Anleger fliehen aus "Artikel 9"-Fonds

TiAM FundResearch blickt auf die Woche zurück und gibt einen Ausblick auf die kommenden Tage. Diesmal im Fokus: Anleger machen einen Bogen um grüne Investments.

14.10.2024 | 07:15 Uhr

Rückblick auf die vergangene Woche

Grüne Investments sind immer weniger gefragt. Einer aktuellen Morningstar-Statistik zufolge haben Anleger von Januar bis August dieses Jahres netto 54,5 Milliarden Euro in sogenannte "Artikel 8"-Fonds mit Nachhaltigkeitsanspruch investiert. Gleichzeitig zogen sie 14,1 Milliarden Euro aus Strategien ab, die darüber hinaus auch eine nachhaltige Wirkung erzielen wollen und gemäß Offenlegungsverordnung als "Artikel 9"-Produkte kategorisiert sind. In die Fonds ohne Nachhaltigkeitsanspruch flossen dagegen 156,9 Milliarden Euro.

Für die Regulierer in Brüssel ist die Statistik eine Ohrfeige. Nicht nur wegen der aktuellen Zahlen. Sondern vor allem vor dem Hintergrund, dass bereits seit zweieinhalb Jahren das Interesse an grünen Investmentfonds sinkt. Hauptgrund für die Zurückhaltung der Anleger ist die nach wie vor hohe Intransparenz der Bewertung. Was als nachhaltig gelten darf und warum, können die meisten Privatanleger kaum nachvollziehen. Und damit stehen sie in einer Reihe mit vielen Profis in der Finanzindustrie. Die Offenlegungsverordnung (SFDR), die vorschreibt, wie die Emittenten ihre Investmentfonds kategorisieren sollen, entpuppt sich vor allem als bürokratisches Monster mit kaum überschaubarem administrativem Aufwand für alle Beteiligten. Man sollte die Papierberge, die dabei schon entstanden sind, lieber nicht in Bäume und Energieverbrauch umrechnen. Der ökologische Fußabdruck wäre vermutlich verheerend groß.

Immerhin macht man sich in den Elfenbeintürmen in Brüssel Gedanken darüber, wie das hoch gesteckte Ziele einer grünen Wirtschaftstransformation, wesentlich angetrieben durch den Finanzmarkt, regulatorisch noch hinzubekommen ist. Die Europäische Kommission und die Europäischen Aufsichtsbehörden (ESA) stellen die bisherige Kategorisierung von Artikel 8 und 9 derzeit infrage. Im Gespräch ist eine Ergänzung und Verfeinerung der Offenlegungsverordnung. Auch die Einführung eines komplett neuen Bewertungssystems wird diskutiert. Auf jeden Fall sollen neue Regeln die Offenlegungsdokumentation für die Emittenten vereinfachen und die Nachhaltigkeitsprofile von Produkten für Kleinanleger leichter verständlich machen. Insgesamt soll alles transparenter werden.

Das klingt erst einmal hoffnungsvoll. Liest man sich die konkreten Vorschläge dazu durch, kann man jedoch bereits erahnen, dass vermutlich eher eine Verschlimmbesserung der Offenlegungsverordnung droht. Statt die Kriterien der Bewertung zu vereinfachen, wirft die Europäische Kommission neue Kategorisierungs-Paramenter in den Ring. So sollen nachhaltige Produkte einen Mindest-„Nachhaltigkeitsschwellenwert“ einhalten. Für ökologisch nachhaltige Produkte soll ein solcher Schwellenwert auf Investitionen in taxonomiekonforme wirtschaftliche Aktivitäten basieren. Die nicht an der Taxonomie ausgerichteten Investment-Komponenten sollen zumindest nicht signifikant ESG-Kriterien verletzen. Was dies genau bedeutet, müsste noch detailliert geklärt werden. Allein das Konzept für eine Bewertung zu entwickeln, die definiert, was „nicht schädlich“ ist, dürfte sehr spannend werden. 

Ebenso herausfordernd dürfte die Umsetzung des Vorschlags werden, sogenannte Übergangsprodukte zu bewerten – also Investments in Aktivitäten oder Vermögenswerte, die zwar noch nicht nachhaltig sind, die aber im Laufe der Zeit versprechen, nachhaltiger zu werden. Die Idee dahinter ist an sich gut. Man könnte dadurch theoretisch ökologische Innovationen fördern. Doch mit welchen harten Kriterien will man das messen? Die Kommission schlägt vor, die schrittweise Verbesserung der Umweltleistung, offengelegte Übergangspläne, Produkt-Dekarbonisierungsverläufe und die Minderung der wichtigsten nachteiligen Auswirkungen (Principal Adverse Impacts, PAIs) auf Produktebene aufzuzeigen. Mit anderen Worten: Die Unternehmen dokumentieren ihre Fortschritte, und entweder Ratingagenturen oder Investmentgesellschaften bewerten die Dokumentationen fortlaufend und lassen die Ergebnisse in ihre Fondsbewertungen einfließen. Praxisnah klingt das nicht.

