„Der Schweizer Aktienmarkt hat Aufholpotenzial“
Schweizer Nebenwerte gehören langfristig zu den performancestärksten weltweit. TiAM FundResearch sprach exklusiv mit Bettina Baur, Managerin des UBAM Swiss Small And Mid Cap Equity, über das Erfolgsrezept Schweizer Unternehmen.21.11.2023 | 07:15 Uhr von «Jörn Kränicke»
TiAM FundResearch: Frau Baur, Schweizer Aktien gehören langfristig zu den performancestärksten. Was ist das Erfolgsgeheimnis?
Bettina Baur: Es gibt in der Schweiz einfach viele Unternehmen, die sehr hohe Marktanteile aufgrund ihrer Technologieführerschaft und ihrer starken Marke haben. Solche Unternehmen findet man in der Schweiz im gesamten Market-Cap-Spektrum. Der Schweizer Aktienmarkt besteht wohlgemerkt nicht nur aus den großen bekannten Titeln wie Nestlé, Novartis, Richemont oder Roche.
Warum sind selbst kleinere Firmen trotz sehr hoher Lohnkosten und starker Währung wettbewerbsfähig?
Das liegt daran, dass der Schweizer Markt sehr klein ist und wenn die Unternehmen wachsen wollen, können sie dies nur im Ausland. Daher sind selbst kleine Unternehmen global tätig und daher machen ihnen der Franken und die Lohnkosten nicht so sehr zu schaffen, da sie auch global produzieren und verkaufen. Im Durchschnitt stammen selbst bei kleineren Unternehmen aus unserem Portfolio rund 80 Prozent des Umsatzes aus dem Ausland. Ich denke, der starke Schweizer Franken war fast so etwas wie ein Effizienztreiber für die Unternehmen, die eben einfach von den makroökonomischen Verhältnissen gezwungen wurden, etwas zu tun. Die starke Währung ist dabei auch kein neues Phänomen. Damit haben Schweizer Unternehmen bereits seit 40 Jahren zu kämpfen. Das hat dazu geführt, dass Innovationskraft und Technologieführerschaft so wahnsinnig wichtig geworden sind. Weil man nur so auf dem Weltmarkt bestehen kann. Das heißt, man muss sich auch wirklich eine Nische schaffen.
Die Wertschöpfung findet aber nicht nur im Ausland statt?
Nein, gerade bei den Pharmaunternehmen findet ein großer Teil der Wertschöpfung in der Schweiz statt. Im Bereich der Forschung und Entwicklung vertrauen viele Unternehmen noch auf die Schweiz. Das sieht man auch insgesamt an den hohen Schweizer Forschungs- und Entwicklungsausgaben (F&E). Etwa 3,5 Prozent des Brutto-Inlandprodukts wird in Forschung und Entwicklung investiert. Das entspricht in etwa dem Level der USA. Bei den F&E-Ausgaben liegen nach Angaben der Switzerland Global Enterprise 14 Schweizer Konzerne unter den globalen Top 500. Damit liegt die kleine Schweiz weltweit auf dem fünften Rang. Zwei Drittel der Ausgaben für Forschung und Entwicklung werden dabei von privaten Unternehmen getätigt. Dies ist notwendig, um im Wettbewerb mit anderen Mitteln bestehen zu können, weil man Kostenführerschaft, wenn man in der Schweiz ansässig ist, kaum erreichen kann.
Und die Investitionen zahlen sich für die Unternehmen auch aus?
Interessanterweise weisen der US- und der Schweizer-Aktienmarkt, die den höchsten Prozentsatz ihres Umsatzes in F&E investieren, auch die höchste Wertschöpfung auf, wenn man den Markt als Gesamtes betrachtet. Daran sieht man, dass Forschung und Entwicklung kein Selbstzweck sind, sondern sich tatsächlich auch in den Umsätzen und Gewinnen niederschlagen.
Sind dies auch die Titel, die sie für ihre Fonds kaufen?
In der Tat. Bei der Selektion der Titel legen wir den Fokus auf die Wertschöpfung. Diese messen wir mit dem Cashflow Return on Investment (CFROI®), einem von Credit Suisse HOLT entwickelten Indikator. Dies kommt bei allen von unserem Team gemanagten Fonds zum Einsatz. Allerdings muss man zwischen unserem All-Cap- und dem Small- und Mid-Cap-Fonds etwas differenzieren. Im All-Cap-Fonds sind natürlich auch die großen Titel aus dem SMI enthalten. Das sind Konsum beziehungsweise Basiskonsumtitel und auch Pharmawerte. Bei den Konsumtiteln sind natürlich die Forschungs- und Entwicklungsausgaben geringer als in der Pharmabranche. Aber der All-Cap-Fonds hat im Vergleich zu unseren Mitbewerbern wahrscheinlich eine der größten Übergewichtungen im Small- & Mid-Cap-Bereich. Im Small- und Mid-Cap-Fonds liegt unser Schwerpunkt hingegen auf Industrietiteln und hier spielt F&E natürlich auch eine große Rolle.
