Allerdings können die Regierungen und letztlich die Menschen
diese alarmierenden Trends im Jahr 2020 umkehren. In diesem Jahr werden in 61 Ländern Präsidentschafts- oder
Parlamentswahlen stattfinden. Viele Bürger haben genug von der konventionellen,
orthodoxen Politik. Sie wollen Veränderungen, und sie werden neue Parteien wählen,
um sie zu bekommen.
Dies ist eine wichtige Gelegenheit, um die aktuelle Lage zu ändern,
aber viele der neuen Parteiführer sind rechtsextreme Demagogen, die für die
heutigen Probleme die Sozialsysteme, Migranten oder Armen verantwortlich machen
und versuchen, die letzten Hindernisse für das Großkapital zu beseitigen. Wie
in Großbritannien werden viele, die unter dem Neoliberalismus leiden, diese
Politiker wählen, was die Welt zu einem ungleicheren und riskanteren Ort machen
wird.
Viel wird von den Vereinigten Staaten abhängen, die immer
noch die Hegemonialmacht der Welt sind. Wie die US-Bürger (von denen viele nur
wenig über die Ereignisse auf der Welt wissen) bei der Präsidentschaftswahl von
2020 abstimmen, wird für die Bürger des restlichen Planeten erhebliche Folgen
haben.
Bereits bisher hatte US-Präsident Donald Trump einen großen
Einfluss auf die Welt. Im Rahmen seiner „America-First“-Agenda
untergräbt er multilaterale Institutionen, Handelsabkommen und globale
Initiativen. Trotz der populistischen Rhetorik haben die meisten Amerikaner
davon kaum profitiert. Trumps große Steuererleichterungen für die Reichen,
Einschnitte bei der Gesundheitsversorgung und Steigerungen des
US-Verteidigungshaushalts sind regressiv und führen zu stärkerer Ungleichheit.
Aber trotzdem gewinnt die Rechte weiterhin Stimmen. Dies
liegt teilweise daran, dass sie immer radikaler wird und unkonventionelle oder „undenkbare“
Maßnahmen vorschlägt – vom Bau von Mauern bis hin zum Austritt aus der Europäischen
Union. Dies gefällt vor allem jenen, denen Veränderung wichtiger ist als alles
andere.
Schaffen es die Sozialdemokraten 2020 nicht, eine radikale
und attraktive progressive Politik anzubieten, wird die radikale Rechte weiter
wachsen, und mit ihr auch der Trend zu höherer Ungleichheit, wirtschaftlichen
Risiken und ökologischer Zerstörung.
Wie wir an diesen Punkt gelangen konnten, ist nicht schwer
zu sehen: Vier Jahrzehnte neoliberaler Politik haben die Lebensbedingungen in den
meisten Ländern ausgehöhlt. Sowohl linke als auch rechte Regierungen haben auf
Rat des Internationalen Währungsfonds, der Weltbank und anderer Organisationen
eine Politik der Angebotsseite betrieben und sich auf die Verbesserung der
Wettbewerbsfähigkeit konzentriert, die zu „flexibleren“
Arbeitsmärkten, geringerer Unternehmensbesteuerung und größerer
Einkommensungleichheit geführt hat. Und während die Unternehmen inmitten
sinkender Lebensstandards und steigender Staatsschulden ihre Wettbewerbsfähigkeit
verbessern, stagniert die globale Nachfrage.
Ebenso haben die Regierungen die Sozialausgaben gekürzt und öffentliche
Dienstleistungen privatisiert. Paradoxerweise sind die meisten der Ersparnisse
durch diese Einschnitte über Steuererleichterungen und Rettungsmaßnahmen an
Privatunternehmen gegangen, um das Wachstum zu fördern. Daher mussten die
Durchschnittsbürger erhebliche Wohlstandseinbußen hinnehmen, und das Wachstum
blieb schwach, da die strukturellen Langfristursachen des Problems der Überproduktion
und Überkapazitäten durch kurzfristige neoliberale Maßnahmen nicht behoben
werden können.
