Das Umfeld für die Finanzmärkte ist seit Jahresanfang sehr freundlich.
So haben die Konjunkturdaten in den vergangenen Monaten mehrheitlich positiv
überrascht. Allen voran ist die US-Wirtschaft mit Schwung ins Jahr gestartet.
Das eindrücklichste Signal war der kräftige Beschäftigungszuwachs im Januar
(+353.000 neue Stellen). Darüber hinaus mehren sich in der Eurozone die
Anzeichen einer zaghaften Erholung der schwer gebeutelten Industrie. Gleichzeitig
bleibt der globale Disinflationstrend intakt, auch wenn die
Januar-Inflationsdaten in den USA und der Eurozone etwas höher ausfielen als
erwartet. Dessen unbenommen lagen die Teuerungsraten in den USA und der
Eurozone zu Jahresbeginn nur noch bei rund 3,0% – ausgehend von 9,1% bzw. 10,7%
Ende 2022.
Insgesamt kommt das aktuelle Umfeld bereits dem nahe, was als
Goldilocks bezeichnet wird. Ein solcher Rahmen, der durch maßvolles Wachstum
und Inflation gekennzeichnet ist, lässt einerseits die Kassen der Unternehmen
klingeln und eröffnet andererseits den Notenbanken den Spielraum, die
Leitzinsen zu senken – beides spielt Aktien in die Karten. In Anbetracht dessen
verwundert es nicht, dass zahlreiche Börsenindizes in den vergangenen Tagen
neue Rekorde oder zumindest zyklische Höchststände erklommen haben. Anders als
Aktien haben Staatsanleihen unter den freundlichen Konjunkturdaten gelitten.
Die aggressiven Wetten auf sinkende Leitzinsen, die sich Ende 2023
verselbstständigt hatten, haben dadurch einen Dämpfer erfahren.
Wir gehen davon aus, dass der aktuell konstruktive
Rahmen für Aktien noch einige Wochen anhält (siehe Abbildung 1). Neben dem fundamentalen spricht dafür auch das
freundliche technische Umfeld. Die globalen
Aktienmärkte dürften in Anbetracht dessen neue Rekorde ins Visier nehmen:
Der DAX sollte auf 18.000 Punkte und der S&P500 auf 5.200 Punkte zusteuern.
Auch bei den Staatsanleihen-Renditen ist ein nochmaliges Zucken nach oben,
welches die Renditen 10-jähriger Bundesanleihen sogar über 2,50% schieben
könnte, nicht auszuschließen. Allerdings gehen wir davon aus, dass die kommenden
Inflationsdaten wieder freundlicher ausfallen und somit die Bondmärkte von
dieser Seite gestützt werden. In Anbetracht
dessen ist kurzfristig eine volatile Seitwärtsbewegung bei Staatsanleihen das
wahrscheinlichste Szenario.
Das nahezu optimale Umfeld für Risikoassets wird aber nicht das ganze
Jahr über anhalten. Spätestens im Sommer dürfte es zu einem Regimewechsel
kommen – doch in welche Richtung? Zweifellos hat die US-Wirtschaft die scharfe
geldpolitische Restriktion der vergangenen zwei Jahre besser weggesteckt als
erwartet. Eine Rezession scheint aus heutiger Sicht abgewendet. Dennoch bleibt
es wahrscheinlich, dass sich die US-Konjunktur im Jahresverlauf abkühlt.
Einerseits sind die geldpolitischen Bremseffekte weiterhin wirksam,
andererseits verlieren die Fiskalimpulse aus den Jahren 2020/2021 immer mehr an
Kraft. Unser Basisszenario ist daher, dass die US-Wachstumsraten im 2. Halbjahr
unter die Potenzialrate fallen. Ein noch stärkerer Einbruch ist denkbar, bedarf
wohl aber eines zusätzlichen Triggers (zum Beispiel eines exogenen Schocks),
der nicht prognostizierbar ist.
Kommt es zu einer konjunkturellen Abkühlung in den USA, wird darunter
auch die Eurozone leiden. Die wirtschaftliche Belebung dürfte noch blutleerer
ausfallen als ohnehin erwartet. Gleichzeitig würde es den Unternehmen wegen der
lahmenden Weltwirtschaft schwerfallen, höhere Preise durchzusetzen. Der
Disinflationstrend bekäme von dieser Seite einen weiteren Schub. Die
Teuerungsraten dürften sich somit in den USA und der Eurozone mit großen
Schritten der 2%-Marke nähern. Von der chinesischen Wirtschaft ist kein großer
Impuls für die beiden großen Volkswirtschaften zu erwarten. In der Summe dürfte
das Wirtschaftswachstum hinter das Tempo von +5,2% aus dem Jahr 2023
zurückfallen. Wir rechnen 2024 mit einem Plus von knapp 5,0%.
