Robert Halver, Leiter Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank AG, ist Keynote Speaker beim TiAM Fund Forum am 6. Juli 2023, für das Sie sich am Ende des Textes anmelden können. Im Interview spricht Halver über die Energiewende und die Finanzierbarkeit von Wärmepumpen.
22.06.2023 | 07:00 Uhr
Herr Halver, wie schätzen Sie als Volkswirt die Bemühungen der deutschen Regierung ein, den CO2-Ausstoß im Land zu verringern?
Robert Halver: Ich sehe das gut gemeinte Ziel, glaube aber nicht, dass es mit den aktuellen Maßnahmen umsetzbar ist.
Wo hakt es Ihrer Meinung nach?
Robert Halver: Da gibt es einige Punkte. Der vielleicht wichtigste Schwachpunkt ist die Finanzierung. Der Erfolg großer politischer Programme hängt erfahrungsgemäß sehr stark davon ab, ob ausreichend finanzielle Ressourcen mobilisiert werden können. In Amerika macht man das mit gewaltigen neuen Staatsschulden. Bei uns geht das vor allem mit einem zusätzlichen direkten Griff ins Portemonnaie der Bürger. Wegen der hohen Investitionssummen wird dies den überwiegenden Teil der Bevölkerung überfordern. Die Gebäuderichtlinie der Europäischen Kommission ist ein schlimmes Beispiel dafür, wie realitätsfern die Politiker in Brüssel agieren. Immobiliendienstleister haben mal nachgerechnet, dass der Großteil der deutschen Immobilien mit eher schwachen Energieklassen ausgestattet ist. Um die Bedingungen der Gebäuderichtlinie der Europäischen Kommission zu erfüllen, müssten die Eigentümer in diesen Fällen laut Fachverband Haus & Grund je nach Wohnung oder Haus zwischen 30.000 und 100.000 Euro in die Sanierung investieren. Versuchen Sie mal nachzurechnen, welche Summen hier zusammenkommen.
In Deutschland soll das neue Gebäudeenergiegesetz Immobilieneigentümer motivieren, ihre alten Öl- und Gasheizungen durch Wärmepumpen zu ersetzen. Es gibt für den Umstieg auch eine staatliche Förderung. Angesichts steigender Preise für fossile Brennstoffe klingt das doch erstmal vernünftig. Oder?
Robert Halver: Erstens steht die Höhe der Förderung noch nicht fest, zweitens werden immer noch hohe Kosten übrig bleiben, die zwar drittens mit Subventionen finanziert werden, die aber die ohnehin schon überbelasteten Bürger letztlich selbst finanzieren. Und viertens fehlen die Kapazitäten für den Umbau. Es gibt zu wenige Handwerker und zu wenige Wärmepumpen. Und von der Praktikabilität wollen wir gar nicht erst reden. Die meisten Häuser in Deutschland sind gar nicht geeignet für eine Umrüstung. Die Grünen können ein Lied davon singen. Die werkeln seit Jahren erfolglos daran, bei mittlerweile deutlich sechsstelligen Kosten in ihre Regierungszentrale eine Wärmepumpe einzubauen, wollen aber dem ganzen Land diese Prozedur verordnen. Immerhin können die Grünen das aus der Parteikasse bezahlen. So viel Geld haben viele Eigentümer von Immobilien aber nicht. Sie müssen entweder an ihre Altersrücklagen herangehen, um den Umbau zu finanzieren. Oder sie müssen einen Kredit aufnehmen. Wer sich das alles nicht leisten kann und versucht, sein Haus zu verkaufen, trifft auf einen völlig aus der Bahn geratenen Immobilienmarkt. Prekäre Häuser mit Gas- oder Ölheizungen sind nahezu unverkäuflich geworden. Verkäufer müssen mit starken Preisabschlägen rechnen. Das alles ist nichts anderes als staatlich verordnete Enteignung. Das kommt nicht gut an beim Volk. Und das ist mittlerweile nicht nur ein finanzielles, sondern auch ein gesellschaftliches Problem.
Wie meinen Sie das?
