fache der voraussichtlichen Erträge 2010, bei Aktien aber nur das 13-fache. Dieser Anstieg ist zum Teil der Outperformance von Immobilien zu verdanken und zum Teil den fehlenden Ertragskorrekturen nach oben in dieser Anlageklasse.

In einer Umgebung, in der jedoch an den Finanzmärkten die ersten Stressanzeichen zu erkennen sind, ist es nach Meinung von Léon Cornelissen unwahrscheinlich, dass Immobilien sich besser entwickeln als Aktien oder andere riskante Anlageprodukte. "Wir sind weiter der Ansicht, dass Aktien ein besseres Risiko- und Renditeverhältnis aufweisen."

Unternehmensanleihen gegenüber Regierungsanleihen bevorzugt
Das Team bevorzugt weiter Unternehmensanleihen anstelle von Regierungsanleihen. Unternehmensanleihen sind solide, die Ertragstrends gut und die Unternehmen halten sich mit zu optimistischen Fusionen und Übernahmen zurück.

Aus diesem Grund erwartet Léon Cornelissen, dass in Zukunft die Outperformance begrenzt bleibt, da die Spreads bei Unternehmensanleihen sich weiter dem normalen Niveau angeglichen haben und von den Besorgnissen wegen der Staatsverschuldung betroffen sein könnten. Bei Unternehmensanleihen werden solide Anleihen gegenüber Hochzinsanleihen bevorzugt, weil diese defensiver sind.

Regierungsanleihen sind weniger attraktiv als Unternehmensanleihen, und Léon Cornelissen sieht derzeit keine große Gefahr in einer mittel- und langfristig höheren Inflation. "Momentan glauben wir, dass eine deutliche Verschlechterung der Marktstimmung im Anleihemarkt unwahrscheinlich ist, weil der kurzfristige Ausblick für die Inflation günstig ist."

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