Der digitale Strukturwandel im Finanzsektor | |
11/2014 | |
Thomas-Frank Dapp | |
DB Research (Website) |
Die Kräfte hinter dem digitalen Strukturwandel sind komplex und der Begriff „Verdrängungswettbewerb“ reicht sicherlich nicht aus, um sämtliche Auswirkungen auf etablierte Branchen und Strukturen in ihrer Gänze zu erklären.
20.11.2014 | 13:36 Uhr
Daher leisten weitere Aspekte einen elementaren Beitrag zum Wandel. Dazu zählen u.a. das exponentiell steigende Datenvolumen, die Durchdringung web-basierter Endgeräte, die Internetaffinität der Bevölkerung, Netzwerk- und Skaleneffekte, der Breitbandausbau, Automatisierungs- und Standardisierungspotenziale, der Anpassungswille und die Flexibilität etablierter Anbieter, die Veränderungen bei Nachfrage- und Konsummustern sowie strengere Regulierungsmaßnahmen.
Die globale Digitalisierung ändert zudem die Struktur bestehender Wirtschaftszweige, d.h. traditionelle Marktstrukturen brechen auf, Branchengrenzen verschieben sich und es kommt zum Eintritt neuer Akteure. Es bilden sich virtuelle Marktplätze mit neuen Geschäftsmodellen sowie Erlös- und Kostenstrukturen. Branchenabgrenzungen, wie sie bisher existierten, werden dadurch mehr und mehr verwässert, weil sich neue branchenübergreifende Wettbewerbskonstellationen herausbilden. Volkswirtschaftliche Branchenanalysen werden dadurch natürlich nicht einfacher.Aber prinzipiell wiederfährt vielen Branchen dasselbe Schicksal. Die Verdrängung im Wettbewerb wird durch den Einsatz neuer (Internet-)Technologien und ein sich änderndes Nachfrage- und Konsumverhalten verursacht. Dabei spielen im jetzigen digitalen Transformationsprozess besonders algorithmenbasierte Analysemethoden, digitale Geschäftsmodelle, virtuelle Wertschöpfungsprozesse sowie digitale Produkte und Dienste eine entscheidende Rolle. Der demografische Wandel sorgt zudem dafür, dass der Anteil der netzaffinen Bevölkerung permanent zunimmt.Unabhängig von der Henne-Ei-Debatte, ob erste Konsumentenbedürfnisse oder früh im Markt angebotene Internettechnologien den digitalen Wandel in Gang gesetzt haben, lassen sich dennoch grob fünf Phasen des (digitalen) Strukturwandels als ein sich wiederholendes Muster identifizieren:
Phase 1:
Technologischer Fortschritt und Adaption
Der technologische Fortschritt erzeugt neue internetbasierte Konsum-, Mediennutzungs- und Kommunikationsbedürfnisse bei den Konsumenten. Die Konsumenten adaptieren die neuen Technologien und integrieren das neue Angebot in ihre alltäglichen Lebensbereiche. Im Finanzsektor werden beispielsweise die traditionellen Zahlungsmodalitäten um moderne Internettechnologien und algorithmenbasierte Analyseverfahren erweitert.
Phase 2:
Markteintritt und verändertes Wettbewerbsumfeld
Branchenfremde Internetunternehmen sowie technologiegetriebene Start-ups und Nischenanbieter verändern mit ihren digitalen Geschäftsmodellen, Produkten und komplementären Diensten das Wettbewerbsumfeld. Moderne Internettechnologien ersetzen etablierte langjährige (analoge) Prozesse oder Teilprozesse, d.h. menschliche Erfahrungswerte werden durch intelligente, algorithmenbasierte Softwarelösungen teilweise ergänzt bzw. abgelöst.
Phase 3:
Gewinner und Verlierer
Traditionelle Geschäftsmodelle geraten dadurch häufig unter Druck, weil einzelne Teilprozesse starken Wettbewerbskräften ausgesetzt sind. Die Konsequenzen zeigen sich durch rückläufige Umsätze und Gewinne. Etablierte Erlösquellen traditioneller Unternehmen können nur unzureichend durch andere Geschäftsbereiche kompensiert werden. Neue Akteure verzeichnen hingegen erste Markterfolge und generieren Gewinne.