Robert Halver: Das neue Gebäudeenergiegesetz, das demnächst verabschiedet werden soll, ist ein Lehrbeispiel dafür, wie man ein politisches Ziel komplett vermurkst. Da sind zum einen die banalen handwerklichen Fehler, die in den vergangenen Wochen nur unzureichend behoben wurden. Ludwig Erhard würde sich im Grab herumdrehen. Dazu kommt, dass der Staat mit seiner überbordenden Bürokratie oft selbst einer schnellen Umsetzung im Wege steht. Und dann sind natürlich die hohen Kosten für die Bürger. Die wenigsten durchschauen die Komplexität des Vorhabens. Was hängen bleibt, ist: Die Regierung will mir vorschreiben, was ich tun soll – egal, ob ich das will oder nicht. Und das wird auch noch teuer. So etwas fördert Staatsverdrossenheit. Dass ausgerechnet der AfD gerade die Wähler zulaufen, ist nicht verwunderlich. Die Partei hat überhaupt keine vernünftigen Lösungen im Angebot. Es reicht, dass sie in der Ecke steht und nur meckert. Damit spricht sie vielen Bürgern aus der Seele. Das meine ich, wenn ich sage, der Streit um die Energiewende sorgt für ein gesellschaftliches Problem.
Wie könnte man es denn besser machen?
Robert Halver: Die USA machen es gerade vor. Der Staat hat ein groß angelegtes Infrastrukturprogramm aufgelegt und lockt Firmen, die die Energiewende voranbringen, mit großzügigen Subventionen, damit sie in den USA investieren. Auch deutsche Unternehmen überzeugt dieses Konzept. Viele überlegen sich, ob sie in Deutschland oder lieber in den USA investieren sollen. Unterm Strich steht ein Mix aus einem begrenzten staatlichen Anreiz und starkem unternehmerischem Engagement. Damit kann man Billionenbeträge bewegen, ohne die privaten Hausbesitzer zur Kasse zu bitten. Auch setzt man marktwirtschaftlich darauf, dass es sich für sie irgendwann lohnen wird, in klimaneutrale Heizungen zu investieren und E-Autos zu fahren. Blickt man über den Teich, stellt man also fest: Optimismus zu fördern, anstatt die Angst vor mehr Regulierung zu schüren, könnte ein erfolgreiches Konzept sein. Nennen wir es Wirtschaftspsychologie.
Was bedeutet diese Entwicklung für Investoren? Ist der Standort Deutschland im internationalen Vergleich noch attraktiv?
Robert Halver: Der Begriff „Standort Deutschland“ steht vielleicht noch für Bereiche wie kleinere Handwerksbetriebe, Würstchenbuden und soziale Dienstleistungen vor Ort. Doch viele erfolgreiche börsennotierte Mittelständler und nicht zuletzt die Unternehmen im MDAX oder DAX sind längst international aufgestellt. Die Firmenzentralen stehen vielleicht in Frankfurt, München oder Stuttgart. Produktion und Vertrieb sind aber insbesondere dort, wo die Geschäfte gemacht werden. In den USA, in China oder sonst wo auf der Welt. Deshalb bin ich nach wie vor ein Fan deutscher Unternehmen. Ich sehe sie nicht durch die nationale wirtschaftspolitische Brille.
Gilt das im weiteren Sinne auch für europäische Unternehmen?
Robert Halver: Auch Frankreich und Italien, um nur zwei Beispiele zu nennen, haben tolle Unternehmen, die über den Tellerrand hinausdenken und entsprechend handeln. Ein wunder Punkt ist – und da sind wir wieder beim Einstiegsthema – die enormen Unsicherheiten bei Energie in puncto Verfügbarkeit und Preis. In den USA waren die Stromkosten in den zurückliegenden Jahren stabil. Das Land ist Nettoexporteur von fossilen Brennstoffen und baut gerade massiv bei regenerativen Energien Kapazitäten auf. Das kann dieses Land allein schon aus der Tatsache heraus, dass man riesige unbebaute Flächen hat, zum Teil Wüste. Anders als in Europa können Unternehmen in den USA mit stabilen niedrigen Energiekosten rechnen. Das ist ein echter Standortvorteil, weil E-Mobilität, Wärmpumpen und überhaupt Digitalisierung Unmengen an Strom brauchen. Wer hier in Europa darüber nachdenkt, die Kosten für Energie durch höhere Abgaben weiter nach oben zu treiben, sollte das als „Hau ab-Argument“ immer im Hinterkopf haben. Wir sind nicht allein auf dieser Welt. Im Berliner Elfenbeinturm gibt es leider zu viele, die das zuweilen vergessen.
Herr Halver, vielen Dank für dieses Gespräch.
Tipp der Redaktion: Wer Robert Halver live auf dem TiAM FUND FORUM in München erleben will, kann sich jetzt noch für die Veranstaltung am 06.07.2023 registrieren:
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