Haben Sie dort Schwerpunkte in bestimmten Bereichen?
Nein, wir legen in den verschiedensten Branchen an. Es gibt dort in den unterschiedlichsten Branchen sehr viel Innovation und viele Weltmarktführer in ihren jeweiligen Nischen. Das sind etwa Titel aus der Logistikindustrie wie etwa Interroll. Sie stellen Schlüsselprodukte für die Stückgutförderung, interne Logistik und Automation her oder auch das Lagertechnikunternehmen Kardex. Es gibt aber auch Unternehmen im Halbleiterbereich oder VAT, den Weltmarktführer bei Vakuumventilen. Ein weiteres Beispiel ist Georg Fischer, die Rohrleitungen herstellen und im Spezialmaschinenbau tätig sind. Das Spektrum ist sehr vielfältig. Und auch diese eher unbekannteren Unternehmen investieren sehr viel in Forschung und Entwicklung. Solche Schweizer Industrieunternehmen investieren im Durchschnitt sicher mehr in F&E als das durchschnittliche Industrieunternehmen weltweit.
Welche Rolle spielt ESG bei ihnen?
Nachhaltigkeit hat in unserem Ansatz, der eben wie gesagt auf diese Wertschöpfungskraft ausgerichtet ist, schon immer eine sehr, sehr große Rolle gespielt, weil man langfristig nur dann nachhaltig Wertschöpfung erzielen kann, wenn man auch gewisse Nachhaltigkeitsziele betrachtet. Etwa die Mitarbeiter weiterzubilden, um auch dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Zudem wurde in einer Volksabstimmung 2013 die „Minder Initiative“ angenommen. Dabei ging es um die übermäßige Vergütung der Chefetagen bei börsennotierten Unternehmen. Seit 2014 gibt es nun in der Schweiz die „Verordnung gegen übermäßige Vergütungen bei börsenkotierten Aktiengesellschaften“. Darin ist geregelt, dass die Gehälter des Top Managements kommuniziert werden und von den Aktionären genehmigt werden müssen. Das hat zu einer stärkeren Fokussierung auch im Bereich Corporate Governance geführt. Für uns war das jedoch schon zuvor ein integraler Bestandteil unseres Investmentprozesses, weil sonst eine nachhaltige Wertschöpfung nicht stattfinden kann.
Wie sind derzeit Schweizer Aktien bewertet – günstig oder eher teuer?
Der Schweizer Aktienmarkt ist so bewertet wie im langfristigen historischen Durchschnitt der vergangenen zehn Jahre. Das heißt, er ist nicht hoch bewertet. Was aber auffällt, ist der sehr hohe Discount zum amerikanischen Aktienmarkt. Normalerweise notieren beide Märkte in etwa auf einem Niveau, da die Wertschöpfung der Unternehmen vergleichbar ist. Zuletzt hat sich das Verhältnis jedoch zu Ungunsten der Schweiz entwickelt. Das heißt, der Abschlag der Schweizer Aktien zu den amerikanischen Pendants ist nicht gerechtfertigt. Denn die Gewinnprognosen für die eidgenössischen Unternehmen sind besser. In der Schweiz bewegen sich die sehr stabilen Gewinnschätzungen im hohen einstelligen Bereich für 2023. Der globale Aktienmarkt und auch die USA bewegen sich hingegen eher um die Nulllinie. Deswegen denken wir, dass der Schweizer Aktienmarkt ein gewisses Aufholpotenzial für die letzten Monate des Jahres hat. Und langfristig haben Schweizer Aktien aufgrund der hohen Wertschöpfung auch weiterhin das Potenzial, andere Märkte outzuperformen.
Zur Person:
Bettina Baur kam 2015 als Senior Portfolio Managerin im Swiss & Global Equity Team zur UBP. Baur begann ihre Bankkarriere 2005 als Trainee im Private Banking bei HSBC Private Bank in Grossbritannien und den USA. Nach Abschluss des Traineeprogramms wurde sie Händlerin für strukturierte Produkte bei der HSBC Private Bank in Genf. Danach wechselte sie in den Aktienvertrieb der Credit Suisse in Zürich, wo sie sieben Jahre lang institutionelle Kunden aus der Schweiz zu europäischen und globalen Schwellenländeraktien beriet. Baur hat einen MA in Betriebswirtschaft von der Universität Zürich und ist CFA Charterholder.