In einem solchen Umfeld, das durch eine schwache Konjunktur und
rückläufige Teuerungsraten geprägt ist, können Fed und EZB die Leitzinsen auf
ein neutrales Niveau zurückfahren – wohl aber nicht viel darunter. Das
Potenzial für Leitzinssenkungen liegt in diesem Fall in den USA bei mindestens
200 Basispunkten und in der Eurozone bei 150 Basispunkten. Das ist mehr, als
derzeit an den Geldterminmärkten eingepreist ist (jeweils rund 90 bis 100
Basispunkte in den USA und der Eurozone). Entsprechend haben die Renditen von
Staatsanleihen noch Luft nach unten. Allerdings ist das Ausmaß begrenzt, wenn
es zu keinem scharfen Einbruch der Weltwirtschaft kommt. Mithin sehen wir die
Renditen 10-jähriger deutscher Bundesanleihen zum Jahresende rund 40 bis 50
Basispunkte tiefer als aktuell und damit leicht unter der 2,00%-Marke.
10-jährige US-Treasuries dürften circa 80 Basispunkte niedriger rentieren, was
einem Renditeniveau von rund 3,50% entspricht.
Bezogen auf die Aktienmärkte ist unser Basisszenario – Abschwächung der
Weltwirtschaft, aber keine Rezession – sicherlich kein Schreckensszenario.
Dennoch werden die Analysten nicht umhinkommen, ihre zum Teil sportlichen
Gewinnschätzungen (S&P500: rund 10% für 2024 und 2025, DAX: 5% bis 10%)
nach unten zu korrigieren (siehe Abbildung 2).
Hinzu kommen die ambitionierten Bewertungen bei Technologie-Aktien
(KGV > 30), die euphorische beziehungsweise sorglose Stimmung und
die mittlerweile einseitige Positionierung, die sich in einem starken
Übergewicht bei Aktien spiegelt. Ein moderater Rücksetzer im
2. Halbjahr an den globalen Aktienmärkten erscheint in Anbetracht dessen
plausibel. Somit dürfte sich auch die aktuell zu beobachtende Outperformance
der zyklischen Aktien nur als kurzfristiges Zwischenspiel erweisen. Schon bald
werden erneut defensive Titel in den Fokus rücken.
Parallel zu Aktien haben zuletzt auch andere Risikoassets zu einem
Höhenflug angesetzt. So sind etwa die Risikoaufschläge von High-Yields
gegenüber Staatsanleihen in den USA und der Eurozone erstmals seit Anfang 2022
wieder erkennbar unter 400 Basispunkte abgesackt. Dieser Trend kann im Einklang
mit der Aktienhausse noch einige Wochen anhalten. Im weiteren Jahresverlauf
sollte jedoch die weltwirtschaftliche Verunsicherung eine Gegenbewegung
einleiten. Aber auch hier gilt: Bleibt die US-Rezession aus, werden sich die
Rückschläge speziell bei den konservativen Anleihensegmenten in Grenzen halten.
So sollten etwa Investment-Grade-Unternehmensanleihen moderate
Spreadausweitungen problemlos über die Coupons abfedern können.
Unserem Basisszenario steht ein gewichtiges Risikoszenario gegenüber.
Die US-Wirtschaft hat sich bislang widerstandsfähiger gezeigt als gedacht. Es ist daher nicht auszuschließen, dass die
restriktiven monetären Impulse wirkungslos verpuffen und somit die
US-Wirtschaft das gesamte Jahr über mit 2% bis 3% expandiert. Im
Einklang damit dürfte der Arbeitsmarkt eng und der Lohndruck hoch bleiben.
Somit besteht die Gefahr, dass die US-Inflationsraten wieder nach oben drehen,
noch bevor sie die 2%-Marke erreicht haben.
Für die Fed gäbe es dann kaum einen Grund, die Geldpolitik zu lockern.
Die Leitzinsen dürften mithin bestenfalls homöopathisch gesenkt werden (25 bis
75 Basispunkte). In der Folge würden an den Geldterminmärkten weitere
Leitzinssenkungen ausgepreist, womit steigende Staatsanleihenrenditen verbunden
wären. In unserem Risikoszenario gehen wird
daher davon aus, dass die Rendite-Hochs aus dem Jahr 2023 – 3,03% bei
10-jährigen Bundesanleihen, 5,02% bei US-Treasuries – nochmals getestet werden.
Die Konsequenzen unseres Risikoszenarios für Aktien wären ambivalenter
Natur. Die anhaltend robuste Konjunktur würde zwar stützend wirken, im Gegenzug
wären aber die steigenden Renditen ein Belastungsfaktor. Angesichts der beschriebenen Fragilität (hohe
Bewertungen, ausgereiztes Sentiment, einseitige Positionierung) ist somit auch
in diesem Szenario ein moderater Rücksetzer an den globalen Aktienmärkten sehr
wahrscheinlich.
Investment-Grade-Unternehmensanleihen dürften sich hingegen auch in
diesem Umfeld gut behaupten. Sie würden zwar ebenfalls unter den steigenden
Renditen leiden, sind aber aufgrund ihrer höheren Coupons dagegen besser
geschützt als Staatsanleihen.
Die eigentlichen Gewinner des Risikoszenarios wären aber Rohstoffe und inflationsindexierte
Staatsanleihen, die von der anhaltend brummenden Weltwirtschaft und den damit
verbundenen Inflationsgefahren profitieren würden. Auch für zahlreiche
Schwellenländer wäre dies ein konstruktives Umfeld.
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