Wird der aktuelle Kurs nicht gewechselt, wird es auch 2020
wieder Sparmaßnahmen mit Einschnitten in Renten, Löhne, Sozialprogramme und
Arbeitsschutzmaßnahmen geben. Dann werden diese Maßnahmen die „neue Normalität“
darstellen, 113 Länder oder über 70% der Weltbevölkerung betreffen und die
soziale Unzufriedenheit weiter anfachen.
Absurderweise kürzen viele Regierungen die Sozialausgaben,
steigern aber gleichzeitig die Militärausgaben – und unterstützen durch öffentliche
Mitteln und schwache Regulierung die Großkonzerne. Und da immer noch die Hälfte
der Weltbevölkerung in Armut lebt (also weniger als 5,50 Dollar täglich
verdient), wird dies 2020 wahrscheinlich zu mehr Protesten und Konflikten führen.
Dabei sind Sparmaßnahmen gar nicht nötig. Sogar in den ärmsten
Ländern gibt es Alternativen. Die Internationale Arbeitsorganisation, die
UN-Frauen und UNICEF beschreiben mindestens acht Finanzierungsmöglichkeiten, um
Ressourcenstabilität herzustellen und Einschnitte in die Sozialsysteme zu
vermeiden. Beispielsweise könnten die Länder illegale Finanzflüsse eindämmen,
Steuervermeidung bekämpfen, das Steuersystem progressiver gestalten, den
Schuldendienst durch bessere Kreditverwaltung verringern oder flexiblere makroökonomische
Rahmenbedingungen schaffen. In jüngster Zeit gibt es dafür viele erfolgreiche
Beispiele.
Beenden die Regierungen die Sparmaßnahmen, können 2020 mehr
Länder die Einkünfte für ihre nationale Entwicklung erfolgreich erhöhen, die öffentlichen
Investitionen zum Nutzen der Menschen steigern sowie echte wirtschaftliche
Aktivitäten und menschliche Entwicklung unterstützen – im Hinblick darauf,
angemessene Arbeitsmöglichkeiten zu schaffen und ökologische Nachhaltigkeit zu
garantieren.
Gemeinsam mit der Verbesserung der finanziellen Regulierung
und der Umgestaltung der Finanzierungsprozesse können diese Maßnahmen dazu
beitragen, die Gefahr einer Rezession und die möglichen wirtschaftlichen und
finanziellen Krisen abzuwenden, die von Institutionen wie der UN, J.P. Morgan
und Moody’s vorhergesagt werden.
Aber selbst wenn die Welt im Jahr 2020 wirtschaftliche
Schwierigkeiten verhindern kann, wird die Umweltzerstörung andauern. Weltweit
gehen jedes Jahr über 26 Millionen Hektar Wald verloren – ein Gebiet von der Größe
des Vereinigten Königreichs, das hauptsächlich aus tropischem Regenwald
besteht. Dies beeinträchtigt sowohl das Klima als auch die Artenvielfalt.
Finden keine angemessenen Maßnahmen statt, werden Abholzung, Überfischung,
Kohlenstoffemissionen und Abfallvolumen im nächsten Jahr absolut betrachtet
zunehmen.
Dies sind nicht nur nationale Themen. Globale Probleme
erfordern globale Lösungen, und der Multilateralismus darf nicht geschwächt,
sondern muss gestärkt werden. Gemeinsam müssen wir nachhaltige Maßnahmen
finden, um das Leben der Menschen zu verbessern.
Eine bessere Zukunft für alle ist möglich. Regierungen und
letztlich die Bürger können die Welt im Jahr 2020 verbessern. Aber wenn sie
sich weiterhin auf Kosten einer langfristigen Vision auf Aktienkurse und
Quartalsberichte konzentrieren, die Verteidigungsausgaben erhöhen und die
Sozialausgaben senken, Migranten und Arme beschuldigen, während die Reichen
immer reicher werden und die Umwelt immer mehr leidet, wird das nächste Jahr
ein weiteres langes und gefährliches Jahr werden.
Isabel Ortiz ist Direktorin des Global Social Justice
Program bei der Initiative für Politischen Dialog an der Columbia University.
Sie war Direktorin bei der Internationalen Arbeitsorganisation und bei UNICEF
sowie leitende Mitarbeiterin bei den Vereinten Nationen und der Asiatischen
Entwicklungsbank.
Copyright: Project Syndicate
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