Augen auf bei „Fractional Bonds“
Viele Anleihen mit attraktiver Rendite sind Privatanlegern nicht zugänglich. Mit sogenannten „Fractional Bonds“ können sie nun Zugang zu diesem Markt erlangen. Das ist aber nur die halbe Wahrheit.23.02.2024 | 12:15 Uhr
Der Rentenmarkt bot vielleicht noch niemals so günstige Gelegenheiten wie derzeit. Die Renditen fest verzinslicher Staatsanleihen mit hoher Bonität und ausreichend langer Laufzeit liegen bei 2,5 bis vier Prozent und damit teilweise höher als die aktuelle Inflation. Unternehmens-Anleihen bieten zum Teil erheblich höhere Renditen – und das in einem Szenario, in dem kaum vorstellbar ist, dass die Notenbanken die Zinsen in absehbarer Zeit erhöhen wollen. Im Gegenteil: Experten erwarten, dass die großen Zentralbanken der Industrieländer in diesem Jahr die Zinssätze erheblich senken werden, was zusätzliche Volatilität auf den Anleihemärkten zur Folge haben könnte. Einzig die Meinungen über den Zeitpunkt dieser Senkungen gehen auseinander. Zuletzt ließen die positiven volkswirtschaftlichen Daten aus Übersee und Europa die Notenbanken noch zögern, die Zinsschraube zu lockern. Das Risiko, dass die Inflationsraten noch einmal steigen könnten, scheint den Notenbankern noch zu hoch. Deshalb verharren die Zinsen noch auf einem vergleichsweise hohen Niveau. Doch dass die Zinsen irgendwann in den kommenden zwölf bis 18 Monaten sinken werden, scheint ausgemachte Sache. Denn die realen Zinsen beginnen die Volkswirtschaften immer stärker zu belasten. Für Anleger, die auf der Suche nach Anleihen sind, die attraktive Renditen bieten, ist dies das ideale Umfeld, um sich jetzt Papiere zu sichern, die nicht nur gut verzinst sind, sondern im Falle von Zinssenkungen durch die Zentralbanken auch ein ordentliches Kurssteigerungspotenzial bieten.
Teile von Anleihen als Lösung eines Problems?
Soweit die Theorie. In der Praxis stoßen Privatanleger oft auf eine scheinbar unüberwindliche Hürde: Ausgerechnet die interessantesten Anleihen werden oft in Stückelungen mit einem Nominalwert ab 100.000 Euro angeboten. Für Durchschnittssparer, die eine Alternative zum Sparbuch suchen oder ihr Portfolio diversifizieren und vielleicht nur ein paar Tausend oder vielleicht auch zwanzig- oder fünfzigtausend Euro investieren wollen, sind dies unerreichbare Dimensionen. Dieses Anleger-Dilemma haben einige findige Finanzdienstleister erkannt. Firmen wie BondBloX oder WiseAlpha und bieten seit einiger Zeit in Singapur und Großbritannien sogenannte „Fractional Bonds“ an. Hierzulande umwirbt seit einigen Monaten die lettische Investmentgesellschaft Mintos deutsche Anleger, in solche Papiere zu investieren. Das Versprechen hört sich zunächst einmal gut an: Fractional Bonds, was frei übersetzt etwa Bruchstücke von Anleihen bedeutet, böten „Zugang zu hochverzinslichen Anleihen, die Privatanlegern normalerweise nicht zur Verfügung stehen“, schreibt Mintos auf seiner Website. Die Idee dahinter beschreibt Mintos potenziellen Anlegern so: „Anleihen bieten einen planbaren Einkommensstrom und können zur Diversifizierung Ihres Portfolios beitragen. Mit Fractional Bonds auf Mintos haben Sie endlich eine einfache und zugängliche Möglichkeit, in sie zu investieren“. Es gibt laut Mintos keine Investitions- und Verwaltungsgebühren. Und schon ab 50 Euro ist man dabei. Die Investmentgesellschaft erweckt – ebenso wie die anderen Anbieter, die mit ähnlicher Argumentation Fractional Bonds anbieten – damit den Eindruck, man könne als Privatanleger auch schon mit kleinem Geld Bruchstücke von hoch verzinsten Anleihen erwerben, die ansonsten nur institutionellen Investoren vorbehalten seien.
Fractual Bonds sind Schuldverschreibungen und keine Anleihen-Bruchstücke
Das Versprechen klingt zu gut, um wahr zu sein. Und genauso verhält es sich auch. Denn die Anbieter von Fractional Bonds bieten keine Anleihen-Bruchstücke an. Das Geschäft läuft stattdessen so: Ein Staat oder Unternehmen – beispielsweise Abu Dhabi, BP, Amazon oder Ford – gibt Anleihen heraus. Eine Tochter-Zweckgesellschaft der jeweiligen „Fractional Bonds“-Holding kauft diese Anleihen und emittiert eigene Schuldverschreibungen mit kleinerer Stückelung als die Original-Anleihen, auf die sie sich beziehen. Die Anleihen bleiben bei der Zweckgesellschaft. Sie dienen fortan wie bei einem klassischen Anlagezertifikat nur als Basiswert und Absicherung. Eine weitere Vertriebstochter der Holding wiederum verkauft die Stücke an die Anleger und leitet die Zinszahlungen, die mit den verkauften Stücken verbunden sind, von der Zweckgesellschaft an die Anleger weiter. Für diese fühlt sich das Geschäft tatsächlich so an, als ob sie Anteile an der Anleiheemission des betreffenden Basiswertes besäßen. In Wahrheit halten sie Schuldverschreibungen der Zweckgesellschaft, zu der sie nur eine indirekte Geschäftsbeziehung haben. Ihr Konto führen sie bei der Vertriebsgesellschaft.
