Neo-Broker im Fadenkreuz der Finanzaufsicht
Neo-Broker locken mit niedrigen Gebühren oder gar Gratisangeboten für den Wertpapierhandel. Doch so preiswert, wie sie zunächst scheinen, sind die Angebote gar nicht. Jetzt nehmen die Finanzaufsichten das Geschäftsmodell ins Visier.16.07.2021 | 07:30 Uhr
Zu den Gewinnern der Corona-Krise zählen vor allem Technologie-Unternehmen, die ihr Business im Internet problemlos skalieren können. Mega-Konzerne wie Amazon, Alphabet, Apple, Netflix und Facebook gehören zweifellos dazu. Aber auch junge Online-Firmen aus der Fintech-Szene haben zum Teil außerordentlich davon profitiert, dass die Menschen in den langen Lockdown-Phasen kaum noch vor die Tür gehen durften, konnten oder wollten. Ein bemerkenswertes Marktwachstum haben in den vergangenen Monaten insbesondere sogenannte Neo-Broker zu verzeichnen. Ihr Versprechen: Anleger können über spezielle Webportale oder übers Smartphone via Trading-Apps zu sehr günstigen Handels-Konditionen Wertpapiere kaufen und verkaufen. Die Neo-Broker konzentrieren sich aufs Wesentliche und werben dafür mit niedrigen Preisen oder sogar mit kostenlosem Handel rund um die Uhr, auch außerhalb der regulären Handelszeiten.
Von der einfachen Handhabung der Trading-Apps, aber vor allem von den niedrigen Preisen, lassen sich viele Anleger locken. Was die meisten nicht wissen: So günstig – oder gar umsonst – traden sie hier nicht. Denn das Geschäftsprinzip der Trading-Plattformen basiert darauf, dass sie die Wertpapierhandelsaufträge an Market-Maker weiterreichen, die dafür Transaktionskosten berechnen. Für die Weiterleitung der Aufträge zahlen diese den Neo-Brokern Rückvergütungen als Provision. Im Fachjargon nennt man das „Payment for Order Flow“, kurz PFOF. Die Kunden spüren davon nichts. Denn die Gewinnspanne für die Market-Maker liegt in der Differenz zwischen Ankauf- und Verkaufspreis (Spread), die von den Anlegern nicht als Kosten wahrgenommen wird. Die Neo-Broker wiederum steuern den Handel bevorzugt dorthin, wo sie aufgrund möglichst weiter Handelsspannen die höchsten Rückvergütungen zu erwarten haben. Die Auswahl an Handelsplätzen ist deshalb nicht nur zufällig eingeschränkt. Auch ein weiteres Angebots-Merkmal sorgt für mehr Einnahmen bei den Neo-Brokern: Sie bieten nicht immer alle Ordertypen für jeden Handelsplatz an. Limit-, Stop-Loss- und Stop-Loss-Limit-Orders sind oft ausgeschlossen. Manche Handelsplätze erlauben zum Beispiel ausschließlich Quote-Request-Orders. Für die Anleger bedeutet dies, dass sie eine Quotierungsanfrage an den jeweiligen Market-Maker stellen müssen. Dieser kann so den Spread – und damit seine Gewinnspane – exklusiv steuern. Insbesondere außerhalb regulärer Handelszeiten kann das richtig teuer werden. Denn dann gibt es keine Preistransparenz durch den Börsenhandel.
Das Geschäftsprinzip der Neo-Broker steht wohl im Widerspruch zu MiFID II
Grundsätzlich ist das Geschäftsprinzip von Anbietern wie Trade Republic, Smartbroker oder justTRADE clever. Es gibt allerdings ein regulatorisches Problem: Gemäß MiFID II dürfen Broker zwar Rückvergütungen annehmen. Doch sie sind erstens verpflichtet, diese Kickbacks ihren Kunden gegenüber offenzulegen. Und sie müssen, zweitens, die Rückvergütungen vollständig dafür verwenden, die Qualität der Dienstleistung zu verbessern. Es ist also nicht erlaubt, die Rückvergütungen für die Finanzierung betriebswirtschaftlicher Kosten zu gebrauchen oder überschüssige Einnahmen daraus als Gewinn zu bilanzieren. Darüber hinaus besteht auch für Neo-Broker gemäß MiFID II die Pflicht, Wertpapier-Orders so auszuführen, dass Anleger das bestmögliche Ergebnis erzielen. Für die Handelsausführung gilt laut MiFID II stets das Prinzip der „Best Execution“. Diese gesetzliche Forderung steht im Widerspruch zum Interesse der Neo-Broker, möglichst hohe Rückvergütungen zu generieren.
Aufsichtsbehörden sehen die Geschäftsmodelle der Neo-Broker kritisch
Bisher bewegen sich die Neo-Broker in einer Grauzone: Die deutsche BaFin und die europäische Wertpapieraufsicht ESMA waren sich unlängst noch uneins darüber, ob Neo-Broker aufgrund ihrer strikten Konzentration auf den Wertpapierhandel als Broker zu behandeln sind. Doch diese Haltung ändert sich gerade. So hat die ESMA die Broker am Dienstag dieser Woche ausdrücklich ermahnt, sich an die Mifid II-Vorschriften zu halten. In dem offiziellen Schreiben heißt es, es sei „in den meisten Fällen unwahrscheinlich“, dass Rückvergütungen an die Broker kompatibel mit Mifid II seien. ESMA-Interims-Chefin Anneli Tuominen hat vor diesem Hintergrund die nationalen Aufsichtsbehörden aufgerufen, die PFOF-Praktiken zu überprüfen. Diese Anordnung trifft vor allem den deutschen Markt. Denn Deutschland gehört zu den wenigen Ländern in der Europäischen Union, in denen Rückvergütungen üblich sind.
Noch übt die ESMA nur sanften Druck auf die Neo-Boker aus. Sie mahnt die Handelsplattformen, nun selbst einzuschätzen, ob und wie weit sie die MiFID II-Vorschriften erfüllen. Damit gibt sie der Branche die Gelegenheit, die Geschäftsmodelle anzupassen und die Kosten den Kunden gegenüber transparenter zu kommunizieren. In einem zweiten Schritt dürfte dann die BaFin auf nationaler Ebene gezielt nachfassen. Klar ist: Angebote, die mit „kostenlosem“ Trading werben, wird es in Zukunft wohl kaum noch geben.