Phase 4:
Verdrängung und erhöhte Wettbewerbsintensität
Die Marktanteile für Etablierte sinken; neue Akteure können ihre ausbauen; der Verdrängungswettbewerb nimmt mit zunehmender Wettbewerbsintensität zu. Schmerzhafte Anpassungsprozesse und kostenintensive Reformen (z.B. durch Digitalisierungsstrategien) werden bei den Etablierten eingeleitet.
Phase 5:
Marktkonsolidierung und strategische Allianzen
Es kommt zu marktbereinigenden Konsolidierungen und einige Unternehmen verschwinden vom Markt. Neue, vor allem branchenfremde Akteure sind im Markt angekommen, etablieren sich und erhöhen ihre Gewinne. Zudem entstehen strategische Allianzen, die dem Markt und der Technologieentwicklung zusätzliche Impulse bescheren und weitere Innovationen vorantreiben.
Und hier schließt sich der Kreis
Die beschriebenen fünf Phasen des digitalen Strukturwandels im Finanzsektor können zeitversetzt in verschiedenen Branchen beobachtet werden und sich innerhalb einer Branche oder in immer mehr Teilprozessen der Wertschöpfung in gewissen Zeitzyklen sogar wiederholen. Das Ergebnis ist ein Kreislauf. Je nachdem, wie bahnbrechend der technologische Fortschritt ist und welche Strategien von den Etablierten eingesetzt werden, wirken die einzelnen Phasen natürlich in unterschiedlicher Intensität.
Allerdings ist „nichts so beständig wie der Wandel“ (Heraklit, *~ 520 v.Chr.; † ~ 460 v.Chr.), d.h. im Prinzip befinden wir uns permanent in einem Strukturwandel, aber nicht jede Innovation vermag es, Paradigmenwechsel herbeizuführen. Ein Großteil der Innovationen findet zwischen bahnbrechenden Errungenschaften statt. Sie sind nicht weniger wertvoll, sondern eher inkrementeller Art und weisen Veredelungen oder marginale Verbesserungen von bestehenden Produkten, Diensten und Prozessen auf. So geschieht es auch im Finanzsektor. Die neuen Wettbewerber erfinden das Bankgeschäft nicht wirklich neu. Sie verstehen es aber, mit Hilfe moderner Datenanalysemethoden und den zahlreichen (vor allem personenbezogenen) Datensätzen einzelne Finanzdienste digital so zu individualisieren, dass sie insbesondere den internetaffinen Kunden einen höheren Nutzen stiften können.Die dahinterliegenden Geschäftsideen sind häufig also nicht neu, aber sie basieren auf digitalen Wertschöpfungsprozessen. Zudem sprechen die neuen Akteure die Sprache des Internets. „Bequemlichkeit“ sowie „Alles aus einer Hand“ sind gängige Schlüsselbegriffe. Die Ökonomie dahinter ist relativ simpel: Digitale Wertschöpfungsprozesse lassen sich erstens deutlich kosteneffizienter lenken und durch die Skalen- und Netzwerkeffekte werden zweitens schneller größere (Kunden-) Reichweiten erlangt. In dynamischen Märkten mit sinkenden Produktlebenszyklen sind das wertvolle und existenzsichernde Wettbewerbsvorteile.
Künftige Chancen bieten sich vor allem für jene Unternehmen, denen es früh gelingt, ihre internen und externen Prozesse, ihre Dienste und Produkte möglichst flexibel in eine digitale Unternehmensinfrastruktur (IT-Architektur) einzubetten, um neue Technologien schnell antizipieren zu können oder um zeitnah mit relevanten Marktakteuren unkompliziert zu kollaborieren. Zudem werden jene Akteure erfolgreich sein, die den Konsumenten glaubhaft versichern können, dass insbesondere Ihre (personenbezogenen) Daten weder an Dritte verkauft, noch für andere unternehmensfremde Zwecke verwendet werden. Ihnen winken nicht nur Überlebens-, sondern je nach Strategie auch lukrative Wachstumschancen.
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