EU-Herbstprognosen: Neue Orientierung für europäische Wirtschaftspolitik? | |
11/2012 | |
Nicolaus Heinen | |
DB Research (Website) |
Die Herbstprognose der Europäischen Kommission vom 7. November ist mehr als reines Zahlenwerk. Sie hat auch Einfluss auf die wirtschaftspolitische Agenda in EU und Eurozone. Frankreich bleibt Sorgenkind.
16.11.2012 | 14:04 Uhr
Die Herbstprognose zeichnet ein gemischtes Bild: Die Ausgangslage der Eurokrisenstaaten hat sich im Vergleich zur Frühjahrsprognose verschlechtert.
Defizite in Budgets und Leistungsbilanz sowie die Arbeitslosigkeit ließen sich mittelfristig über höheres Wachstum abbauen. Eine Voraussetzung dafür ist eine erhöhte Preiswettbewerbsfähigkeit der Krisenländer, die in einer Währungsunion mit fixierten Wechselkursen gegenüber den anderen Mitgliedern der Währungsunion allein über eine reale Abwertung erreicht werden kann. Ein Blick auf die realen effektiven Wechselkurse zeigt, dass diese reale Abwertung der Krisenländer stärker ausfallen dürfte als noch im Frühjahr prognostiziert. Allerdings: Um Wachstum in Krisenländern zu schaffen, reicht das allein nicht aus – vor allem nicht, wenn Risiken für die Weltkonjunktur Exporterfolge klein halten und Strukturreformen nicht im gewünschten Maße Vertrauen schaffen und Investoren begeistern. Und so hat die Kommission auch ihre Wachstumsprognosen für die meisten Länder nach unten revidiert (Ausnahme: Deutschland). Laut Kommission wächst die Eurozone im Jahr 2013 nur noch um 0,1% – eine Korrektur von 0,9 Prozentpunkten seit Frühjahr.
Insbesondere Frankreich bereitet Sorgen. Frankreichs Wirtschaft stagniert bei weiterhin schlechten Konjunkturaussichten und schwacher Exportentwicklung. Bereits im Frühjahr beklagte die Kommission (Alert Mechanism Report) mangelnde Preis- und Nichtpreiswettbewerbsfähigkeit, abnehmende Anteile auf den Weltexportmärkten, unprofitabel wirtschaftende Unternehmen und geringe Investitionsanreize. Die Defizitprognose für Frankreich liegt bei über 3,5% für 2013 und 2014 – das ist weit vom ursprünglichen Ziel der französischen Regierung entfernt, das Haushaltsdefizit im Jahr 2013 wieder unter die Maastricht-Marke zu senken. Ein Befreiungsschlag ist nicht in Sicht: Der jüngste Vorschlag der Gallois-Kommission, die über angebotsseitige Reformen Frankreich wettbewerbsfähiger machen möchte, gilt als nicht kompromissfähig. Eine erste Verständigung gibt es zumindest über eine Entlastung von Unternehmen in Höhe von EUR 10 Mrd. – vorerst ein Nullsummenspiel, da Unternehmenssteuern im Rahmen eines Konsolidierungspakets im letzten Sommer zunächst erhöht wurden. An die gesetzlich vorgeschriebene 35-Stundenwoche traut sich niemand heran.
Die Herbstprognose ist mehr als reines Zahlenwerk. Sie nimmt direkten Einfluss auf die Wirtschaftspolitik der EU-Mitgliedstaaten – und zwar über drei Kanäle.
Selbst wenn sie hart bliebe: Ein Blick in die Tabelle zeigt, dass sieben der 17 Euroländer ihr Korrekturziel verfehlen. Wenn Frankreich mit dabei wäre, könnten sich schnell starke Koalitionen bilden, um einen blauen Brief oder Sanktionen mit qualifizierter Mehrheit zu verhindern. Somit steht zu befürchten, dass der Stabilitäts- und Wachstumspakt trotz seiner vielversprechenden Reform im letzten Jahr nicht in der erhofften Konsequenz angewandt wird.
Europa, so scheint es, ist derzeit von glaubwürdigem Drohpotenzial gegen Defizitsünder mindestens so weit entfernt wie von durchweg soliden Haushaltszahlen.
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