Ungeklärt ist auch die Skala, auf der die Bewertung erfolgen soll, sowie das Zusammenspiel zwischen SFDR und EU-Taxonomie. Nach wie vor lassen sich zuweilen ökologische und soziale Kriterien nicht widerspruchsfrei unter einen Hut bringen. Dieses Problem wird auch eine neue Bewertungsskala nicht lösen. Es bräuchte eigentlich drei Bewertungsskalen - für das E, das S und das G.

Unterm Strich klingt dies Alles eher nach Verkomplizierung und viel zu kleinteiliger Regulierung. Vielleicht sollte man die Sache grundsätzlich ganz anders angehen. An dieser Stelle ein  unkonventioneller Vorschlag: Die ESA könnte einen sehr einfachen und grundsätzlichen Kriterienkatalog entwerfen. Nennen wir ihn die „Zehn Gebote für nachhaltiges Investieren“. Eine Arbeitsgruppe, bestehend aus Regulierern, Juristen und Investmentprofis bewertet anhand dieser Gebote mit gesundem Menschenverstand stichprobenartig 50 Investmentfonds sowie die Aktien und Anleihen der betreffenden Unternehmen in diesen Fonds. Die Bewertung erfolgt mit Schulnoten. Eine Eins bekommen die grünen Musterschüler, die mit grüner Energie, ökologischen Innovationen, guter Unternehmensführung und und sozialem Engagement die Welt besser machen. Sechser gehen an die Ökosünder, die in Entwicklungsländern Kinder für sich arbeiten lassen. Danach wirft man die Ergebnisse und die schriftlichen Begründungen für diese Ergebnisse in eine Datenbank und lässt eine Künstliche Intelligenz alle anderen Fonds auf Grundlage der Bewertungen der ersten 50 Fonds durchgängig Nachhaltigkeits-Schulnoten vergeben.

Das Ergebnis wäre zwar nur in Teilen nachvollziehbar und vermutlich nicht perfekt. Aber das ist die derzeitige Regulierung auch nicht.

Interessante Termine der kommenden Woche

Am Dienstag findet in Berlin im Paul-Löbe-Haus im Bundestag ein Hybrid-Fachgespräch der Grünen-Bundestagsfraktion statt. Das Thema: „Finanzierung der Transformation – was braucht der Mittelstand“. Die Grünen geben als Untertitel an: Wie kann die Bundespolitik unterstützen? Welche Instrumente sind am effektivsten? Offen ist, ob dies nur rhetorische Fragen sind und die Grünen nur ihre Ideen präsentieren wollen. Oder ob die Politiker tatsächlich zuhören und aufbauend auf den Ergebnissen des Gesprächs passende Maßnahmenpakete entwerfen. Ebenfalls am Dienstag treffen sich in Luxemburg die EU-Minister für Energie, um über den Beitrag des Energiesektors zur Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union sowie die Divergenz der Stromgroßhandelspreise innerhalb der EU zu beraten. Auch die Vorbereitung auf den Winter 2024/2025 mit Blick auf die Versorgungssicherheit in der EU, die Energiesituation in der Ukraine und ein Bericht zum Stand der Energieunion stehen auf der Tagesordnung.

Am Mittwoch veröffentlicht das Statistische Bundesamt aktuelle Zahlen zu den Einzelhandelsumsätzen im August 2024. Der vorläufigen Schätzung zufolge haben die Einzelhändler preis-, kalender- und saisonbereinigt real 2,1 Prozent mehr umgesetzt als im August 2023. Nach Rückgängen im Mai und Juni sahen die Zahlen schon im Juli besser aus. Vielleicht zeichnet sich ja hier eine kleine Trendwende ab.

Am Donnerstag entscheidet der EZB-Rat darüber, ob und in welchem Umfang die Europäische Zentralbank die Leitzinsen senken wird.

Am Freitag stellen Prof. Dr. Julia Backmann von der Universität Münster und Carsten Meiervon von Intraprenör ihre Studienergebnisse und Erfahrungen vor. Es ging in dem Projekt darum, zu untersuchen, wie sich eine 4-Tage-Woche auf Unternehmen und Beschäftigte auswirkt. An der Studie teilgenommen haben 45 Unternehmen. Intraprenör selbst entwickelt nach eigener Aussage seit zehn Jahren sogenannte People Companies: Intraprenör bezeichnet so Organisationen, „die Menschen in den Mittelpunkt ihres Tuns stellen“. Revolutionär. Das klingt nach einem echten USP und Breakthrough. Oder so.

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