Jede Woche veröffentlichen führende Vermögensverwalter und Fondsgesellschaften weltweit zahlreiche fundierte Einschätzungen zu den Finanz- und Kapitalmarktmärkten. Um einen Überblick zu erhalten, stellt TiAM FundResearch regelmäßig die wichtigsten Aussagen für Sie kompakt zusammen.
01.07.2022 | 12:30 Uhr von «Peter Gewalt»
Diese Woche standen erneut die Folgen der Notenbankpolitik und die hohen Energiepreise im Mittelpunkt der Analysen.
So verkündete die DWS diese Woche eine außerordentlichen Revision ihrer Prognosen, da einige Zentralbanken der Inflationsbekämpfung
Priorität einräumen würden, die Fed sogar eine Rezession riskiere. Zudem sei in Europe die Versorgungssicherheit
mit russischen Gas nicht mehr gewährleistet.
„An unseren
Prognosen für US-Staatsanleiherenditen halten wir weitgehend
fest, da sich am Ausblick auf die kommenden zwölf Monate per Juni 2023 (was die
Basis für Kapitalmarktprognose mit einem Horizont von zwölf Monaten
darstellt)wenig verändert hat. Die Zinskurve (2 Jahre - 10 Jahre) dürfte weiter
sehr flach bleiben. Die (marktimpliziten) Inflationserwartungen sind seit
einigen Wochen rückläufig, was den Kurs der Fed zu bestätigen scheint. Aufgrund
unserer deutlich angehobenen Leitzinsprognosen für die EZB haben wir Prognosen
insbesondere für die 2-jährigen Schatzrenditen auf zwei Prozentangehoben. Die 10-Jährigen
Bunds
sehen wir in zwölf Monaten bei 2,25 Prozent. Unternehmensanleihen bieten auf den
jetzigen Niveaus insgesamt eine attraktive Rendite, auch wenn die Risikoprämien
noch weiter auslaufen könnten. Wir gehen allerdings nicht davon aus, dass sich
die Risikoprämien (ob USA oder Europa, ob Investmentgrade oder High Yield) auf
absehbare Zeit wieder auf die niedrigen Niveaus des vergangenen Jahres
zurückbewegen werden. Den Dollar sehen wir weiterhin bei 1,10 zum Euro, bei
etwas Aufwärtsrisiko auf längere Sicht, während vorerst das Gas-Import-Risiko
weiter auf ihm lasten könnte.
Aktien: Wir reduzieren unsere 12-Monatskursziele für die verschiedenen regionalen Indizes um fünf bis sieben Prozent. Wir erwarten zwar noch einstelliges Gewinnwachstum in diesem Jahr, doch vor allem in den Industrieländern kein Wachstum für2023 und 2024. Damit liegen wir unter den Konsensschätzungen, von denen wir erwarten, dass sie im Laufe des Jahres noch nach unten korrigiert werden. Kurz vor Beginn der Berichtssaisson zum zweiten Quartal sind wir überzeugt, dass wir in der Breite die Spitze der operativen Gewinnmargen der Unternehmen bereits gesehen haben. Zumindest stabilisierend sollte sich der von uns erwartete Rückgang der Marktvolatilität auf die Indexniveaus auswirken. Die jetzigen Werte von über 30 für den auf dem S&P 500 basierenden VIX halten wir nicht für nachhaltig.
Alternative Anlagen: Wir halten an unserer Prognose für den Ölpreis (Brent bei 110 Dollar das Fass) fest, da wir davon ausgehen, dass die absehbaren Erhöhungen der Produktionskapazitäten ausreichen, um die etwas schwächer als zunächst erwartete Nachfragesteigerung bedienen zu können. Gold sehen wir aufgrund der stärker und schneller als gedacht gestiegenen Realzinsen etwas pessimistischer, auch wenn eine gewisse geopolitische Risikoprämier erhalten bleiben dürfte.“
Und die Dekabank erwartet für Deutschland angesichts der hohen Inflation
und der weltpolitischen Lage eine weiterhin schwächelnde Wirtschaft.