Die Krux mit dem Zweitmarkt
Von der Konstruktion her ähneln die „Fractional Bonds“-Schuldverschreibungen klassischen Anlagezertifikaten oder sogenannten Strukturierten Anleihen. Es gibt jedoch einen gewaltigen Unterschied: Es existiert für sie kein öffentlicher Zweitmarkt. Wer seine Anteile vor Ablauf der Anleihelaufzeit wieder verkaufen will, muss dies auf den Zweitmarktbörsen der Anbieter tun und hoffen, private Käufer zu finden. Die Schuldverschreibungs-Emittenten selbst nehmen keine Stücke wieder zurück. Sie stellen nur ihre Zweitmarktplattform zur Verfügung. Manche Anbieter verlangen Verkaufsprovisionen. Das Problem: Der Zweitmarkt der Anbieter ist kaum liquide. Die Spreads sind entsprechend hoch. Bei Mintos etwa betragen die Preisaufschläge bei den angebotenen Schuldverschreibungsanteile oft bis zu 20 Prozent.
Nur ein Versprechen, keine Sicherheit
So verbindlich das Versprechen ist, so unsicher ist bei manchen Anbietern die Gewährleistung. Der Emittent WiseAlpha plc zum Beispiel ist eine in Irland gegründete Aktiengesellschaft. Die einzige Aufgabe dieser Zweckgesellschaft ist es, Fractional Bonds zu begeben, die zugrunde liegenden Anlagen zu halten und die Zinszahlungen weiterzugeben. WiseAlpha plc ist jedoch kein verbundenes Unternehmen oder eine Tochtergesellschaft von WiseAlpha Technologies Limited, die den Verkauf an die Anleger arrangiert. Keine der beiden Unternehmen garantiert den Anlegern etwas. Wer hier Schuldscheine kauft, vertraut allein auf die Redlichkeit der Unternehmen, auf deren eigene Vermögenswerte die Anleger im Falle eines Zahlungsausfalls nicht zurückgreifen können.
Die Mutter aller Fragen: Was ist das Geschäftsmodell?
Grundsätzlich bleibt die Idee, die sich hinter den Fractional Bonds verbirgt, zwar interessant: Anleger können mit ihrer Hilfe schon mit kleinem Geld von Zinszahlungen interessanter, gut verzinster Anleihen profitieren, die für sie unter normalen Umständen nicht erreichbar wären. Das Thema Emittenten-Sicherheit und Zweitmarktproblematik könnten Anleger vielleicht auch ausblenden, wenn sie sich fest vornehmen, die jeweiligen Stücke nicht vor Laufzeitende der jeweiligen Anleihe verkaufen zu wollen.
Doch es stellt sich eine grundsätzliche Frage zum Geschäftsmodell der Anbieter: Wie verdienen diese eigentlich Geld? Sie müssen schließlich den Kauf der großen Anleihe-Tranchen finanzieren, ihre eigenen Portfolios hedgen und Risiken absichern. Diese Aufgabe ist in Summe herausfordernd. Denn aufgrund der Konstruktion des Businessmodells müssen die Emittenten der Schuldverschreibungen große Anleiheportfolios in die eigenen Bücher nehmen. Den Kauf dieser Anleihen finanzieren die Emittenten nur zum Teil über den Verkauf der Schuldverschreibungen an private Anleger. Der Rest muss über Kredite fremdfinanziert werden. Dass es immer einen Rest gibt, ist systemimmanent und nahezu unausweichlich. Denn dass jede gekaufte Anleihe-Tranche komplett über den Schuldschein-Verkauf an private Anleger finanziert werden kann, ist kaum wahrscheinlich. Da die Emittenten angeblich keine Gebühren für den Verkauf und die Verwaltung nehmen, bleibt deshalb die Frage, woher das Geld für den Kauf der Anleihen, den Vertrieb und die Verwaltung kommen. Und woher der Gewinn kommt. Allein die Zinszahlungen aus dem Teil der gekauften Anleihen, die nicht an die Anleger weitergegeben werden, dürften kaum ausreichen.
Fazit: Berater, die von Anlegern auf die sogenannten „Fractional Bonds“ angesprochen werden, sollten auf die speziellen Risiken dieser Finanzinstrumente hinweisen – und auf Alternativen. Schließlich haben private Anleger auch über klassische Rentenfonds die Chance, in Anleihen zu investieren, zu denen sie sonst keinen Zugang erhalten. Dass die Wertpapiere in den Fonds-Portfolios Anleihen sind, die als Sondervermögen von unabhängigen Depotbanken verwaltet werden, sollte vielleicht auch nicht unerwähnt bleiben. Im Unterschied dazu sind „Fractional Bonds“ reine Vertrauenssache.