Die europäischen Regulierungs- und Aufsichtsbehörden wollen den Verbraucherschutz verbessern. Gleichzeitig sollen mehr private Anleger dazu ermuntert werden, Kapital zu bilden und in Wertpapiere und Finanzprodukte zu investieren. Eine Gratwanderung.
17.09.2021 | 07:30 Uhr
Die Regulierung des Finanzmarkts ist eine der großen Herausforderungen dieser Jahre, vielleicht sogar Jahrzehnte. Als die Europäische Union das Projekt startete, Banken, Versicherern, Beratern, Finanzprodukteentwicklern und Vermögensverwaltern strengere Auflagen zu machen, standen Regierungen und Aufsichtsbehörden noch unter dem Eindruck der Finanzkrise. „So etwas darf nie wieder passieren“ war der Schlachtruf der Regulierer. Gemeint war damit insbesondere der Vertrieb von intransparenten Finanzprodukten, die maßgeblich zum Crash 2008/2009 beigetragen und viele private Investoren massiv geschädigt hatten.
Verbraucherschutz steht deshalb im Fokus der Regulierung. Seit Jahren justieren Gesetzgeber und Aufsichtsbehörden hier immer wieder nach. Das ist auch nötig. Denn es wird immer deutlicher, dass die Gesetze zum Schutz der Privatanleger nicht dazu taugen, in Stein gemeißelt zu werden. Zu komplex sind die Regelwerke, zu vielfältig ist der Finanzmarkt, und zu schnell entwickeln sich neue Techniken und Geschäftsmodelle, als dass es möglich wäre, mit einem allumfassenden Paragrafenwerk die Branche angemessen zu regulieren. Ein Beispiel dafür ist der jüngste Boom der sogenannten Neobroker, die Anlegern vorgeblich kostenfreies Handeln an den Börsen ermöglichen, verdeckt jedoch an Kickbacks verdienen. Eigentlich sollte das verboten sein. Eine Gesetzeslücke macht es jedoch möglich. Ein weiteres Beispiel ist der Handel mit Kryptowährungen. Noch immer ist dieser Markt nicht komplett reguliert. Immerhin haben die Regulierungsbehörden hier schnell dazugelernt und befassen sich intensiv mit dem Thema.
Auslöser für den jüngsten Reformvorstoß ist ein Arbeitspapier der Europäischen Kommission vom Juli 2021. Dort wird festgestellt, dass es in den Privathaushalten in der EU seit Beginn der Corona-Pandemie einen signifikanten Trendwechsel bei der Geldanlage gibt. Während der monatelangen Lockdowns haben die EU-Bürger zunehmend Spaß daran gefunden, in Wertpapiere zu investieren. Grundsätzlich wird dies begrüßt. Gleichzeitig haben die Autoren des Arbeitspapiers neue Problemfelder ausgemacht. So sei etwa Greenwashing bei Finanzprodukten, die als nachhaltig beworben würden, ein Problem. Hier will die Kommission noch einmal deutlich nachbessern, um mehr Klarheit zu schaffen, was ESG-konform ist und was nicht. Die nächste Überarbeitung von MiFID II und der EU- Offenlegungsverordnung, die ab dem kommendem Jahr Emittenten dazu verpflichtet, detailliert darzulegen, ob und wie sehr ESG-Kriterien in ihren Produkten berücksichtigt sind, ist bereits in der Diskussion. Dabei will die EU-Kommission den Spagat schaffen, für mehr Klarheit zu sorgen und gleichzeitig die Komplexität der Dokumentation zu reduzieren. Würden alle Offenlegungsvorschriften umgesetzt, drohe eine „Informationsüberlastung“, was dazu führen könne, dass sowohl Vermittler als auch Anleger aufgrund irreführender Produktanreize die falschen Entscheidungen träfen. Das sei kontraproduktiv.
Reformbedürftig ist nach Aussage der Kommission auch die Struktur der Gesetzgebung. Die bereits geltenden und beschlossenen Anlegerschutzvorschriften verteilen sich derzeit über verschiedene sektorspezifische Rechtsvorschriften und sind zum Teil uneinheitlich oder sogar widersprüchlich. Im für Anfang 2022 vorgesehenen Überprüfungsbericht sollen Alternativvorschläge enthalten sein, die für mehr Einheitlichkeit sorgen sollen.
Wichtig ist den Regulierern auch der Blick auf die Kosten. So wurden im dritten Jahresbericht der europäischen Regulierungsbehörde ESMA die Kosten und die Performance von EU-Retail-Investmentprodukten kritisch untersucht. Ergebnis: Privatanleger zahlen für Fonds im Schnitt 40 Prozent mehr als institutionelle Investoren. Eine höhere Performance können sie dafür jedoch nicht erwarten. Das sei so nicht hinnehmbar, argumentiert die ESMA. In das gleiche Horn stößt die EIOPA. Bis zum 16. Juli 2021 konsultierte die Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung ein Rahmenwerk, um das Preis-Leistungs-Risiko für fondsgebundene Versicherungen neu zu justieren. Nach Ansicht der Aufsichtsbehörde sind die Kosten für fondsgebundene Produkte zu hoch. Die EIOPA will eine ganzheitliche Betrachtung von fondsgebundenen Versicherungslösungen. Produkttests sollen für Transparenz schaffen und dafür sorgen, dass keine „ungemessenen Kosten“ entstehen. Zudem sollen für Produkte, die die für Verbraucher nur schwer zu verstehen sind, die Zielmärkte feiner zugeschnitten werden. Sprich: Je komplexer ein Produkt, desto kleiner wird in Zukunft der Markt sein, in dem es vertrieben werden darf.
Fazit: Regulierung ist kein Zustand, sondern ein Prozess. Für die Finanzbranche dürfte diese Erkenntnis in den kommenden Jahren noch zu der einen oder anderen Überraschung führen. Das BGH-Urteil vom April zur Unwirksamkeit der sogenannten Zustimmungsklausel in den AGBs von Sparkassen und Banken dürfte nur der Anfang gewesen sein. In Zukunft könnten neue Regularien, die den Anlegerschutz in den Mittelpunkt stellen, zu weiteren weitreichenden Grundsatzentscheidungen der Gerichte führen.
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