"Eine gefährdete Energieversorgung,
rekordhohe Inflationsraten und eine schwächelnde Weltkonjunktur verlangen auch
von den deutschen Unternehmen ihren Tribut", sagte Chefvolkswirt Ulrich
Kater am Mittwoch in Frankfurt. "Die Perspektiven für die deutsche
Konjunktur werden sich im Jahresverlauf weiter verfinstern."
Das größte Risiko für die Wirtschaft sieht Kater
in einem Ausfall der russischen Erdgaslieferungen. "Nach unserer
Auffassung sind die bisherigen Kürzungen von Erdgaslieferungen politisch
motiviert", sagte Kater. "Das sind schlechte Vorzeichen für das
Winterhalbjahr." Ohne ein Embargo erwartet Kater in diesem Jahr ein Wachstum
von 1,6 Prozent und 2023 von 2,3 Prozent. Sollte es hingegen zu einem Embargo
kommen, dürfte die Wirtschaft 2023 um 1,0 Prozent schrumpfen. Er zeigt sich
jedoch zuversichtlich, dass die Abkopplung von russischen Gaslieferungen nach
den Herausforderungen in den kommenden Quartalen zügig bewältigt werden kann.
Die Inflation in Deutschland und der Eurozone
dürfte laut Kater hoch bleiben. Sie sollte auch zum Jahresende noch bei rund
sieben Prozent liegen. Erst dann dürfte sie sich abschwächen. Die Notenbanken
müssten jetzt eine Verfestigung oder gar eine Beschleunigung der Inflation
verhindern. Die Europäische Zentralbank (EZB) werde den Einlagensatz 2023 bis
auf 1,5 Prozent erhöhen, erwartet Kater. Dies sei auch der langfristige,
neutrale Zins. Bei diesem Zins wird das Inflationsziel von mittelfristig zwei
Prozent erreicht, ohne die Wirtschaft zu stark zu belasten.
„Die
Weltwirtschaft verlangsamt sich, und ein Großteil davon ist eingepreist“, schreibt
Sébastien Galy, Makro-Stratege bei Nordea Asset Management, in seinem Marktkommentar.
Der Experte sieht dies jedoch
nicht als Grundlage für eine kräftige Erholung, sondern ruft Anleger vielmehr
dazu auf, „geduldiger zu sein und sich immer mehr auf einen moderaten
langfristigen Wachstumspfad einzustellen“.
So ist laut Galy auch eine weitere Eintrübung der Konjunktur in Europa
nicht auszuschließen: „Die europäische Wirtschaft erlebt die negativen
Auswirkungen einer stark erhöhten Inflation auf Konsum und Stimmung – es ist
zweifelhaft, dass sich das Wachstum in diesem Jahr nur auf 2,6 Prozent und im
nächsten Jahr auf zwei Prozent verlangsamen wird, wie der Konsens erwartet.“
Die
Energiepreise könnten infolge des begrenzten Angebots zunächst sogar noch
weiter steigen, sollten sich Galy zufolge dann aber durch die wirtschaftliche
Abkühlung und eine sinkende Nachfrage auf einem niedrigeren Niveau
stabilisieren. Die Notenbanken tun ihr Übriges, sodass die Inflation
schließlich zurückgehen dürfte. Galy: „Da sich die Weltwirtschaft verlangsamt
und die Zentralbanken ihre Geldpolitik straffen, sollte die Inflation langsam
absinken.“ Angesichts gedämpfter Wachstumshoffnungen, erst mittelfristig
sinkender Inflation und nervöser Finanzmärkte rät der Stratege dazu, weiterhin
vorsichtig zu agieren. Dabei denkt Galy insbesondere an Value-Titel, die
eine hohe Qualität aufweisen, und nennt beispielsweise Coca-Cola und Air
Liquide.
