Die EU-Taxonomie nimmt allmählich Gestalt an. Die Offenlegungsverordnung folgt auf dem Fuß. Ab 2023 soll der Prozess abgeschlossen sein. Finanzprodukte sind dann klassifiziert. Und Berater wissen, worauf sie achten müssen. Das ist der Plan. Die Realität sieht anders aus.
22.07.2022 | 07:30 Uhr
Regulierung braucht ihre Zeit. Diese Erfahrung machen Gesetzgeber und Finanzindustrie nun schon seit Jahren. Als es ab 2009, nach der großen Finanzkrise, zunächst darum ging, den Anlegerschutz zu stärken, zogen sich die Prozesse rund um die EU-Finanzmarktrichtlinie (MiFID II) und die EU-Finanzmarktverordnung (MiFIR) in die Länge. Die Regelungen zu den „Packaged Retail Investment Products“ (PRIPs), einem wesentlichen Teil von MiFID II, drohte gar im Chaos zu versinken, als immer deutlicher wurde, wie schwer es ist, eine einheitliche Lösung für alle Finanzprodukte zu finden.
Auch die Versicherungsbranche kann ein Lied davon singen, wie komplex das Thema Regulierung ist. So hat sich allein die Neufassung der Versicherungsvermittlerrichtline (IMD II) über mehr als fünf Jahre gestreckt. Kaum vollzogen, ist die Richtlinie schon wieder Geschichte. Sie ist erneut reformiert worden, heißt nun Nachhaltigkeits-Vermittlerrichtlinie und fußt auf den Grundlagen und Definitionsbeschreibungen der Offenlegungs-Verordnung (engl. Sustainable Finance Disclosure Regulation (SFDR)) sowie der europäischen Taxonomie-Verordnung.
Die SFDR ist der neue Kern zur Regulierung der gesamten Finanzbranche. Das Thema bestimmt in Brüssel derzeit die Tagesordnung. Das Ziel: Alle Anbieter von Finanzprodukten, egal ob etwa Policen oder Fonds, müssen in den betreffenden Produkt- bzw. Fonds-Prospekten darlegen, in welchem Ausmaß sie welche ESG-Kriterien erfüllen. Wie was zu bewerten ist, steht in der EU-Taxonomie, die bis Ende 2022 fertiggestellt sein soll. Ab Januar 2023 sollen dann Taxonomie und Offenlegungsverordnung in der Anlageberatung gemeinsam angewendet werden. Berater sollen ihre Kunden nach ihren Anlagepräferenzen zum Thema Nachhaltigkeit befragen. Empfohlen werden dürfen danach nur solche Finanzprodukte, die laut Taxonomie die Präferenzen der befragten Anleger erfüllen.
Ob die Taxonomie bis zu Jahreswechsel tatsächlich so weit steht, dass Berater sie nach Erfragung der Anlagepräferenzen verwenden können, darf bezweifelt werden. Denn von den Kriterien innerhalb der Taxonomie, die sich auf ökologische Aspekte beziehen, quasi die E-Taxonomie, sind erst zwei Ziele ausformuliert: CO2-Minderung und Anpassung an den Klimawandel. Die vier weiteren Ziele, nämlich Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft, Vermeidung und Kontrolle der Umweltverschmutzung, nachhaltige Nutzung und der Schutz der Wasser- und Meeresressourcen sowie Schutz und die Wiederherstellung der Biodiversität und der Ökosysteme, sind noch in der Diskussion und sollen erst Ende 2022 verabschiedet werden. Völlig offen ist das Rennen beim Thema Soziale Nachhaltigkeit, dem Buchstaben S in ESG. Die Definition der sozialen Ziele ist komplex. Zum Teil stehen sich E- und S-Ziele gegenseitig im Weg. Hier muss die EU-Plattform für nachhaltige Finanzen, die für die Kommission den Weg für einen Legislativvorschlag ebnet, noch Kompromisslösungen erarbeiten.
Die Fondsgesellschaften gehen mit der Situation bislang pragmatisch um: Sie orientieren sich bei der Beschreibung ihrer Produkte an den bisher bekannten Vorgaben und hoffen, ab Januar 2023 möglichst ohne Reibungsverluste die erforderlichen Merkmale und Kriterien in die Verkaufsprospekte und Jahresberichte ihrer Fonds einbauen zu können. Für Versicherungsmakler ist das Vorgehen ein juristisch heikles Thema. Denn die Makler, die ab 2. August 2022 dazu verpflichtet sind, von ihren Kunden die Anlagepräferenzen zu erfragen, müssen sich bis Ende 2022 auf die mehr oder weniger verbindlichen Angaben der Fondsgesellschaften verlassen. Dass die Versicherungsregulierung schon einen Schritt weiter ist, führt zudem zu merkwürdigen Konstellationen: So ist etwa ein Versicherungsvermittler verpflichtet, Nachhaltigkeitspräferenzen zu ermitteln, sofern er eine fondsgebundene Lebensversicherung empfiehlt. Für einen Fondssparplan ist derselbe Vermittler dazu jedoch noch nicht verpflichtet. Auch für 34f-Vermittler ist die Sachlage kompliziert. Sie sind von der Pflicht zur Ermittlung der Anlagepräferenzen ihrer Kunden zwar noch ausgenommen. Aufatmen können sie deshalb aber eigentlich nicht. Denn die Ausnahme von der Abfragepflicht bedeutet letztlich, dass 34f-Vermittler ab August keine haftungssicheren Produktempfehlungen geben dürfen. Ein gemeinsames Verbändekonzept sieht nur unverbindliche Mindeststandards vor. Rechtliche Sicherheit gewährleistet das nicht. 34fler bewegen sich hier also ab August in einer rechtlichen Grauzone.
Ausblick: Die Probleme sind auch den Aufsichtsbehörden bekannt. Deshalb ist nicht damit zu rechnen, dass Anlageberater und -vermittler in diesem Jahr im Rahmen der Anlageberatung zu nachhaltigen Investments in juristische Schwierigkeiten geraten sollten. Worauf sollten sich Aufsichtsbehörden oder Gerichte auch berufen? Die Taxonomie steht schließlich noch nicht. Alle Marktteilnehmer bewegen sich deshalb auf ähnlich unsicherem Grund. Spannend ist derzeit deshalb vor allem die Frage, ob die vollständige Anwendung der Offenlegungs-VO tatsächlich wie geplant ab 1. Januar 2023 erfolgen soll. Die Erfahrung lehrt: Regulierung braucht eben ihre Zeit. Siehe oben.
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