Auf der Anleiheseite hebt der Experte die defensiven Qualitäten von Pfandbriefen hervor. Einen geeigneten Inflationsschutz böten derweil börsennotierte Infrastrukturunternehmen und Immobilien. Jenseits der defensiven Investments sieht Galy jedoch auch Chancen im Technologiebereich. So seien einige chinesische Technologietitel interessant, die vom Kampf gegen den Klimawandel profitieren, „da das Land in vielen Bereichen von Green Tech der Hauptproduzent ist.“ Doch auch über China hinaus böten Tech-Aktien inzwischen wieder gute Möglichkeiten: „Da die Angst vor einer raschen globalen Konjunkturabschwächung nachlässt, wittern wir Chancen bei einigen Technologie- und Disruptionsaktien, die unter Verwerfungen gelitten haben.“
Anzeichen
von Optimismus erkennt auch Chris Iggo, CIO Core Investments bei AXA Investment
Managers, vor allem auf der Anleiheseite.
„Selbst
in Zeiten fallender Zinsen dominieren bei festverzinslichen Anlagen die
Einnahmen die Gesamtrendite. Offenbar versuchen aktive Fondsmanager die
Volatilität bei den Kursen zu nutzen, um bessere Renditen als die 3
Vergleichsindizes zu erzielen. Langfristig aber sind die Einnahmen entscheidend. Betrachtet man repräsentative Indizes für globale, US-amerikanische, europäische und britische Unternehmensanleihen, so machte die Ertragskomponente an der Gesamtrendite von Anleihen seit dem Jahr 2000 zwischen 95 und 100 Prozent aus.
Angesichts höherer
Renditen sollten Anleiheinvestoren in den kommenden Monaten und Jahren
auf gesündere Gesamtrenditen hoffen. Kurzfristig ist die Rendite nicht
gleichbedeutend mit dem Ertrag, langfristig aber schon - so dass die Aussichten
bei Renditen von fünf Prozent für US-Unternehmensanleihen und vier Prozent für
ihre britischen Pendants viel besser sind. Höhere Renditen verbessern auch die
Absicherungsfähigkeit von Anleihen in Multi-Asset-Portfolios, da die Duration
mehr Spielraum für eine gute Entwicklung bietet beziehungsweise die Renditen
fallen können, wenn Risikoanlagen unter Druck geraten.
Der Weg zu Erholung ist bei Aktien länger. Ein Höchststand bei den Anleiherenditen ist entscheidend, da dies den Druck auf die Aktienbewertungen verringern wird. Die erwarteten Gewinnrenditen sind in den meisten Märkten noch höher als die Anleiherenditen, aber in den USA hat sich dieser Abstand verringert, und ein weiterer Rückgang des Kurs-Gewinn-Verhältnisses könnte notwendig sein, damit Aktien günstig sind. Die Gewinnerwartungen sind ebenfalls recht hoch, da der Konsens immer noch ein Wachstum von zehn Prozent für das kommende Jahr voraussagt.Sollte es zu einer Rezession kommen, wird es schwer sein, die Erträge um zehn Prozent zu steigern.
Eine Abfolge von Ereignissen, die mit einer gewissen Wende bei den Wachstums- und Inflationsdaten beginnt, die dann zum Höhepunkt der geldpolitischen Straffung und zu vorausschauenden Anzeichen einer gewissen Lockerung führt, wird den Aktienmärkten zumindest ein gewisses Maß an Beruhigung bringen. Dann geht es nur noch um Wachstum und Erträge und darum, wie tief der Abschwung ist. Bekommt Jerome Powell eine weiche Landung hin, werden sich die Aktienrenditen erholen. Wenn die Inflation über die Jahre 2023 bis 2024 zurückgeht, werden Growth-Titel den Weg weisen. Schließlich sprechen die angespannte Lage auf dem Arbeitsmarkt, aggressivere Gewerkschaften, höhere Löhne und Lieferkettenprobleme noch mehr für Technologie und Automatisierung.“
Das europäische Fragmentierungsproblem behandelt Bethany Payne,
Portfoliomanagerin von Janus Henderson, und stellt eine Frage in den Mittelpunkt: „Oft wurde
über einen „Backstop“ gesprochen, um die Anleihe-Spreads der Peripherieländer
einzudämmen, doch welche Optionen hat die EZB?
Wir sind der Meinung, dass die Zentralbank einen wirkungsvollen
Backstop entwickeln muss, der jedoch nicht gegen die gesetzlichen Vorschriften
der EZB zur monetären Finanzierung verstößt. Andernfalls besteht die Gefahr,
dass sie vor dem deutschen Verfassungsgericht angefochten wird. Hier könnte der
NextGenerationEU-Rahmen (NGEU) hilfreich sein.
Die NGEU ist
ein Eckpfeiler der europäischen Reaktion auf die Pandemie und unterstützt den
Aufschwung, indem sie den EU-Mitgliedstaaten unter der Bedingung spezifischer
Investitions- und Reformvorhaben finanzielle Unterstützung bietet.
Die
außerordentliche EZB-Sitzung am 15. Juni deutet unserer Meinung nach darauf
hin, dass die Zentralbank eher proaktiv als reaktiv gegen unbegründete
Marktbelastungen vorgehen wird, um den Weg für nachhaltige Zinserhöhungen zu
ebnen. Da wir davon ausgehen, dass die EZB die Zinssätze im Juli und
möglicherweise erneut im September um 0,25 % anheben wird, sollte unseres
Erachtens im Juli ein großzügiger Backstop angekündigt werden. In diesem Fall
werden die Renditen deutscher Bundesanleihen unter Druck geraten, die Risikoprämien
der Peripherieländer hingegen bleiben niedrig.“
Eine pointierte
Meinung zu den gestiegenen Energiepreise hat Dieter
Wermuth, Economist und Partner bei Wermuth Asset Management:
„Durch den
russischen Überfall auf die Ukraine haben sich die Marktpreise in die richtige
Richtung bewegt. Es muss nun aus klimapolitischen Gründen verhindert werden,
dass sie wieder auf ihr Vorkrisenniveau sinken, wenn sich die politische Lage
eines Tages wieder entspannt. Wie erfahrene Europapolitiker wissen, sollte eine
gute Krise nie ungenutzt bleiben. Mit anderen Worten muss in einem solchen Fall
die Anzahl der zu versteigernden Emissionsrechte kräftig vermindert
werden (was ihre Preise hochhält). Alternativ dazu müssten die diversen Steuern
und Abgaben auf Kohle, Erdöl, Strom und Gas Zug um Zug steigen, mit dem
Ziel, dass der Verbrauch CO2-intensiver Energie nicht wieder steigt. Am besten
wäre natürlich, wenn er weiter zurückginge.
Solche
Maßnahmen hätten den Effekt, dass die CO2-Abgaben der Nutzer fossiler
Brennstoffe großenteils im Lande bleiben, nämlich beim Staat. Heute übertragen
wir einen großen Teil unseres Einkommens in Form von hohen Einfuhrpreisen an
ausländische Produzenten fossiler Energie – sprich an Russland und Arabien. Da
die teure Energie äußerst regressiv auf die Einkommensverteilung wirkt, ärmere
Haushalte also relativ viel stärker belastet als reichere, kann der Staat seine
Einnahmen aus Emissionsrechten, Abgaben und Steuern auf Energie für
soziale Gegenmaßnahmen verwenden und so nicht nur seinen Klimazielen
näherkommen, sondern gleichzeitig gefährliche und ungerechte soziale
Schieflagen abmildern. Außerdem erleichtern diese Einnahmen die Finanzierung
des grünen Strukturwandels. Die Energiepreise dürfen nicht mehr sinken!!
Oder erst, wenn der Umstieg auf
Erneuerbare komplett gelungen ist.“
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